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Aytekin gewährt persönliche Einblicke: "Habe vieles verpasst"

Aytekin: „Habe vieles verpasst“

Deniz Aytekins Weg zu einem der angesehensten Schiedsrichter Europas war kein geradliniger. Im neuen LEADERTALK spricht der 47-Jährige darüber und gewährt persönliche Einblicke.
Drei deutsche Top-Schiedsrichter arbeiten im Winter-Trainingslager in Portugal an ihrem Comeback und geben seltene Einblicke. Vor allem einen Referee vermissen sogar die Spieler.
Deniz Aytekins Weg zu einem der angesehensten Schiedsrichter Europas war kein geradliniger. Im neuen LEADERTALK spricht der 47-Jährige darüber und gewährt persönliche Einblicke.

Dass Deniz Aytekin heute als einer der angesehensten Schiedsrichter Europas gilt, als ruhig, verbindlich, reflektiert und fair – das war nicht immer selbstverständlich. Der dreifache „DFB-Schiedsrichter des Jahres“ stand in seiner Karriere nicht nur im Fokus großer Spiele, sondern auch im Kreuzfeuer massiver Kritik.

2011 wählten ihn die Bundesliga-Spieler zum unbeliebtesten Schiedsrichter des Jahres – ein Tiefpunkt, der den 47-Jährigen sehr getroffen hat. „Wenn du von der Fußballfamilie so abgestraft wirst – dann hinterfragst du natürlich“, sagt Aytekin im neuen LEADERTALK mit Business-Coach und Podcast-Host Mounir Zitouni.

Aytekin: „Früher habe ich jede Rückfrage als Angriff gewertet“

Anstatt sich zu rechtfertigen oder mit Trotz zu reagieren, begann Aytekin einen Prozess, der ihn über Jahre prägte. „Ich bin so einer, ich fange immer erstmal bei mir an. Also ich überlege mir, warum kritisieren Leute mich oder warum beschweren sich Leute oder was ist mein Beitrag?“

Dieser Reflex, die Verantwortung bei sich zu suchen, wurde zur Grundlage einer neuen Haltung. Rückblickend sagt er: „Früher habe ich halt jede Rückfrage eines Spielers als Angriff auf meine Person gewertet. Jetzt sehe ich die Spieler eher so als Leute, die vielleicht noch was wissen wollen.“

Heute ist er überzeugt: „Ich glaube an Verbindungen zu Menschen. Und wenn ich eine Verbindung habe, dann akzeptieren Menschen auch mal eine Entscheidung, die gegen sie läuft.“

„Ich versuche, das innere Spiel zu gewinnen“

Dieser Zugang zur Führung – verbindlich, aber nicht weich, klar, aber nicht hart – hat sich entwickelt. Denn auch Aytekin war anfangs stark von äußeren Maßstäben getrieben. „Man will höher, weiter, schneller und erfolgreicher, wobei die Definition von Erfolg ist immer so eine Sache. In jungen Jahren war für mich halt Erfolg: Ich habe das Spiel irgendwie gut geleitet. Ich habe eine sehr gute Note bekommen vom Beobachter.“

Erst mit der Zeit entwickelte sich ein anderes Verständnis von Leistung – weg von der Bewertung anderer, hin zur inneren Ausrichtung. „Rückblickend gibt es schon so Gedanken, wo ich mir denke, was ist eigentlich jetzt Erfolg? Das hat sich natürlich mit den Jahren deutlich gewandelt. Also ich lasse mich da weniger treiben jetzt von außen, sondern versuche eben, das innere Spiel zu gewinnen.“

Dass er sich auf dem Weg nach oben behaupten konnte, habe weniger mit Talent als mit Verlässlichkeit zu tun, sagt er. „Ich glaube, ich bin jetzt nicht wesentlich besser als vielleicht ganz viele da draußen. Das Einzige, was mich von denen unterschieden hat, war: Ich habe jede Trainingseinheit absolviert. Ich war bei jeder Schiedsrichtersitzung. Ich war extrem verbindlich.“

Aytekin: „Ich will immer klar sein in der Sache“

Und er betont, dass es für ihn nie darum ging, sich auf Kosten anderer durchzusetzen. „Ich habe nie zu Lasten von irgendwelchen anderen Kollegen versucht, mir irgendeinen Vorteil zu verschaffen. Ich kann zumindest schon behaupten, dass ich mich jetzt nicht mit Ellenbogen-Mentalität in irgendeine Liga manövriert habe.“

Diese Haltung prägt auch sein Verständnis von Autorität. „In ganz jungen Jahren wird ja einem auch beigebracht, wie du autoritär wirken kannst auf dem Fußballfeld. Und dann merkst du irgendwie, okay, eigentlich bin ich das ja gar nicht.“

