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Vor 50 Jahren: Der betrunkene Schiedsrichter, der zu früh pfiff

Jubiläum eines legendären Fauxpas

Vor 50 Jahren sorgt Schiedsrichter Wolf-Dieter Ahlenfelder für eine der legendärsten Anekdoten der Bundesliga. Ein Bier, ein Malteser und ein zu früher Halbzeitpfiff ließen ihn in die Geschichte eingehen.
Wolf-Dieter Ahlenfelder im Gespräch mit mit einem Bremen-Spieler
Wolf-Dieter Ahlenfelder im Gespräch mit mit einem Bremen-Spieler
© IMAGO/Kicker/Liedel
Vor 50 Jahren sorgt Schiedsrichter Wolf-Dieter Ahlenfelder für eine der legendärsten Anekdoten der Bundesliga. Ein Bier, ein Malteser und ein zu früher Halbzeitpfiff ließen ihn in die Geschichte eingehen.

Es ist eine eherne Regel im Fußball. Ein Schiedsrichter ist dann am besten, wenn hinterher keiner über ihn redet. Das ist Wolf-Dieter Ahlenfelder vor exakt 50 Jahren nicht ganz gelungen.

Im Bremer Weser-Stadion ereignete sich eine der lustigsten Episoden der Bundesligageschichte und er war die Hauptperson, über die manche bis heute noch reden. Erst recht an Jahrestagen oder wenn sie in Bremen ein Bier und einen Malteser bestellen.

Wolf-Dieter Ahlenfelder stand noch am Anfang seiner Karriere, die ihn bis zum „Schiedsrichter des Jahres 1987“ führen sollte, als er im November 1975 nach Bremen kam. Bis dahin hatte der Ruhrpott-Junge aus Oberhausen zwei Bundesligaspiele geleitet, das dritte sollte das Duell zwischen Bundesliga-Urgestein Werder und Aufsteiger Hannover 96 sein.

Ein feuchtfröhlicher Vorabend in Bremen

Die Geschichte, um die sich einige Anekdoten ranken, beginnt schon am Vorabend. Nach guter alter Bremer Sitte kümmerte sich Ex-Spieler Richard „Sense“ Ackerschott um das Schiedsrichtergespann. Wie er das machte, weiß der aktuelle Werder-Präsident Hubertus Hess-Grunewald zu berichten.

Der Zeitschrift Sports Illustrated sagte er anlässlich des „Jubiläums“, das Gespann sei von Ackerschott regelrecht „abgefüllt worden. Der Ahlenfelder war kanonenvoll“. Dabei war der Präsident zwar nicht gewesen, wohl aber am nächsten Tag, als er als Balljunge Zeuge eines einmaligen Schauspiels auf der Bundesligabühne wurde. Auch das hatte ein Vorspiel.

Die Schiedsrichter nahmen wie üblich noch ein Mittagessen ein, von dem heute niemand mehr klären kann, woraus es bestand. Ahlenfelder brachte zunächst die Version von einer „fetten Gans“ in Umlauf, die er 35 Jahre später widerrief: „Das mit der Gans hatte ich nur so erzählt.“

„Ich dachte, der will mich küssen“

Warum? Weil er begründen musste, weshalb er auch am Spieltag ein Bierchen zischte und einen Malteser obendrauf – zur besseren Verdauung halt. Nun, in Verbindung mit dem Restalkohol hatte das allerdings andere Folgen.

Der Spielleiter benahm sich recht merkwürdig, fand laut Kicker „nur mit Mühe die Spielerkabinen“ und kam den Profis bei der Stollenkontrolle so nahe, dass Werder-Libero Per Roentved witzelte: „Ich dachte, der will mich küssen.“

Bei dieser Gelegenheit rochen die Spieler auch den Alkohol, der trotz aller Bemühungen immer noch nicht verdunstet war.

In der Werder-Kabine geschieht Ungeheuerliches

Zuvor nämlich geschah in der Werder-Kabine Ungeheuerliches, wie der verstorbene Kapitän Horst-Dieter Höttges 2012 der Welt erzählte. Er wollte Ahlenfelder gesagt haben: „Mensch, Wolf-Dieter. Du riechst ja nach Alkohol, du bist ja total blau.“

Dann hätten sie ihn unter die Dusche gestellt, „bis auf die Unterhose ausgezogen und den ganzen Oberkörper kräftig mit Wick eingerieben.“ Der nach Menthol und Eukalyptus riechende Hustensaft sollte den Alkoholgeruch überdecken, zudem wirkt er belebend.

