Mehr Krimi ging nicht. Unentschieden nach regulärer Spielzeit, Remis nach Verlängerung, dann das Siebenmeterwerfen. 80 Minuten lang kämpften die deutschen WM-Helden, am Ende entschied ein einziger Wurf. Spaniens achter Versuch flog auf das Tor der U19-Auswahl, der gerade erst eingewechselte Torhüter Anel Durmic riss die Hand hoch und parierte. Für einen Moment herrschte Stille, dann brach Jubel aus.
Handball: Legende warnt trotz deutschem WM-Coup
Legende mit Warnung nach WM-Coup
Sekunden später lagen sich die deutschen U19-Handballer auf dem Parkett von Kairo in den Armen: Sie waren Weltmeister geworden – und das zum ersten Mal überhaupt in dieser Altersklasse. Selbst Männer-Bundestrainer Alfred Gislason jubelte mit. „Ein phänomenaler Titel für eine Mannschaft, von der wir uns sehr viel versprochen haben”, lobte Gislason im Anschluss an einen Triumph, der im Lager des Deutschen Handballbundes (DHB) für große Zuversicht mit Blick auf die Zukunft sorgte.
„Von den deutschen und spanischen Jungs werden wir in den kommenden Jahren einige auch in den A-Nationalmannschaften wiedersehen“, fügte Gislason hinzu. Die Zukunft rückt in den Mittelpunkt. 2027 wird die WM in Deutschland ausgetragen – ein Turnier, bei dem die heutige U19-Generation bereits als Teil des A-Teams für Furore sorgen soll. In Ägypten spielten sich Namen wie Finn Knaack, Tim Schröder oder Jan Grüner in den Vordergrund. Eine rundum rosige Zukunft also? Nicht ganz, findet der frühere Nationalspieler Christian Schwarzer.
Deutscher Nachwuchs? „War nie unser Problem“
Dass die DHB-Auswahl mit dem Pokal nach Hause flog, freue Schwarzer sehr, sei aber keine Riesenüberraschung, sagt er im Gespräch mit SPORT1. Schließlich habe es einen außergewöhnlichen Nachwuchssommer mit drei Gold- und einer Silbermedaille in sechs Turnieren gegeben. „Wir machen seit vielen Jahren gute Nachwuchsarbeit – das war nie unser Problem. Unser Problem ist vielmehr der Übergang in den Erwachsenen- und Spitzenbereich, die sogenannte Anschlussförderung”, betont der 55-Jährige.
„In dieser Hinsicht sind uns viele andere Nationen weit voraus, weil die Jungs dort schon in jungen Jahren in den Profi-Mannschaften spielen: in den ersten Ligen, im Europapokal oder sogar in der Champions League“, führt Schwarzer aus. Der in der Bundesliga, der stärksten Liga der Welt, vergleichsweise höhere Erfolgsdruck spiele dabei eine große Rolle. So stünden die Trainer unter permanentem Zugzwang und hätten kaum Zeit für Experimente oder eine angemessene Förderung junger Spieler.
Die Bundesliga-Trainer würden stattdessen - abgesehen von ein paar wenigen positiven Beispielen - „lieber mit fertigen Spielern, die sofort Ergebnisse liefern“ arbeiten. „Das ist der Unterschied zu anderen Ländern wie Dänemark, Schweden oder Norwegen“, sagt Schwarzer: „Und auch das Problem unserer A-Nationalmannschaft. Andere Nationalmannschaften profitieren von unserer Liga, weil deren Spieler in der stärksten Liga der Welt mitspielen. Sie kommen im Alter von 21, 22 oder 23 Jahren nach Deutschland und verfügen bereits über ein Top-Niveau. Unsere eigenen Jungs bekommen diese Möglichkeiten erst mit 25, 26 oder 27 Jahren.“
„Für deutsche Talente leider oftmals wenig Platz“
Man müsse sich lediglich bei den Topklubs wie Kiel, Flensburg, Berlin, Magdeburg oder Melsungen auf den zentralen Positionen umschauen, schilderte der frühere Kreisläufer. „Die meisten Positionen sind dort mit Top-Spielern aus dem Ausland besetzt. Für deutsche Talente bleibt da leider oftmals wenig Platz.“
Das schnellstmöglich zu ändern und somit auch die Früchte aus der derzeit so erfolgreichen Nachwuchsarbeit zu ernten, sei laut dem Weltmeister von 2007 der entscheidende Aspekt. Wie das gelingen kann? Womöglich durch eine Reform der 2. Bundesliga.
„Jetzt ist es wichtig, dass sie (die U19-Weltmeister, Anm. d. Red.) sich in den richtigen Spielklassen entwickeln können. Ich finde, dass auch die 2. Bundesliga ein guter Ausbildungsplatz ist. Schon seit Jahren hinterfrage ich, ob es nicht sinnvoll wäre, die 2. Liga in eine Nord- und eine Süd-Staffel zu teilen und diese mit acht Teams aus der Aufstiegsrunde der 3. Liga aufzufüllen. Dann gäbe es in der 2. Liga zusätzliche Ausbildungsplätze für junge deutsche Spieler, sodass sie schneller an das Spitzenniveau herangeführt werden könnten“, regt Schwarzer an.
Gerade im Alter der frisch gebackenen U19-Weltmeister sei Spielpraxis auf hohem Niveau enorm wichtig. „Die Nationen um uns herum treiben das mit einer Kontinuität voran und sind dementsprechend mit ihren jungen Spielern schon weiter“, so Schwarzer, „weil diese sich schon früher auf höchstem Niveau spielen“.