So ein bisschen haftete Matthias Ginter nach dem Triumph von Rio der Makel Weltmeister zweiter Klasse an, weil er nur eine einzige WM-Minute spielte.
Ginter: "Tuchel erinnert an Streich"
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Inzwischen aber hat der 21-Jährige in Diensten von Borussia Dortmund diesen Rucksack abgeworfen, ist dort zum unumstrittenen Stammspieler gereift: Ein Tor sowie ein Assist unlängst beim 3:2-Derbysieg gegen den FC Schalke 04 sprechen für sich.
Und auch im DFB-Team kommt Bundestrainer Joachim Löw immer seltener an Ginter vorbei.
Vor dem Freundschaftsspiel gegen Frankreich (Fr., ab 20.30 Uhr im LIVETICKER) spricht der Abräumer im SPORT1-Interview über Ruhrpott-Emotionen, BVB-Trainer Tuchel, die Bayern-Jagd und Nationalmannschaftsziele.
SPORT1: Herr Ginter, Sie haben im Derby gegen Schalke ein Tor für Dortmund erzielt und eins vorbereitet. Läuft gut bei Ihnen, oder?
Matthias Ginter: Kann man so sagen. Wenn man das Derby gewinnt, hat man bis zum Rückspiel erstmal bei den Fans einen Stein im Brett.
SPORT1: Es war Ihr erstes Derby als Stammspieler. Wie haben Sie es empfunden?
Ginter: Es war Wahnsinn, die Stimmung im Stadion und wie wir mit den Fans gefeiert haben, hatte ich so noch nicht erlebt.
SPORT1: Können Sie mit dem BVB auch die Bayern ärgern?
Ginter: Unser Ziel ist, unseren Platz zu festigen. Der letzte Spieltag hätte nicht besser laufen können. Wir haben unseren Vorsprung auf die Verfolger ausgebaut. Bayern ist der Topfavorit, wir müssen unseren Platz festigen.
SPORT1: Welchen Stellenwert hat für Sie die UEFA Europa League?
Ginter: Die Bundesliga hat Priorität, aber beide Pokalwettbewerbe spielen eine sehr große Rolle. Wir haben die Gruppenphase überstanden und wollen so weit wie möglich kommen. Ich glaube, das ist auch machbar.
SPORT1: Sie haben zehn der zwölf Partien in der Bundesliga durchgespielt, zwei Tore erzielt und acht vorbereitet. Haben Sie den endgültigen Durchbruch im zweiten Anlauf geschafft?
Ginter: Klar läuft es viel besser als vergangene Saison, aber ich habe auch damals schon betont, dass ich immer dranbleibe und weiter arbeite. Das habe ich umgesetzt. Ich fühle mich vom Kopf her super, das Selbstvertrauen ist mit das Wichtigste auf dem Platz. Dazu habe ich mich auch körperlich enorm entwickelt.
SPORT1: Was hat BVB-Trainer Thomas Tuchel zu Ihrer positiven Entwicklung beigetragen?
Ginter: Ich glaube nicht, dass mich so viele Trainer als Rechtsverteidiger eingesetzt hätten, schließlich habe ich jahrelang Innenverteidiger gespielt. Positionstechnisch hat er mir wahnsinnig geholfen. Auch die Gespräche mit ihm waren sehr, sehr positiv. Er hat mir auch vom Kopf her wahnsinnig geholfen.
SPORT1: Was macht Thomas Tuchel als Trainer aus – auch im Vergleich mit Ihren vorherigen Trainern Jürgen Klopp und Christian Streich?
Ginter: Jeder Trainer hat seine eigenen Ideen. Jürgen Klopp war als Motivator wahnsinnig wichtig für die Mannschaft, Thomas Tuchel ist von seiner Ansprache her eher taktisch geprägt. Er stellt uns sehr gut auf den Gegner ein, wir erkennen auf dem Platz wieder, was er uns vorgibt. Er erinnert mich von seiner Herangehensweise her an Christian Streich. Sie ähneln sich sehr, auch wenn Christian Streich noch einen Tick emotionaler ist (lacht).
SPORT1: Im Verein und in der Nationalmannschaft spielen Sie jetzt Rechtsverteidiger. Was ist für Sie auf dieser Position konkret anders als im Abwehrzentrum?
Ginter: Man ist offensiver und kann freier und risikoreicher spielen. Wenn man innen einen Fehler macht, hat der Gegner meist eine Torchance. Ich fühle mich auf der Position wahnsinnig wohl. Es macht mir viel Spaß, auch weil wir in Dortmund sehr erfolgreich spielen. Ich will mir das auch hier in der Nationalmannschaft erarbeiten und so häufig wie möglich spielen. Ich hätte nichts dagegen, wenn es so weiterläuft.
SPORT1: Der Bundestrainer sprach nach dem Georgien-Spiel davon, die Außenverteidiger seien offensiv nicht so gut geschult. Warum läuft es im DFB-Team noch nicht so rund?
Ginter: Das mit dem "nicht so rund“ verstehe ich nicht? Wir haben uns als Gruppenerster für die Europameisterschaft qualifiziert. Dass es Stolperer auf dem Weg gab – keine Frage. Davon abgesehen sind die Automatismen im Verein einfacher, weil man jeden Tag trainiert. In der Nationalmannschaft hat man nur ein echtes Training vor dem Spiel. Ich spiele die Position noch nicht so lange und bin noch sehr jung - und kann auch noch sehr viel lernen.
SPORT1: Sie waren als ganz junger Spieler bei der WM, doch danach hatten Sie eine schwere Zeit. War diese frustrierend oder auch positiv?
Ginter: Natürlich hoffte ich damals, häufiger zu spielen. Zum ersten Mal musste ich gegen Widerstände ankämpfen. Das war für meinen Kopf wichtig und hat mir geholfen.
SPORT1: Im Sommer gab es Gerüchte, Sie könnten eventuell nach Gladbach oder Stuttgart wechseln. Wollten Sie sich in Dortmund beweisen?
Ginter: Es gab Überlegungen, weil auch die Rückrunde nicht so berauschend für mich verlaufen war. Aber ich hatte ein Gespräch mit Thomas Tuchel und danach war das Thema für mich erledigt.
SPORT1: Jetzt geht es gegen Frankreich und die Niederlande. Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein, sich zu empfehlen und auch bei der EM dabei zu sein?
Ginter: Ich war zuletzt bei allen Spielen und Lehrgängen dabei und gebe weiter Gas. Aus den beiden Spielen jetzt gegen Frankreich und die Niederlande wird man nicht viel heraus lesen können, wie es dann im Sommer direkt vor der Europameisterschaft ausschaut. Ich bin vor Brasilien auch erst kurzfristig für das WM-Aufgebot nominiert worden.