Gut gelaunt erscheint Marco Friedl zum Exklusiv-Termin mit SPORT1. Dieser Mann hat etwas zu erzählen. Der 26-Jährige, der in der Jugend beim FC Bayern spielte, steht seit 2018 bei Werder Bremen unter Vertrag und ist dort eine feste Größe im Team von Trainer Ole Werner, seit Sommer 2022 ist er sogar Kapitän.
„Ich habe hier sehr viel erlebt“
Vor dem Spiel bei Borussia Dortmund am Samstag (15.30 Uhr im LIVETICKER) spricht der Österreicher im Interview über Werder, seine Freundschaft zu David Alaba - und den gerade beurlaubten Nuri Sahin, mit dem Friedl einst bei Werder zusammenspielte.

SPORT1: Herr Friedl, Werder befindet sich in der goldenen Mitte der Tabelle. Aus den zurückliegenden drei Spielen gab es aber nur einen Punkt. Wie sehen Sie die Situation?
Marco Friedl: Natürlich läuft es im neuen Jahr noch nicht so rund. Nur einen Zähler in der Englischen Woche mit drei Spielen, das ist zu wenig. Wir haben uns mehr vorgestellt, wollten im neuen Jahr so weitermachen, wie wir im alten aufgehört haben. Doch wir müssen positiv bleiben und nach vorne schauen. Wir haben alles gut aufgearbeitet.
Europa? „Dort langfristig wieder Fuß fassen“
SPORT1: Bei Werder bleibt man auch in so einer Phase ruhig.
Friedl: Das hat auch damit zu tun, dass wir in der Hinrunde viel gepunktet und gute Spiele abgeliefert haben. Natürlich werden die Nebengeräusche etwas lauter, wenn es eine längere Durststrecke gibt. Aber dazu wollen wir es gar nicht kommen lassen. Wir wissen, was in uns steckt. Es liegt nur an uns. Wir sind zuletzt nicht an unser Leistungslimit gekommen. Dann reicht es einfach nicht, um die Punkte einzufahren. Das muss sich jetzt schnell ändern.
SPORT1: Ole Werner ist schon über drei Jahre Trainer bei Werder. Das ist im Fußballgeschäft eine kleine Ewigkeit. Er passt mit seiner ruhigen Art perfekt zu Werder?
Friedl: Absolut. Ole hat inzwischen ein sehr gutes Gefühl für uns und für den ganzen Verein. Er ist ein ganz ruhiger Typ, kann aber auch mal laut werden, wenn wir es nicht hinbekommen, wie gegen Augsburg oder Heidenheim. Er spricht die Dinge klar und offen an. Dieser Mix tut Werder gut und ist für uns Spieler optimal. Ole weiß die Situation immer sehr gut einzuschätzen. Deshalb lief es ja in den vergangenen Jahren gut und es wurde Stück für Stück besser. Jedes Jahr wurden bessere Ergebnisse erzielt als im Jahr davor. Bei Werder entwickelt sich wieder etwas.

SPORT1: Marvin Ducksch hat kürzlich in einem Interview schon gesagt, dass Werder nach Europa gehört. Sehen Sie das auch so oder ist das dann doch etwas verfrüht?
Friedl: Das Ziel muss für einen Verein wie Werder Europa sein und dort langfristig wieder Fuß zu fassen. Ob das noch etwas dauert oder schon bald der Fall sein wird, werden wir sehen. Ich glaube, dass wir Spieler kleinere Schritte gehen. Wir dürfen nicht zu schnell träumen, müssen uns darauf konzentrieren, dass wir gute Spiele abliefern können wie in der Hinrunde.
Bremen? „Wie in einer großen Familie“
SPORT1: Sie spielen schon seit 2018 bei Werder. Das ist schon außergewöhnlich lang im Fußballgeschäft. Warum passt es für Sie so gut in Bremen?
Friedl: Es sind jetzt ziemlich genau sieben Jahre. Das ist wirklich außergewöhnlich. Ich habe mich vom ersten Tag an wohl gefühlt im Verein, anfangs waren einige Jungs aus Österreich mit dabei und ich wurde im Klub sehr schnell aufgenommen. Es ist zwar etwas ganz anderes als in München und in Österreich, da musste ich mich schon umstellen. Aber es macht einfach großen Spaß. Bei Werder ist es wie in einer großen Familie, es macht einfach Spaß. Jeder ist zum anderen freundlich und gut und auch die Fans lassen uns immer wieder staunen. Da spielt man einfach gerne Fußball. Ich habe hier sehr viel erlebt – wir hätten uns fast für die Europa League qualifiziert, dann die Relegation, der Abstieg, der Aufstieg, Es waren schon aufregende Jahre bei Werder. Wenn du das alles mit einem Verein durchlebst, macht das etwas mit dir. Deshalb fühle ich mich hingezogen zu Werder.
