Wer vom Mainzer Rechtsanwalt Harald Strutz wissen will, was der schönste Tag seines Lebens war, der kann sich die Antwort eigentlich denken. Am 25. September 2010 führte der damalige Präsident des FSV Mainz 05 seine Frau Christine zum Traualtar, was alleine schon hätte ausreichen können.
Als die Bruchweg-Boys den FC Bayern schockten
Die Legende der Bruchweg-Boys
Aber das war noch nicht alles, denn am selben Tag führte in seiner Abwesenheit Trainer Thomas Tuchel den FSV zum 2:1-Sieg bei den Bayern und zum sechsten Sieg am sechsten Spieltag 2010/11. Und das zur Oktoberfestzeit.
Mainz 05 spuckte dem Meister in die Wiesn-Maß und regierte für ein paar aufregende Spätsommertage die Bundesliga, unglaublich! Umso mehr aus heutiger Sicht, da der FSV als Schlusslicht wieder mal in die Allianz Arena (Sonntag, 17.30 Uhr im LIVETICKER) kommt.
Mainz vom eigenen Erfolg beim FC Bayern überrascht
Damals waren die Mainzer vom eigenen Erfolg zu Saisonbeginn selbst am meisten überrascht. Manager Christian Heidel, heute Sportvorstand, musste nach jedem weiteren Sieg die Frage nach neuen Zielen beantworten.
Nach dem 2:1 von München war er es satt und schnauzte die Reporter an: „Was sollen wir denn planen? Sollen wir uns jetzt ein Flugzeug kaufen oder was?“ Auch in der Stunde des größten Triumphs waren sie um Bodenhaftung bemüht.
Der Erfolg der jungen Mainzer Himmelsstürmer hatte nicht nur ein Gesicht, sondern drei. Plötzlich sprach alle Welt von den „Bruchweg-Boys“, die in jener Erfolgsphase im Stile einer Rockband mit gedachtem Schlagzeug (imitiert durch ein paar Schuhe), Gitarre (Eckfahne) und Mikrofon (Wasserflasche) an der Eckfahne ihre Tore feierten.
Auch Lewis Holtby beschwichtigte: „Jetzt anzufangen, von der Champions League oder anderen Dingen zu reden, ist völlig unrealistisch.“ Sie wussten ja, dass sie wohl nur einen fantastischen Sommer tanzen würden und nahmen alles mit, was ging.
„Bruchweg-Boys“ mit legendärem TV-Auftritt
Am Abend des Triumphes, den die Tore von Sami Allagui (15.) und Joker Adam Szalai (77.) sicherten und den auch ein Eigentor des späteren FSV-Trainers Bo Svensson (45.) nicht verhinderte, hatten die „Bruchweg-Boys“ nach einem weiteren Tänzchen an der Eckfahne am Abend ihren großen Auftritt im ZDF-Sportstudio.
Nun mit echtem Schlagzeug (Szalai/damals 23), Gitarre (André Schürrle/19) und Mikrofon (Holtby/20) sowie coolen Sonnenbrillen. Das Publikum tobte - nicht nur, weil die Sendung in Mainz produziert wird.
Danach gestanden sie allerdings, alle nie ein Instrument gespielt zu haben. Fußball spielten sie umso besser, auch zur eigenen Überraschung: „Es ist kaum zu realisieren, was momentan abgeht. Es ist Wahnsinn“, sagte Holtby, „da steht eine Mannschaft auf dem Platz, die um jeden Grashalm kämpfen möchte.“
Die niedergeschlagenen Bayern versuchten, die Pleite damals zu relativieren, indem sie die Zwerge aus Mainz zu Riesen machten. „Ich traue ihnen viel zu, sie können Meister werden“, sagte Trainer Louis van Gaal. Vor Kollege Tuchel „ziehe ich den Hut“.
Mainz stellt Bundesliga-Startrekord ein
Die Mainzer, die auch noch das siebte Spiel gewannen und damit Bayerns (und Kaiserslauterns) damaligen Bundesliga-Startrekord einstellten, hatten den Rekordmeister freilich in einer eklatanten Schwächeperiode erwischt. Nach sechs Spielen hatten sie nur acht Punkte erbeutet und vier Tore geschossen – die wenigsten aller Klubs.
Sportdirektor Christian Nerlinger sprach von einer „prekären Situation“; Torarmut trotz Namen wie Klose, Gomez, Olic und dem genialen Duo „Robbery“ – allerdings fehlten Arjen Robben und Franck Ribéry an jenem 25. September 2010 verletzt.
Als Ausrede taugte es nicht und Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge tadelte: „Laufbereitschaft, Aggressivität, Leidenschaft – das haben wir vermissen lassen. Zehn Punkte auf Dortmund sind schon ganz schön viel. Wir sind absolut nicht zufrieden.“
Den Trainer nahm er aus der Schusslinie, „er macht einen super Job, da ändere ich nach einem schlechten Spiel nicht meine Meinung.“
Holtby: „Wir waren alle Anfang 20, jung und wild“
Es sollten allerdings noch etliche schlechte Spiele folgen. Die Saison 2010/11 beendeten die Bayern auf dem ungewohnten 3. Platz und damit zwei unter ihrem Anspruch. Van Gaal wurde im April 2011 entlassen, Assistent Andries Jonker rettete das Minimalziel Champions-League-Teilnahme.
Und die Himmelsstürmer vom Bruchweg, an dem das alte FSV-Stadion mitten in der Stadt lag? Landeten letztlich auf dem fünften Platz, das beste Ergebnis der Vereinsgeschichte.
Dann endeten auch die Auftritte der „Bruchweg-Boys“, weil Schürrle nach Leverkusen ging und Holtby zu Leihgeber Schalke zurück musste.
Fast 15 Jahre später sagte Holtby der Mainzer Allgemeinen: „Der Jubel mit den Bruchweg-Boys passte zum damaligen Zeitpunkt. Es war schön, dass wir den Leuten eine Freude machen konnten. Wir waren alle Anfang 20, jung und wild.“