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"Das ist keine Abwertung von Gnabry": Das rät Kohler dem FC Bayern

„Das ist keine Abwertung von Gnabry“

Jürgen Kohler äußert sich im exklusiven SPORT1-Interview zur Zukunft einiger Bayern-Stars wie Leon Goretzka, Serge Gnabry und Manuel Neuer. Aber auch zum BVB und Nico Schlotterbeck findet der Weltmeister von 1990 klare Worte.
Welt- und Europameister Jürgen Kohler äußert sich zu den meistdiskutierten Personalien rund um den FC Bayern. Bei Dayot Upamecanos Vertragsverlängerung prophezeit er Schwierigkeiten, Leon Goretzka nötigt ihm Respekt ab.
Jürgen Kohler äußert sich im exklusiven SPORT1-Interview zur Zukunft einiger Bayern-Stars wie Leon Goretzka, Serge Gnabry und Manuel Neuer. Aber auch zum BVB und Nico Schlotterbeck findet der Weltmeister von 1990 klare Worte.

Weltmeister von 1990, Abwehrchef, Mentalitätsspieler: Jürgen Kohler gehörte zu den prägenden Figuren des deutschen Fußballs.

SPORT1 traf den 60-Jährigen in seinem Heimatort nahe Köln zum exklusiven Gespräch über Favoritenrollen, Mentalitätsfragen und die Zukunft des FC Bayern und Borussia Dortmund.

SPORT1: Herr Kohler, wie bewerten Sie den bisherigen Saisonverlauf Ihrer beiden Ex-Vereine?

Jürgen Kohler: In dieser Saison muss man klar sagen, dass der FC Bayern derzeit führend ist. Sie spielen außergewöhnlich guten Fußball, sind Tabellenführer und auch international sehr stark unterwegs. Auch auf internationaler Ebene zeigen sie eine ganz starke Performance. Mit Vincent Kompany haben sie offenbar genau den richtigen Trainer gefunden. Er war zu Beginn vielleicht etwas umstritten und aus Sicht vieler Experten, Medien und Fans nicht unbedingt die offensichtliche 1A-Lösung. Aber manchmal braucht es genau dieses Quäntchen Glück – und das hatte Bayern mit dieser Entscheidung. Kompany ist ein Glücksfall für die Bayern. Bei Borussia Dortmund muss man den Blick auf das vergangene Jahr richten. Damals lagen sie deutlich hinter ihren eigenen Erwartungen zurück. In dieser Saison spielen sie keine überragende, aber eine durchaus komfortable Runde mit stabilem Fußball. Die Chancen auf die Champions League sind gut, und auch im Meisterschaftsrennen ist noch nichts entschieden. Insofern können beide Vereine mit dem bisherigen Verlauf zufrieden sein.

SPORT1: Waren Sie selbst skeptisch bei Vincent Kompany?

Kohler: Nein, skeptisch war ich nicht. Ich kannte ihn als Spieler. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass ehemalige Profis sehr gute Trainer sein können. Viele der besten Trainer waren frühere Spieler, die national wie international große Erfolge gefeiert haben. Gleichzeitig sehen wir heute auch viele Quereinsteiger, die hervorragende Arbeit leisten. Julian Nagelsmann oder Thomas Tuchel waren keine herausragenden Spieler, aber absolute Fußballfachleute, die im Fußballgeschäft ihre Duftmarke hinterlassen haben. Man muss also kein Topspieler gewesen sein, um ein sehr guter Trainer zu werden.

Kohler: „Die Bayern spielen sehr attraktiven Fußball“

SPORT1: Erkennt man bei Bayern bereits eine klare Handschrift oder befindet sich der Klub noch in einer Übergangsphase?

Kohler: Man erkennt klar Kompanys Handschrift. Die Bayern spielen sehr attraktiven, offensiven Fußball: hohe Abwehrlinie, viel Ballbesitz, schnelles Umschaltspiel. Das ist moderner Fußball. Kompany hatte zudem herausragende Lehrmeister. Er wurde unter anderem von Pep Guardiola trainiert. Für mich sind Guardiola und Jürgen Klopp die besten Trainer dieser Generation – von solchen Persönlichkeiten nimmt man enorm viel mit.

SPORT1: Wie sehen Sie Kompany in seiner Entwicklung?

