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Wie Gigi Riva den Sarden ihren Minderwertigkeitskomplex nahm

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Wie Gigi Riva den Sarden ihren Minderwertigkeitskomplex nahm

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Der Held einer Fußballnation

Kein anderer Fußballer Italiens hat(te) einen vergleichbar hohen Stellenwert wie Gigi Riva. Dass der gebürtige Lombarde bis heute verehrt wird, liegt nur teilweise an seinen unbestrittenen fußballerischen Qualitäten. Auf den Tag vor einem Jahr verstarb der Held des US Cagliari.
Gigi Riva (hier bei der WM 1974) wurde in ganz Italien verehrt
Gigi Riva (hier bei der WM 1974) wurde in ganz Italien verehrt
© IMAGO/Sportfoto Rudel
Kein anderer Fußballer Italiens hat(te) einen vergleichbar hohen Stellenwert wie Gigi Riva. Dass der gebürtige Lombarde bis heute verehrt wird, liegt nur teilweise an seinen unbestrittenen fußballerischen Qualitäten. Auf den Tag vor einem Jahr verstarb der Held des US Cagliari.

Sandro Mazzola wurde in Italien zur Klubikone von Inter Mailand, Gianni Rivera beim Lokalrivalen AC. Beide Fußballgrößen eint, dass sie in den 1960er und 70er Jahren Titel in Serie einfuhren.

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Vereinstreue wird aber umso bemerkenswerter, wenn der eigene Klub nicht zu den besten des Landes gehört – so wie bei Luigi Riva, den alle nur „Gigi“ nannten.

Riva trug zeit seines Lebens das Trikot des sardischen Klubs US Cagliari. Er gilt in Italien noch heute als Inbegriff eines tadellosen Fußballers, der sich ausschließlich von seinem Herzen leiten ließ und allen Verlockungen widerstand. Wenn man so will, dann war Gigi Riva der Uwe Seeler Italiens.

„Wer erinnert sich in 50 Jahren noch an Roberto Mancini?“

„Wir alle haben die Vorstellung verinnerlicht, dass Spieler Profis sind und dorthin gehen, wo sie am besten bezahlt werden“, schrieb der Corriere della Sera in einer Hommage an den gerade verstorbenen Helden: „Aber diejenigen, die sich bei ihrer Wahl von ihrem Herzen leiten lassen, werden belohnt. Wird man sich Ihrer Meinung nach in fünfzig Jahren noch genauso an Roberto Mancini erinnern wie heute?“

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Mancini, der in dieser Zeit seinen Trainerjob in der italienischen Nationalmannschaft zugunsten eines lukrativeren Angebots aus Saudi-Arabien gekündigt hatte, wurde als Antiheld an den Pranger gestellt.

Dabei wuchs Riva nicht auf dem damals bettelarmen Sardinien auf, sondern im privilegierten Norden am Lago Maggiore. Dass seine Kindheit dennoch entbehrungsreich war, lag an den familiären Umständen. Rivas Vater starb früh und die Mutter konnte die fünfköpfige Familie nicht alleine versorgen, weswegen der kleine Gigi in ein kirchliches Heim übergeben wurde.

Bereits im Alter von 14 Jahren stand er am Fließband einer Automobilfabrik. Die Rettung kam drei Jahre später, als Riva 1962 seinen ersten Profivertrag beim drittklassigen AC Lignano unterschrieb. Ein Jahr später folgte dann schon der Wechsel nach Cagliari.

Ohne zu wissen, was ihn erwarten würde, setzte der Teenager 1963 erstmals einen Fuß auf die Insel - und war geschockt. „Es war der Ort, an den man die Carabinieri zum Strafdienst versetzte, es kam mir vor wie in Afrika“, meinte er später.

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Riva ist nach wie vor Italiens Rekordtorjäger

Mit seinen Erfolgen auf dem Platz freundete sich der Stürmer aber immer mehr mit der sardischen Mentalität an. Weil er immer besser wurde und trotzdem nicht das Weite suchte, erarbeitete sich Riva einen echten Heldenstatus auf der Insel.

Da er auch für die Squadra Azzurra immer wichtiger wurde, liebten ihn auch die Tifosi anderer Klubs. In lediglich 42 Spielen erzielte der Mittelstürmer 35 Tore, womit er immer noch Italiens Rekordtorschütze ist. Gleichzeitig erarbeite er sich damit seinen Spitznamen „Donnerhall“ (rombo di tuono).

Bei den fußballbegeisterten Kindern galt Gigi Riva als Nonplusultra. „Wenn die Nationalmannschaft spielte, trafen wir uns bei einem Freund, und nach dem Schlusspfiff rannten wir nach draußen, um Fußball zu spielen. Wer am härtesten schoss, rief ‚Gigi Riva!‘“, erinnert sich der Autor Beppe Severgnini.

In Deutschland ist Riva vor allem für sein Tor im „Jahrhundertspiel“ beim WM-Halbfinale 1970 in Mexiko (4:3 n.V.) bekannt. Auf DFB-Seite spielte damals der ebenfalls 2024 verstorbene Franz Beckenbauer mit dem Arm in einer Schlinge. Das Finale gegen Brasilien verloren Riva und Co. dann allerdings mit 1:4.

Sein wahres Meisterstück gelang dem wuchtigen Angreifer nur wenige Wochen zuvor mit seinem Herzensverein Cagliari, als der Underdog am Ende der Saison 1969/70 sensationell die Meisterschaft gewann.

„Der Scudetto befreite Sardinien von einem Minderwertigkeitskomplex“

Der berühmte italienische Sportjournalist Gianni Brera hievte den Triumph des Außenseiters sogar in eine gesellschaftspolitische Dimension.

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„Der Scudetto von Cagliari bedeutete den wahren Eintritt Sardiniens in Italien“, schrieb Brera. „Sardinien brauchte eine große Bestätigung und bekam sie durch den Fußball, indem es die großen Mannschaften von Mailand und Turin besiegte. Der Scudetto ermöglichte es Sardinien, sich von alten Minderwertigkeitskomplexen zu befreien.“

Der Meister-Coup mit Cagliari konnte nicht wiederholt werden, weil einige Leistungsträger den Verein verließen und sich Riva im Herbst der folgenden Saison einen komplizierten Wadenbeinbruch zuzog. Der Stürmer brauchte lange, um wieder an seine frühere Form anzuknüpfen und konnte kaum mehr beschwerdefrei spielen.

Nach einer weiteren schweren Verletzung im Januar 1975, von der er sich nicht mehr vollständig erholte, zog Gigi Riva ein Jahr später einen Schlussstrich und beendete nach der Partie am 1. Februar 1976 gegen den AC Mailand seine Karriere.

Als Riva am 22. Januar 2024, genau vor einem Jahr, nach einem Herzinfarkt starb, trauerten nicht nur die Sarden um ihr großes Idol, sondern ganz Fußball-Italien weinte.