SPORT1: Aber ganz ehrlich, denken Sie auch mal an einen Tapetenwechsel? Sie möchten doch sicher auch mal eine neue Herausforderung annehmen. Als Profi hat man doch auch Ziele…
Friedl: Erst einmal habe ich die mit Werder Bremen. Ich fühle mich nach wie vor extrem wohl in Bremen, das ist keine Floskel. Aber vielleicht wird irgendwann der Moment kommen, in dem ich eine neue Herausforderung suchen will. Für mich wäre das Ausland schon reizvoll, aber wann das passiert, lasse ich offen.
SPORT1: Wäre das Ausland reizvoller als die Bundesliga?
Friedl: Im Augenblick kann ich das noch gar nicht sagen. Ich denke nicht an einen Abschied. Wenn sich irgendwann etwas Spannendes in der Bundesliga für mich auftun würde, kann ich mich damit beschäftigen. Aber das Ausland hätte auch nochmal seinen Reiz. Vielleicht will ich das nochmal machen. Obwohl die Bundesliga auch Ausland ist für mich als Österreicher. (lacht)
„Ein guter Kapitän hat ein Händchen für die richtigen Entscheidungen“
SPORT1: Für manche Spieler ist die Binde eine Art Ballast. Wie sehen Sie Ihre Rolle als Kapitän?
Friedl: Mittlerweile sehr gut. Das mit dem Ballast kann ich verstehen, mein erstes Jahr als Kapitän war nicht einfach. Ich war jung und es war eine ganz neue Rolle für mich. Als Ömer (Ömer Toprak, d. Red.) aufgehört hat, habe ich nicht damit gerechnet, dass ich der nächste Kapitän des Vereins bin. Ich musste mich da echt erstmal einfinden, habe versucht, alles richtig zu machen und wollte auch neben dem Platz alles regeln. Unbewusst habe ich die Rolle auf dem Platz dann vernachlässigt und hatte Schwankungen in meinen Leistungen. Das hat mir nicht gut getan. Doch Ole hat mich in der Rolle gesehen und er meinte damals, ich solle mich darauf konzentrieren, was wichtig ist. Ab dem zweiten Jahr als Kapitän wurde es besser. Jetzt ist es schon das dritte Jahr und mittlerweile fühle ich die Rolle gut aus.
SPORT1: Erklären Sie den Lesern doch bitte mal, was es heißt, wenn ein Kapitän sagt, er übernimmt Verantwortung?
Friedl: Als Kapitän hast du verschiedene Rollen. Du wirst auch bei Themen wie Transfers mit eingebunden und vom Trainer oder Sportdirektor gefragt, was ich davon halte. Da sage ich als Kapitän dann gerne meine Meinung, wie ich darüber denke. Es gibt viele Dinge, die Außenstehende gar nicht mitbekommen, die aber innerhalb der Kabine geregelt werden müssen. Es geht auch um Termine für diverse Sitzungen oder Mannschaftsabende. Ich wollte im ersten Jahr als Kapitän immer alles so gut wie möglich machen, jetzt gebe ich auch mal etwas ab. Aber das Wichtigste ist schon die Leistung. Wenn die nicht stimmt, brauchst du auch gar nichts groß sagen. Ein guter Kapitän hat ein Händchen für die richtigen Entscheidungen.
SPORT1: Wo ist Ihr Händchen besonders gut?
Friedl: Ich gehe als Führungsspieler gerne voran, gerade in Momenten, in denen es nicht so gut läuft oder wo Spiele auf der Kippe stehen. Da habe ich ein gutes Gespür und kann vorangehen. Ich bin mit unseren bisherigen Leistungen in dieser Saison zufrieden und habe mich auch in meiner Rolle auf dem Platz sehr gut gefühlt. Als Kapitän willst du immer mit gutem Beispiel voran gehen.
Alaba „ist nach wie vor ein guter Freund“
SPORT1: Werder hatte zu Ole Werners Anfangszeit in der 2. Liga einen Atem-Coach für Stresssituationen. Das ist ja ziemlich kurios, wir kennen keinen Verein, der sowas hatte. Wie sah das Training genau aus, was haben Sie mitgenommen?