Kohler: Er wirkt sehr klar und aufgeräumt. Er weiß genau, was er nach außen kommuniziert. Durch seine Spielerkarriere, besonders in England, kennt er medialen Druck. Er stellt die Mannschaft in den Mittelpunkt – nicht sich selbst. Das ist Kompanys große Stärke. Er ist authentisch und stellt sich nie in den Vordergrund. In dieser Saison ist er deutlich gereift. Natürlich fehlt ihm in ganz engen Topspielen noch etwas Erfahrung. Ein Trainer wie Ottmar Hitzfeld hatte mit seiner eigenen Strategie ein besonderes Gespür für spielentscheidende Momente. Das ist der Unterschied – aber das entwickelt sich mit der Zeit. Und manchmal entscheidet auch schlicht das Spielglück.

SPORT1: Wie sehen Sie Bayern und Dortmund sportlich und strukturell aufgestellt?

Kohler: Sportlich ist Bayern München klar besser aufgestellt. In die internen Strukturen habe ich keinen Einblick. Auffällig ist aber, dass bei beiden Klubs nur wenige Spieler direkt aus dem eigenen Nachwuchs hochkommen. Bei Bayern ist es aktuell Lennart Karl, aber er ist erst mit 17 nach München gewechselt – ein klassisches Eigengewächs ist er nicht. Früher schafften mehr Talente den Sprung. Die Zeiten sind schwieriger geworden, weil Junioren- und Profibereich zwei völlig unterschiedliche Welten sind.

„Upamecano hat noch viele starke Jahre vor sich“

SPORT1: Dayot Upamecano wirkt unter Kompany deutlich stabiler. Warum?

Kohler: Kompany war selbst Weltklasse-Verteidiger. Er weiß genau, was einen Top-Abwehrspieler ausmacht. Upamecano ist im besten Alter und hat noch viele starke Jahre vor sich. Diese Konstellation passt perfekt. Bayern muss Upamecano unbedingt halten – das ist aktuell eine der wichtigsten Personalien.

SPORT1: Und Serge Gnabry?

Kohler: Er ist ein wichtiger Spieler, hatte aber auch viele Leistungsschwankungen. Unbedingt muss man Gnabry nicht halten. Verlängern sollte Bayern vor allem mit Upamecano und Olise – das wird schwer genug. Das ist keine Abwertung von Gnabry, sondern eine sportliche Einschätzung. Bei ihm habe ich manchmal das Gefühl, dass er seine Leistung besonders dann steigert, wenn es um einen neuen Vertrag geht. Olise ist aktuell wertvoller.

Neuer „ist der beste Torwart, den wir je hatten“

SPORT1: Wie sehen Sie die Rolle von Manuel Neuer?

Kohler: Manuel Neuer hat Geschichte geschrieben und das Torwartspiel revolutioniert. Für mich ist er der beste Torwart, den wir je hatten. Er ist eine enorme Persönlichkeit, kein Lautsprecher, aber in der Kabine hat sein Wort enormes Gewicht.

SPORT1: Glauben Sie, dass er noch ein Jahr bei Bayern verlängert oder sogar zur WM fährt?

Kohler: Bei der WM sehe ich Neuer nicht mehr. Vom Namen und von der Strahlkraft sicher, aber nach dem Skiunfall und mit 39 Jahren ist das Niveau nicht mehr ganz so hoch wie früher. Bei Bayern kann er durchaus noch ein Jahr spielen – auch wegen seiner Bedeutung für die Kabine. Mit Oliver Kahn hatte er einen berühmten Vorgänger, und er war der perfekte Kahn-Nachfolger.

SPORT1: Wie bewerten Sie die Torwartdiskussion um Alexander Nübel und Jonas Urbig?

Kohler: Das ist schwer zu beurteilen, ohne die internen Abläufe zu kennen. Die Torwartposition ist extrem speziell. Fehler bleiben Fehler – egal ob jung oder alt. Irgendwann braucht man aber eine klare Linie. Nübel hatte es in dieser Debatte nie leicht. Er hat zuletzt sicher einen Fehler gemacht, aber auch Urbig. Das Alter spielt dabei keine Rolle.

„Karl ist ein Rohdiament und braucht Zeit“

SPORT1: Lennart Karl ist das neue Wunderkind an der Säbener Straße. Wie sehen Sie den Hype?

