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"Menschenleben spielen keine große Rolle": Doping-Experte Fritz Sörgel kritisiert Enhanced Games im SPORT1-Interview

9 Sekunden? “Würden vorher sterben”

Die Idee der Enhanced Games sorgt für viel Wirbel. Im exklusiven SPORT1-Interview kritisiert Doping-Experte Fritz Sörgel die Macher und das dadurch vermittelte Bild. Zudem glaubt er nicht, an eine unermessliche Leistungssteigerung.
Alica Schmidt macht bei den Deutschen Meisterschaften sportlich auf sich aufmerksam. Währenddessen ist das Thema Doping aktuell wieder en vogue in der Leichtathletik, zum Leidwesen von Schmidt.
Die Idee der Enhanced Games sorgt für viel Wirbel. Im exklusiven SPORT1-Interview kritisiert Doping-Experte Fritz Sörgel die Macher und das dadurch vermittelte Bild. Zudem glaubt er nicht, an eine unermessliche Leistungssteigerung.

Das Thema Endhanced Games beherrscht derzeit die Schlagzeilen.

Ein Gruppe um den australischen Investor Aron D´Souza plant einen sportlichen Wettkampf, bei dem der Einsatz von Doping-Mittel explizit gewünscht wird.

Das sorgt jedoch für heftige Kritik. So kritisierte bereits Alicia Schmidt im SPORT1-Interview die Idee.

Auch Doping-Experte Fritz Sörgel blickt mit großer Sorge auf den Wettbewerb. Im SPORT1-Interview kritisiert er die Moralvorstellung und den Umgang mit Arzneimittel.

Außerdem glaubt er nicht, dass die Verantwortlichen die magische Marke von 9 Sekunden über 100 Meter brechen können.

Heftige Kritik an Enhanced Games: „Komplett unethisch“

SPORT1: Herr Sörgel, vor ein paar Wochen wurde die Idee der Enhanced Games vorgestellt. Was halten Sie von dieser Idee, dass dort alle Dopingmittel erlaubt sind?

Fritz Sörgel: Solche Ideen, wie die von den Enhanced Games schwirren schon immer herum. Es gibt genug Verrückte im Sport, auch wenn das für mich nichts mehr mit Sport zu tun hat. Auf die Idee kommt glaube ich sowieso keiner. Es nennt sich zwar Enhanced Games, aber man müsste dafür eigentlich einen anderen Begriff suchen. Es geht eigentlich nur um eine Show, einen Zirkus, ums Spektakuläre. Und wir wissen, dass dabei Menschenleben keine so große Rolle spielen.

SPORT1: Das sind harte Vorwürfe an das Event, das sich auf die Fahnen schreibt, dass jeder mit seinem Körper machen kann, was er möchte.

Sörgel: Für mich ist es ein komplett unethisches Vorgehen und wirkt sich nicht positiv auf unsere Gesellschaft aus. Der Effekt, der davon ausgehen würde, hätte eine verheerende Wirkung auf das sowieso schon bestehende Problem in der Drogen-Szene. Dann können wir das Arzneimittelrecht auch in die Tonne schmeißen, wenn man solche Wettbewerbe erlauben würde. Aber ja, jeder Mensch hat das Recht, seinen Körper kaputt zu machen.

100m in 9 Sekunden? „Doping-Mittel haben ihre Grenze“

SPORT1: Die Organisation wirbt damit, bestehende Weltrekorde zu brechen. Über die 100 Meter wollen sie gar die Marke von 9 Sekunden brechen. Ist sowas mit Doping möglich?

Sörgel: Ich glaube nicht, dass es kurzfristig machbar ist, die 9-Sekunden-Marke zu brechen. Und kurzfristig bedeutet für mich in den nächsten zehn Jahren oder länger. Man muss schließlich eine Vorstellung haben, welche Substanzen helfen können. Und aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sehr gut beurteilen, dass es diese Substanzen nicht gibt. Sie können 20 Captagon einschmeißen und würden dennoch nicht auf eine solche Zeit kommen. Sie können sich Epo spritzen, bis es oben wieder herauskommt. Sie würden vorher sterben, weil ihr Körper zu viele rote Blutkörperchen hätte. Anabolika kann man nicht in zu hohen Dosen nehmen. Wenn wir Ben Johnson als Beispiel nehmen, dort hätte man nicht mehr allzu viele Muskeln hinzunehmen können, ohne dass sich der Laufstil zum Nachteil ändert. Es zeigt, dass auch Doping-Mittel ihre Grenzen haben.