Nun wurde Ahlenfelder noch munterer, schnitt Grimassen, dirigierte ein fiktives Orchester und streckte den Fotografen beim Kabinengang die Zunge raus. Den Gästetrainer Helmut „Fiffi“ Kronsbein knurrte er an, als wäre er ein Hund.

Halbzeitpfiff nach 32 Minuten

Und dann, in Minute 32, kam die Krönung seiner Darbietung. Hören wir ihn selbst: „Ich habe dreimal ins Horn geblasen und mir den Ball geschnappt. Die Spieler haben mich zwar etwas verstört angeschaut, aber der Linienrichter hat mich dann auf den Irrtum aufmerksam gemacht.“

Er begründete es mit „Problemen mit der Uhr“, die ihn später noch mal im Stich ließ. 90 Sekunden zu früh bat er erneut in die Kabinen, diesmal ließ er sich nicht beirren. „Hat der was getrunken?“, fragte sich nicht nur 96-Präsident Ferdinand Bock.

Hannover dachte an Protest, aber da die Assistenten Ahlenfelder auf seinen Irrtum hingewiesen hatten, lag kein Regelverstoß vor – außer dass es zwei Halbzeitpfiffe gab. Kurios übrigens, wie Höttges angeblich Ahlenfelder seinen Irrtum plausibel machte: „Gucken se mal, mein Trikot ist fast noch staubtrocken.“

„Der lustigste Schiedsrichter der Liga“

Der damalige Werder-Präsident Dr. Franz Böhmert: „Für diese Show hätten wir die Eintrittspreise erhöhen müssen.“ Die Bild-Zeitung kommentierte süffisant: „Selten hat so wenig Alkohol so viel Freude gemacht.“ Und der Kicker befand: „Der lustigste Schiedsrichter der Liga.“

So hatte sich der Stadionbesuch trotz des trostlosen Kicks (0:0) für 21.000 Zuschauer gelohnt. Sie hatten den ersten besoffenen Schiedsrichter der Bundesligageschichte erlebt. Um den hinterher ein Schutzwall errichtet wurde, den es heutzutage kaum geben würde. Natürlich sprachen die Journalisten die Spieler auf den Alkoholverdacht an.

Höttges log eiskalt: „Herr Ahlenfelder hat vor dem Spiel unsere Stollen kontrolliert. Wir standen beinahe Gesicht an Gesicht, niemand roch etwas Alkoholisches. Der Mann hat doch souverän gepfiffen.“ Nun ja.

Ahlenfelder gesteht Alkohol-Konsum

Präsident Böhmert verfasste sogar einen Brief an den DFB und bat auch öffentlich „um Nachsicht. Wir wollen dem sympathischen Schiedsrichter nicht die Karriere ruinieren.“ Im Brief behauptete er, Ahlenfelder sei erkältet gewesen und man habe ihm Hustensaft gegeben, das würde den Geruch erklären.

Dumm nur, dass Ahlenfelder, dem vermutlich durch den Schiedsrichterbeobachter Walter Baresel noch in der Halbzeit die Auswechslung angedroht worden war, am nächsten Tag der Bild am Telefon gestand: „Ja, ich hatte getrunken!“ Zum Essen gab es „Bier und Malteser“ und seine Begründung ziert heute einen Buchtitel: „Wir sind doch Männer, wir trinken keine Brause!“

Am Ende des Gesprächs mit dem Boulevardblatt bettelte er: „Macht mich bitte nicht kaputt, ruiniert nicht meine Karriere. Ich war bestimmt nicht betrunken.“

Auf die Titelseite kam er damit am Montag trotzdem. Aber die Schutzbemühungen hatten Erfolg, Ahlenfelder musste zwar beim DFB antanzen, pfiff aber schon drei Wochen später wieder und dann noch 13 Jahre.

Der Fauxpas tat seiner Karriere keinen Abbruch

106 Bundesligaspiele stehen in seiner Vita, fünf weitere davon in Bremen. Dort gedenkt man des 2014 verstorbenen Schiri-Originals noch heute. In Stadionnähe ist eine Kneipe nach ihm benannt und dort gibt es auch ein „Gedeck Ahlenfelder“ – ein Bier und ein Malteser für 4,50 Euro.

Kommentar des Schiedsrichters, vier Jahre vor seinem Tod: „Ist doch lustig. Genau wie ich.“ Der Wirt veranstaltet ihm zu Ehren heute am Jahrestag für seine Gäste ein Fußballquiz mit kniffligen Regelfragen, und dann geht auch die Seite www.ahlenfelder.com, online. Warum? Im Gedenken an einen Typen aus einer Zeit, in der Fußball noch nicht so bierernst war.