Kohler: Der Hype erdrückt junge Spieler oft mehr, als er ihnen hilft. Er tut ihnen nicht gut. Karl ist ein Rohdiamant und braucht Zeit – sportlich wie menschlich. Konstanz, Gesundheit und Geduld sind entscheidend. Er wird auch Rückschläge erleben. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Gleiches gilt für Said El Mala vom 1. FC Köln. Julian Nagelsmann wird beide genau beobachten. Karl hat mit Michael Ballack einen guten Berater.

SPORT1: Ist Dortmund näher an der Spitze oder tritt der Klub auf der Stelle?

Kohler: Niko Kovac hat bislang sehr gute Arbeit geleistet und den BVB stabilisiert. Trotzdem gibt es noch große Schwankungen. Es fehlt an Konstanz und an Persönlichkeiten, die regulierend eingreifen. Potenzial ist da, wird aber nicht dauerhaft abgerufen. Die Entwicklung muss steigend sein, nicht nur gleichbleibend.

SPORT1: Was ist der große Unterschied zu Bayern?

Kohler: Bayern weiß, wie Gewinnen geht – Dortmund noch nicht in dieser Konsequenz. Diese Mentalität wird bei Bayern gelebt und weitergegeben. Das ist der größte Unterschied.

Goretzka zu BVB? Das sagt Kohler

SPORT1: Sollte sich der BVB im Sommer mit Leon Goretzka verstärken?

Kohler: Ich bewundere Leon Goretzka. Er hatte bei Bayern eine extrem schwierige Zeit, hat aber immer geliefert, wenn er gebraucht wurde. Ich habe großen Respekt vor ihm – er läuft nicht vor Problemen weg. Bayern sollte ihn behalten. Eine kleine Delle muss man ihm zugestehen. Priorität hätte für mich zunächst die Vertragsverlängerung mit Upamecano und Olise, danach Goretzka und Gnabry.

SPORT1: Beim BVB will man mit Nico Schlotterbeck verlängern.

Kohler: Ich habe damals beim BVB trotz Abstieg gesagt, dass ich bleibe. Das wünsche ich mir auch von Schlotterbeck. Nur auf das Logo zu zeigen, reicht nicht. Ich glaube, dass er mit dem Herzen dabei ist, aber er will Entwicklung sehen. Es wird schwer, Schlotterbeck zu halten. Wenn ich er wäre, würde ich mich für Dortmund entscheiden.

SPORT1: Wie beurteilen Sie den Umgang mit Karim Adeyemi?

Kohler: Es gab intern klare Gespräche. Junge Menschen machen Fehler – entscheidend ist, dass sie daraus lernen. Adeyemi ist ein ausgezeichneter Spieler, aber ihm fehlt Konstanz. Unter Druck liefert er ab. Wichtig ist, dass er den Fehler wirklich erkennt – nach außen darf man das nicht relativieren.

„Uli Hoeneß ist Bayern München“

SPORT1: Wie sehen Sie die Rolle von Uli Hoeneß? Sollte er kürzer treten?

Kohler: Nein. Er ist Bayern München. Er lebt und verkörpert diesen Klub. Er ist ein wichtiger Ansprechpartner für Max Eberl. Man sollte ihm immer zuhören, auch wenn es unbequem ist. Das ist sein Naturell.

SPORT1: Würden Sie selbst gerne wieder ins operative Geschäft einsteigen?

Kohler: Nach meiner geplanten Herz-OP vor 15 Jahren musste ich erst meine Gesundheit ordnen. Grundsätzlich könnte ich mir alles vorstellen, es muss aber zwingend eine leitende Funktion sein.

SPORT1: Gibt es ein Problem in der Innenverteidigung der Nationalmannschaft?

Kohler: Weltklasse-Innenverteidiger sind insgesamt seltener geworden. Das ist kein rein deutsches Problem. Vielleicht müssen wir wieder stärker positionsspezifisch ausbilden.

SPORT1: Ihre Wunsch-Innenverteidigung bei der WM?

Kohler: Jonathan Tah und Nico Schlotterbeck.

SPORT1: Wo landen Bayern und Dortmund am Saisonende?

Kohler: Der FC Bayern wird Erster, Borussia Dortmund Zweiter.