SPORT1: Gäbe es auch andere Möglichkeiten, die Sportler zu neuen Rekorden zu bringen?

Sörgel: Es gibt auch sogenannte Pacemakers, also Schrittmacher, die man auch einbauen könnte. Für mich ist das aber ein großes Problem, denn auch hier wäre für mich eine Grenze überschritten. Die Leute, die eine solche Absurdität wollen, schauen sich aber immer die medizinische Fachliteratur an und machen sich Gedanken, wie sie die neuesten Erfindungen für sich nutzen können.

Technische Hilfsmittel „schwer zu verbieten“

SPORT1: Unabhängig von Doping mit Arzneimitteln oder technischen Hilfsmitteln im Körper zeigen sich die Verantwortlichen der Enhanced Games auch offen für technische Entwicklungen im Sport wie beispielsweise speziell entwickelte Schuhe, die einen schneller machen soll. Gehört sowas auch verboten?

Sörgel: Gegen physikalische Methoden, die den Körper nicht schaden, ist es schwer etwas einzuwenden. Diese Debatten hatten wir bereits mit dem Nike-Superschuh und rund um Konstanze Klosterhalfen. Große Unternehmen wie Adidas, Puma oder Nike arbeiten aber immer an den Dingen, mit denen man physikalisch etwas machen kann. Da wird es zu Fortschritten kommen, da brauchen wir uns nichts vormachen. Das ist relativ schwer zu verbieten, solange beispielsweise nicht der Körper verändert wird oder der Fuß verformt wird. Für Letzteres müsste man dann einen neuen Begriff wie „Körperveränderungs-Doping“ einführen. Das klingt etwas holprig, aber genau das wäre es.

Stecken die Sportler im Goldman-Dilemma?

SPORT1: Die Enhanced Games sollen jährlich an einem College in den USA stattfinden. Glauben Sie, dass ein solches Event auch nach Europa kommen wird?

Sörgel: Da in den USA ein einzelner Bundesstaat von der Gesetzgebung viel erlauben kann, bis ins Perverse, kann ich mir gut vorstellen, dass es ein einzelner US-Bundesstaat genehmigen wird. Bei uns in Deutschland und den meisten europäischen Ländern wäre das allerdings undenkbar.

SPORT1: Denken Sie, dass der Wettkampf viele Zuschauer anlocken würde?

Sörgel: Der Bedarf, Sensationen und Absurdes zu sehen, ist in der Gesellschaft offenbar groß. Also kann ich mir durchaus vorstellen, dass Menschen es schauen würden, denn es würde akzeptiert werden. Daher bin ich nicht so optimistisch, dass es genügend Menschen gibt, die nein sagen würden, weil die Idee der immer höheren Leistung damit verbunden ist. Und die Menschen wollen immer höhere Leistungen sehen. Es geht dort teilweise ins Schädliche, aber die Sportler machen das, wie auch das Goldman-Dilemma beweist.

SPORT1: Können Sie das genauer erklären?

Sörgel: Die Untersuchung liegt zwar schon einige Jahre zurück, aber man hat Leistungssportler in den USA gefragt, ob sie es akzeptieren würden, wenn sie in fünf Jahren sterben, aber vorher dank der Einnahme von Doping Olympiasieger werden. Der Anteil der Beteiligten, für die es in Ordnung wäre, lag bei rund 50 Prozent.

Sörgel sieht Los Angeles 2028 als wichtiges Signal für Olympia

SPORT1: Sie gehen also davon aus, dass bei den Enhanced Games zahlreiche Sportler an den Start gehen werden. Oder sehen wir dort vermehrt Sportler, die wegen Doping gesperrt sind bzw. waren?

Sörgel: Warum nur Sünder? Jeder will ein Star sein, Unmögliches vorführen und vor allem viel Geld verdienen. Und das wird es dort geben.

SPORT1: Ist dieses Event Thomas Bach und dem IOC vielleicht sogar ganz recht, weil sie im Vergleich ja nur gut aussehen können?

Sörgel: Die Zukunft der Olympischen Spiele ist schwer vorherzusagen, besonders Los Angeles in fünf Jahren wird richtungsweisend sein, wohin der Weg führt. Sport, Hollywood oder Show. Letzteres liegt mit Las Vegas, auch symbolisch betrachtet, nicht weit von Los Angeles entfernt. Ein Putin-Sotschi oder Wüstenfestspiele brauchen wir ebenso wenig – wie gesagt, eine Prognose ist schwer.