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Stattdessen setzt er auf etwas, das er über die Jahre kultiviert hat: eine natürliche Autorität, die ohne Härte auskommt. „Ich will immer klar sein in der Sache, aber den Menschen vernünftig und herzlich behandeln. Und das darf man nicht mit Beliebtheit verwechseln.“ Dabei geht es nicht um Nettigkeit, sondern um Klarheit mit Haltung. „Wenn einer am Boden liegt, dann trete ich den nicht kaputt. Das macht man halt nicht.“

„Ich habe lange gebraucht, das zu verstehen“

Trotzdem ist ihm bewusst, dass Wirkung nicht nur von Inhalt, sondern auch von Ausstrahlung abhängt. Aytekin weiß, dass er von außen manchmal härter wirkt, als er sich selbst empfindet. „Ich glaube, dass ich mit meiner Erscheinung – ich habe viele Falten, ein ernstes Gesicht – ganz anders rüberkomme, als ich wirklich bin. Ich habe lange gebraucht, das zu verstehen.“

Die Erkenntnis: Menschen nehmen sich ein Bild – und oft ist es nicht deckungsgleich mit dem, was man fühlt. Heute begegnet er dem nicht mit Trotz, sondern mit Offenheit. Er sagt: „Ich kann das nicht kontrollieren. Aber ich kann es einordnen.“

Gerade bei großen Spielen, bei denen Zehntausende Zuschauer live im Stadion und Millionen vor dem Fernseher dabei sind, braucht es nicht nur Regelkenntnis, sondern emotionale Stabilität – für sich selbst und das Team. „Natürlich hat man Druck – als Einzelner, aber auch als Schiedsrichterteam. Aber wenn die Teammitglieder spüren, da ist einer, der federt das so ein bisschen ab, dann sind die auch mutiger. Dann sagen die auch mal Sachen, die sie vielleicht nicht sagen würden.“

„Viele Leute sind nicht absichtlich respektlos“

Die Grundlage dafür ist Vertrauen. „Es braucht eben eine gewisse gesunde Fehlerkultur, dass Menschen mutig agieren und proaktiv agieren und auch was sagen. Ich bin als Schiedsrichter verantwortlich dafür, dass mein Team sich in psychologischer Sicherheit wähnt.“

Gerade in solchen Momenten zeigt sich, was für ihn Führung bedeutet: „Wenn du als Entscheider angeschlagen bist, brauchst du ein starkes Team. Aber das Team wird nur stark sein, wenn du es schützt.“

Auch im Umgang mit Spielern hat Aytekin gelernt, wie entscheidend der menschliche Zugang ist. „Menschen wollen sich gesehen fühlen. Und das beginnt beim Namen.“ Oft sind es die kleinen Details, die Vertrauen aufbauen – oder zerstören. „Das ist ja, sage ich mal, so ein ganz einfacher und kleiner Baustein. Und ganz viele machen das halt nicht.“ Und was von außen als Autorität erscheint, ist für ihn oft nur eine Reaktion auf Stress. „Ganz viele Leute sind ja nicht absichtlich respektlos. Aber wenn wir selber gestresst sind, übersehen wir ganz viele Parameter.“

Um unter Druck handlungsfähig zu bleiben, setzt er auf Selbstbeobachtung – und Weiterbildung. „Ich beschäftige mich seit Jahren mit Verhaltenstherapie, Körpersprache, Hirnforschung. Nicht, weil ich Speaker werden will, der gute Geschichten erzählt. Sondern weil ich Substanz haben will.“

Aytekin gewährt persönliche Einblicke: „Habe vieles verpasst“

Im Sommer 2026 wird Aytekin seine Schiedsrichterlaufbahn beenden – aus freien Stücken, in voller Verantwortung. „Natürlich kommt jetzt ein großer Abschnitt. Und du stellst dir die Frage: War das alles richtig? Ich habe vieles verpasst – gerade bei meiner Tochter. Das kann man nicht mehr aufholen.“

Dass seine Entscheidung öffentlich so große Wellen schlug, hat ihn selbst überrascht – und gerührt. Medien, Spieler, Trainer, Funktionäre würdigten seinen Stil, seine Haltung, seine Klarheit.

Er wurde als jemand beschrieben, der das Spiel verstanden hat – aber mehr noch: die Menschen, die es ausmachen. Rückblickend ist für ihn eines zentral: „Verhalten bestrafen – aber die Person menschlich behandeln. Das ist die große Kunst.“

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Mounir Zitouni (55) war von 2005 bis 2018 Redakteur beim kicker und arbeitet seitdem als Businesscoach, betreut Führungskräfte und Unternehmen in puncto Leadership, Kommunikation und Teamentwicklung. Der ehemalige Profifußballer hat die Autobiographie von Dieter Müller geschrieben und im Buch „Teams erfolgreich führen“ (Metropolitan-Verlag, 2024) die Erkenntnisse aus den Gesprächen im Podcast LEADERTALK zum Thema Leadership zusammengefasst.