Karl-Heinz Rummenigge feiert am Donnerstag seinen 70. Geburtstag. Vor allem der FC Bayern prägte seine Karriere-Laufbahn. Im exklusiven Interview mit SPORT1 blickt er auf diese Zeit zurück.
Karl-Heinz Rummenigge im Interview über Bayern: "Es war klar - irgendetwas funktionierte in diesem Klub nicht"
Rummenigge: „Wir haben uns gefetzt“
Neben dem Wandel seiner Karriere zum Fußballfunktionär spricht Rummenigge zudem über seine Zeit als Vizepräsident bei den Münchnern - und sein Verhältnis zu Uli Hoeneß.
SPORT1: Herr Rummenigge, Ihr 70. Geburtstag gibt Anlass, zurückzublicken. Zum Beispiel auf Ihren Wandel vom Weltklasse-Fußballer zum Top-Funktionär. Wie kam es dazu? Immerhin waren Sie bereits fürs Fernsehen tätig, sind dort aber nicht geblieben.
Karl-Heinz Rummenigge: 1989 habe ich bei Servette Genf mit dem aktiven Fußball aufgehört. Eigentlich hatte ich noch ganz gut gespielt, war Torschützenkönig geworden und die Schweizer wollten auch, dass ich bleibe. Aber in mir habe ich gespürt, dass es mit der Karriere auf dem Platz zu Ende geht. Ich dachte mir: Es ist besser aufzuhören, bevor es leistungsmäßig kritisch wird (lacht). Was dann kommen sollte, wusste ich zunächst nicht. Kurz darauf erhielt ich das Angebot der ARD, bei der WM 1990 als Co-Kommentator zu arbeiten. Der Job war zwar sehr interessant, aber für mich war schnell klar: Das wird’s nicht auf lange Sicht (lacht).
SPORT1: 1991 wurden Sie dann Vizepräsident des FC Bayern. Wer holte Sie an die Säbener Straße und warum?
Rummenigge: Damals steckte der FC Bayern in einer beispiellosen Krise. Teilweise in der Tabelle abgesackt auf Platz 12 oder 13, frisch rausgeflogen in der 2. Runde des UEFA-Cup gegen den heutigen FC Kopenhagen. Es brannte an allen Ecken und Enden. Der damalige Präsident Fritz Scherer kam daher zu Franz Beckenbauer und mir und bat um ein Gespräch. Er wollte, dass Franz und ich ins Präsidium kommen, um die sportliche Kompetenz etwas zu verbreitern.
„Es war eine Krise, wie ich sie später nie mehr erlebt habe“
SPORT1: Wie haben Sie den Klub vorgefunden? Wo lagen die Probleme? Wieso brannte es an allen Ecken und Enden?
Rummenigge: Es war eine Krise, wie ich sie später nie mehr erlebt habe – nicht einmal annähernd. Man hatte sich zu schnell von Trainer Jupp Heynckes getrennt. Zwei Wochen später kamen Franz und ich dazu und haben den Herrschaften ehrlich mitgeteilt, dass das wohl nicht die beste Entscheidung war. Es war kein erfahrener Trainer auf dem Markt und man holte Sören Lerby, der als Coach ein Rookie war. Alles schien verfahren. Zuvor wurden wir zwar auch nicht immer Meister, aber standen zumindest immer mit oben.
SPORT1: Die Saison 1991/92 verlief katastrophal. Der FC Bayern wurde in der Bundesliga lediglich Zehnter!
Rummenigge: Wir spielten damals in Stuttgart gegen die Kickers. Zur Halbzeit stand es 1:0 für die Kickers und wir standen in der Live-Tabelle auf dem drittletzten Platz! Aus heutiger Sicht unvorstellbar. Zum Glück kippte das Spiel, wir haben noch gewonnen und konnten das Schlimmste vermeiden. Aber es war klar: Irgendetwas funktionierte in diesem Klub nicht. Und es war unsere Aufgabe, das herauszufinden.
