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Das befleckte Vermächtnis einer 100-Meter-Legende

Ein beflecktes Vermächtnis

Asafa Powell stellte vor 20 Jahren einen neuen Weltrekord über die 100 Meter auf. Der Jamaikaner ist verantwortlich für Bestmarken, eine Doping-Affäre und eine aberkannte olympische Goldmedaille.
Asafa Powell (l.) beim Olympiasieg 2016 an der Seite von Usain Bolt
Asafa Powell (l.) beim Olympiasieg 2016 an der Seite von Usain Bolt
© IMAGO / Laci Perenyi
Asafa Powell stellte vor 20 Jahren einen neuen Weltrekord über die 100 Meter auf. Der Jamaikaner ist verantwortlich für Bestmarken, eine Doping-Affäre und eine aberkannte olympische Goldmedaille.

Am 14. Juni 2005 kehrte Asafa Powell an den Ort zurück, an welchem er ein Jahr zuvor eigentlich seinen bis dato größten Erfolg in seiner Karriere einfahren wollte: das Olympiastadion von Athen. Bei einem Leichtathletik-Meeting rannte der Jamaikaner heute vor 20 Jahren zum Weltrekord über die 100 Meter.

Der damals 22-Jährige erwischte einen Traumstart und krönte sich mit einem furiosen Finish bei 1,6 Metern Rückenwind zum zwischenzeitlich schnellsten Mann der Welt. Seine Zeit betrug 9,77 Sekunden, womit er Tim Montgomery ablöste, der drei Jahre zuvor die 100 Meter in 9,78 Sekunden gelaufen war.

Powell kündigt Weltrekord an

„Es zeigt, dass niemand weiß, wie schnell ein Mann rennen kann“, sagte Powell nach seinem historischen Lauf. Bereits im Vorfeld des Wettbewerbs kündigte der Sprinter an, dass er bereit sei, den Rekord von Montgomery zu brechen. Seinen großen Tönen ließ er in Athen Taten folgen.

Zum damaligen Zeitpunkt war er seit 1912 der erst vierte Nicht-Amerikaner, der den 100-Meter-Rekord innehatte.

Zehn Monate vorher fanden am selben Ort die Olympischen Spiele statt und Powell erlebte eine große Enttäuschung. Der Jamaiker war einer der Favoriten auf Gold, doch seine Nerven versagten im finalen Showdown bereits am Start.

Er kam schlecht aus dem Block und konnte den Rückstand nicht mehr aufholen. Das Rennen war gelaufen. Powell wurde letztlich nur Fünfter und Rivale Justin Gatlin durfte sich über die Goldmedaille freuen.

Sprint-Legende bereut verbesserten Weltrekord

Nach seinem Weltrekord zog er sich einen zweieinhalb Zentimeter langen Muskelriss im Adduktorenbereich zu, wodurch er die Weltmeisterschaft in Helsinki verpasste. 2006 kam Powell aber eindrucksvoll zurück - er gewann sämtliche Rennen. Außerdem blieb er unglaubliche 13-mal in Folge unter der 10-Sekunden-Marke und stellte dabei zweimal sogar seine Bestmarke ein.

2007 verbesserte der Sprinter dann seinen Weltrekord – und bereute es danach. Damals rannte er die 100 Meter in einem Vorlauf ungewollt in 9,74 Sekunden. Im Podcast „Ready Set Go“ von Justin Gatlin verriet Powell 2024: „Beim Aufwärmen in Riete sagte mein Trainer zu mir: Stelle sicher, dass du zuerst die 30 Meter schaffst.“

Er fügte hinzu, dass sein Trainer ihm erklärte, dass sie an der Beschleunigungsphase sowie dem Übergang arbeiten würden. „Wenn du auf 70 Meter bist, geh einfach vom Gas“, meinte sein Coach.

Was wäre gewesen, wenn...?

Powell befolgte die Anweisungen: „Ich ging raus und tat genau das, und als ich die Ziellinie überquerte, sah ich 9,74 und wartete darauf, dass die Uhr umgestellt wurde.“ Der Jamaiker konnte seine Leistung gar nicht fassen. „Ich sah, wie alle feierten, aber ich konnte es nicht. Ich bereitete mich gerade aufs Finale vor. Was soll ich tun?“

Powells Manager kam sofort an die Strecke, um seinen Schützling zu gratulieren, doch danach war ihm so gar nicht. „Es kam unerwartet, denn ich hatte damals nicht das Gefühl, einen Weltrekord zu laufen“, berichtete der Leichtathlet.