Friedl: Generell bin ich relativ offen für solche Themen, bis zu einem gewissen Punkt. Wenn ich denke, dass es ein bisschen aufgesetzt ist oder nicht zu mir passt, dann lege ich das auch schnell wieder weg, weil es einfach nichts für mich ist. Bei uns war es so, dass wir in einer sportlich schwierigen Situation waren, als Yasin (Yasin Seiwasser, d. Red.) kam. Wir haben es uns angehört und er hat uns gepackt und wir waren überzeugt von dem Thema. Und jetzt ist er schon einige Jahre hier und wir sind oft mit ihm im Austausch. Es gibt auch Kleingruppen mit Spielern, die regelmäßig zu ihm gehen und gewisse Dinge immer wiederholen. Es gibt auch Einzelgespräche, da ist jeder fasziniert. Es kommt echt rüber, das war uns in der Mannschaft wichtig.
SPORT1: Ihre Freundschaft zu David Alaba ist Ihnen sicher auch wichtig. Er ist zurück auf dem Platz. Wie sind Sie im Austausch?
Friedl: David ist nach wie vor ein guter Freund und ich hatte auch während seiner Verletzung viel Kontakt zu ihm. Wir haben uns auch im Urlaub getroffen. Ich habe das alles miterlebt und weiß, wie hart der Weg zurück war für David. Es war ein steiniger Weg und David hat viel investiert. Es ist so schön, dass er zurück ist und wieder Freude am Kicken hat. Mich freut es sehr für ihn. David hat keine Probleme mehr und versucht zu alter Stärke zurückzukehren. Bei seiner Einwechslung hat man gesehen, wie glücklich er ist, zurück zu sein. So eine lange Verletzungspause hatte er noch nie. Wir haben auch schon geschrieben und telefoniert. Ich habe ihm natürlich alles Gute gewünscht.
SPORT1: Was macht die Freundschaft aus?
Friedl: Als David zu Real gewechselt war, war es am Anfang schon hart, weil die Entfernung so weit war. Wir investieren viel und telefonieren regelmäßig miteinander. Es ist keine einseitige Freundschaft. Leider sehen wir uns nicht mehr so oft, aber das ist ja normal. In der freien Zeit treffen wir uns immer wieder und deshalb hält die Freundschaft auch schon so lange.
Bayern-Rückkehr? „Dann würde jeder unterschreiben“
SPORT1: Sie kommen beide aus der Jugend des FC Bayern. Gibt es bei Ihnen den Wunsch nochmal nach München zurückzukehren?
Friedl: Wenn es einen Verein gibt, bei dem du deine ganze Jugend verbracht hast, der nun mal einen großen Namen in der ganzen Welt hat und du zu diesem Klub zurückkehren kannst, dann würde das jeder unterschreiben. Da würde ich lügen, wenn ich das abstreiten würde. Aktuell ist das aber kein Thema für mich.
SPORT1: Ein anderes Thema ist die Nationalmannschaft. Wie sehen Sie dort Ihre Rolle? Es war nicht immer leicht…
Friedl: Ich habe immer gesagt, dass ich meine Leistung konstant bringen muss, alles andere liegt nicht in meiner Hand. Der nächste Lehrgang ist im März. Bis dahin haben wir noch einige Spiele mit Werder. Ich werde weiter versuchen, auf mich aufmerksam zu machen.
SPORT1: Am Samstag geht es nach Dortmund, dem aktuellen Sorgenkind der Liga. Nuri Sahin ist nicht mehr Trainer des BVB. Macht es das umso schwerer?
Friedl: Es ist immer schwer, wenn du mit deinem Klub als erster gegen den Verein spielen musst, der jetzt einen neuen Trainer hat. Man kann sich nicht darauf einstellen. Jetzt ist es eine ganz neue Situation. Jeder will sich jetzt beim BVB neu zeigen. Das macht die Aufgabe umso schwerer. Es tut mir sehr leid für Nuri. Ich kenne ihn und habe mit ihm zusammen bei Werder gespielt. Er ist ein toller Mensch. Dass es jetzt in Dortmund nicht geklappt hat, ist wirklich schade für ihn. Ich wünsche ihm für die nächsten Schritte alles Gute. Er wird jetzt sicher erstmal abschalten und verarbeiten wollen. Wir müssen am Samstag auf uns schauen und wollen da eine gute Leistung bringen. So schlimm die Situation beim BVB auch ist, darauf können wir keine Rücksicht nehmen.