Torhüter Nauzet García wusste gar nicht, wohin mit sich. Nachdem er den entscheidenden Elfmeter von Yan Eteki pariert hatte, sprang der 31-Jährige auf und sprintete zur linken Seite des Platzes. Dann drehte er sich doch noch einmal um, rannte hinter dem Tor auf die rechte Seite und wurde schließlich von seinen Teamkollegen eingefangen. Es bildete sich eine riesige Jubeltraube um den Helden des Abends.
Ein Schritt fehlt zum größten Coup eines ganzen Landes
Ein europäisches Märchen
Die Freude war unübersehbar und grenzenlos. Soeben war der kleine Verein Lincoln Red Imps aus Gibraltar in die Playoffs zur Gruppenphase der Europa League eingezogen. Ein wahrer Coup des Klubs, dessen bisher größter Erfolg die Teilnahme an der Gruppenphase der Conference League war. Dieses Jahr ist sogar noch ein bisschen mehr möglich. Nicht zuletzt dank García.
In der dritten Qualifikationsrunde galten die Lincoln Red Imps gegen den FC Noah aus Armenien als Außenseiter. Doch das 1:1 im Hinspiel ließ die Hoffnung auf eine Sensation wachsen. Im Rückspiel am Donnerstag schaffte es der Serienmeister aus Gibraltar dann bis ins Elfmeterschießen und verwandelte sechs seiner sieben Versuche. García parierte wiederum gleich zwei Schüsse des Gegners.
„Wir kämpfen bis zum letzten Pfiff“
„Gegen alle Widerstände. Das sind wir. Das ist, was wir tun. Wir kämpfen bis zum letzten Pfiff und beweisen den Zweiflern, dass sie Unrecht haben. Jedes Mal“, jubelte der kleine Klub nach dem Einzug in die Playoffs auf X ausgelassen. „Machen Sie keinen Fehler, dieses Team ist etwas Besonderes. Lassen Sie sich von niemandem etwas anderes einreden.“ Gewinnen sind sie an sich gewohnt. Auf internationaler Ebene jedoch nicht.
Mit 26 gewonnenen Meisterschaften sind die Lincoln Red Imps der Rekordmeister Gibraltars und der absolut dominierende Verein der Liga. Seit der Spielzeit 2002/03 haben sie den Titel nur zweimal nicht geholt – einmal wurden sie Zweiter und einmal wurde die Saison wegen der Corona-Krise vorzeitig abgebrochen. Hinzu kommen insgesamt 19 Pokalerfolge sowie zwölf Triumphe im Supercup.
Allerdings reichte es in den europäischen Wettbewerben lediglich für einzelne Ausrufezeichen. In der Saison 2015/16 siegten sie in der ersten Qualifikationsrunde der Champions League gegen den andorranischen Meister FC Santa Coloma mit 2:1 und waren somit die erste gibraltarische Mannschaft, die überhaupt ein Pflichtspiel gewann. 2016/17 gewann der Verein in der zweiten Qualifikationsrunde der Königsklasse überraschend das Hinspiel gegen Celtic Glasgow mit 1:0, verlor das Rückspiel allerdings mit 0:3.
Lincoln muss nun nach Portugal
Als sich der Verein 2021/22 für die Gruppenphase der Conference League qualifizierte - erstmals schaffte es ein Verein aus Gibraltar in die Gruppenphase eines europäischen Wettbewerbs -, wurde der lettische Meister Riga FC mit einem 1:1 im Hinspiel und einem 3:1 nach Verlängerung im Rückspiel ausgeschaltet.
Dies hat Lincoln, das in der laufenden Saison in der Champions-League-Qualifikation begann und dort erst in der zweiten Runde gegen Roter Stern Belgrad ausschied, auch diesmal schon sicher. Eine gute Absicherung, denn die kommende Aufgabe wird nicht leichter.
Gegner ist Sporting Braga, das im Jahr 2011 sogar im Finale der Europa League stand und seit Jahren regelmäßiger Gast in den europäischen Wettbewerben ist. Es braucht also ein noch größeres Wunder als das, das Lincoln nun in Armenien vollbracht hat. Aber vielleicht besiegen sie ja trotzdem am Ende erneut alle Widerstände. Die Jubelbilder dürften dann noch enthusiastischer ausfallen.