Die Frage nach seinen Aussagen: Was wäre gewesen, wenn Powell über die kompletten 100 Meter durchgezogen hätte? „Ich kann mir gar nicht vorstellen, was ich gelaufen wäre, wenn ich einfach bis zur Ziellinie gelaufen wäre“, sagte der Jamaikaner und vermutete: „Ich wäre locker 9,6 gelaufen.“

Jamaika wird Staffelgold entzogen

2008 verlor Powell dann seinen Weltrekord, Landsmann Usain Bolt überquerte am 31. Mai die Ziellinie beim Reebok Grand Prix in New York nach beeindruckenden 9,72 Sekunden. Als Favorit auf Gold bei den Olympischen Spielen in Peking untermauerte die Sprint-Ikone seine Form und stellte im Finale mit 9,69 Sekunden über 100 Meter einen neuen Weltrekord auf. Das Einzelrennen schloss Powell auf Platz fünf ab.

Jedoch durfte er dann mit der Staffel jubeln, denn Jamaika gewann Gold und stellte zudem noch einen neuen Weltrekord auf. Die Sprinter rannten die 400 Meter in 37,10 Sekunden. Powell hatte endlich seine olympische Goldmedaille.

Allerdings wurde die Staffel-Leistung neun Jahre später wieder aberkannt und die Medaille entzogen. Der Grund: Startläufer Nesta Carter wurde 2016 in einem Nachtest mit über die Jahre verbesserten Analysemethoden Doping nachgewiesen. Er hatte das Nahrungsergänzungsmittel Methylhexaneamin im Körper - eine verbotene Substanz.

Powell selbst des Dopings überführt

Der Sieg wurde 2017 nachträglich dem Quartett aus Trinidad und Tobago zugesprochen. Japan, Brasilien und das deutsche Quartett Tobias Unger, Till Helmke, Alexander Kosenkow und Martin Keller rückten auf die Plätze 2 bis 4 vor. Ein Einspruch der Jamaikaner wurde 2018 in letzter Instanz vom International Sportgerichtshof CAS abgewiesen.

Aber auch Powell war nicht „sauber“. Der Jamaikaner wurde im Jahr 2013 des Dopings überführt. Am 14. Juli wurde bekannt, dass er bei einer A-Probe positiv auf die Substanz Oxilofrin getestet wurde. Auch die B-Probe fiel positiv aus.

In einer Stellungnahme bestritt Powell, die Substanz vorsätzlich eingenommen und wissentlich gedopt zu haben. Über den wirklichen Ablauf des Dopings herrschen bis heute mitunter dubiose Spekulationen. Weil im selben Jahr wie Powell auch US-Star Tyson Gay positiv getestet und gesperrt wurde, litt der Ruf der Sprint-Szene schwer

„Sie treten den Sport, den ich derart liebe, mit Füßen“, ereiferte sich die deutsche Sprint-Legende Armin Hary in der Abendzeitung - und erhob die drastische Forderung, alle Weltrekorde im Sprint zu annullieren. Sie verhallte ungehört.

Staffel-Krönung bei Olympia in Rio

Powell wurde für 18 Monate gesperrt, doch der internationale Sportgerichtshof reduzierte die Sperre im Juli 2014 auf nur noch sechs Monate. Im Anschluss daran probierte Powell, wieder an seine früheren Leistungen heranzukommen. Das gelang ihm allerdings nie so wirklich. So verpasste er die Einzel-Qualifikation für die Olympischen Spiele in Rio 2016.

Für die 400-Meter-Staffel war der Sprinter jedoch weiterhin gesetzt und gewann mit ihr in Brasilien mit einer Zeit 37,27 Sekunden Gold. Rückblickend für Powell der größte Sieg in seiner Karriere, nachdem der Titel aus dem Jahr 2008 aberkannt wurde - eine skurrile Pointe einer befleckten Karriere.

Daraufhin verschwand er so langsam von der großen Bühne. Die jüngere Konkurrenz stellte Powell in den Schatten. Sein Karriereende verkündete der Jamaikaner aber erst im Jahr 2022 an seinem 40. Geburtstag.

Eine Bestmarke hält Powell bis heute: Er ist der Sprinter, der die meisten 100-Meter-Rennen unter zehn Sekunden gelaufen ist. Insgesamt gelang ihm das 97-mal.