SPORT1: Wussten Sie denn schon damals, dass Sie sehr lange Funktionär sein würden? Immerhin waren Sie 30 Jahre lang in führenden Positionen aktiv und sind auch heute noch Mitglied des Aufsichtsrats.
Rummenigge: Dass ich das bis zur Rente machen würde, konnte ich mir anfangs nicht vorstellen (lacht). Aber mir hat es einfach von Beginn an Spaß gemacht. Und wenn es Spaß macht und auch die Leidenschaft weckt, ist es das Richtige. Ich hatte mit Uli Hoeneß ja bereits seit meinem 18. Lebensjahr Kontakt. Wir waren als Spieler Zimmergenossen und er Mitte der 1970er-Jahre schon damals eine Art „Spieler-Manager“. Er spielte auf hohem Niveau Fußball und trotzdem hat man bereits gemerkt, dass er irgendwann Manager des Vereins werden würde.
SPORT1: Und Sie wurden später sein Kollege in der Führungsriege.
Rummenigge: Es hat sich in den 1990er-Jahren einfach eine Gruppe herangebildet, die gut, loyal und harmonisch zusammengearbeitet hat. Insbesondere als Franz Beckenbauer 1994 Präsident wurde. Uli Hoeneß und Karl Hopfner haben die Geschäftsführung gebildet und ich war Vizepräsident. Wir waren damals unglaublich gut aufgestellt und ein verschworener Haufen. Das war die Voraussetzung dafür, dass sich der FC Bayern zurück an die Spitze katapultiert hat. Wir waren alle vier keine Menschen, die sich mit einem zehnten Platz zufriedengaben. Wir wollten ganz schnell zurück an die nationale Spitze. Das ist uns dann mit der Meisterschaft 1994 gelungen.
Hoeneß? „Franz war in seiner Zeit viel gnadenloser“
SPORT1: Das Jahr, in dem Franz Beckenbauer noch einmal Trainer wurde und den FC Bayern ins Ziel brachte.
Rummenigge: Franz hat bei der Meisterfeier gesagt: „Jetzt müssen wir anschieben und auch international zurück nach oben. Wir müssen Geld verdienen.“ So war er. Franz war der Spiritus Rector und hat uns immer angetrieben. Wenn man mich fragen würde, was heute beim FC Bayern am meisten fehlt, würde ich sagen, dass es die Lässigkeit und die Lockerheit von Franz sind, die er immer in den Klub gebracht hat. Er hat auch mal mit seinen Sprüchen alle aufgeweckt – zum Beispiel als er nach dem Münchner Derby den berühmten Satz mit „Obergiesing gegen Untergiesing“ sprach. Er konnte sehr direkt sein - aber man hat es ihm nie übelgenommen, weil da dieser wunderbare bayerische „Schmäh“ war.
SPORT1: Der Charme des Kaisers…
Rummenigge: Ja, heute wird bei Uli Hoeneß jedes Wort auf die Goldwaage gelegt und bis zum Exzess interpretiert. Das ist mir oft zu viel des Guten. Franz war in seiner Zeit viel gnadenloser und trotzdem hat kein Hahn danach gekräht.
SPORT1: Wie kamen Sie drei als absolute Alphatiere untereinander zurecht?
Rummenigge: Wir waren vier. Karl Hopfner war auch ein ganz wichtiger Faktor. Wenn wir diskutiert haben, dann waren die Meinungen auch mal unterschiedlich. Das Schöne damals war aber, dass nie etwas davon in die Öffentlichkeit kam. Und: Diejenigen, die sich nicht durchsetzen konnten und mit einem Transfer vielleicht nicht einverstanden waren, standen trotzdem wie eine Eins hinter der Entscheidung. Wenn mal etwas nicht funktioniert hat, hat niemand nachträglich gesagt: „Hab ich doch gleich gesagt“. Wir haben uns gefetzt, aber dann wurde Schafkopf gespielt, Weißbier getrunken und Ulis Würste gegessen. Das hat dann alle Gemüter wieder beruhigt.