Von Martin Jahns
Nico Rosberg im Interview mit Sport1 über Kritik an seinem Fahrstil
Rosberg fährt die Ellbogen aus
München - Da war er wieder, der nette Herr Rosberg.
Als Formel-1-Tausendsassa Eddie Jordan bei der Siegerehrung von Spa den Mercedes-Piloten interviewen wollte, ließen die belgischen Fans ihrem Unmut über das Manöver des Deutschen gegen Lewis Hamilton freien Lauf. Rosberg aber blieb zumindest äußerlich cool und lächelte das Pfeifkonzert milde weg.
Auch die harsche Kritik seines Teams um Toto Wolff ("Absolut inakzeptabel!") und Niki Lauda ("Harakiri!") konterte Rosberg bei SPORT1 mit Freundlichkeit: "Wichtig ist, dass wir uns zusammensetzen, das diskutieren und weiter geht's. Unsere Stärke ist unsere Teamführung. Wir haben Toto und die Unterstützung von Niki, von daher bin ich zuversichtlich."
Auf der Strecke zeigte der 29-Jährige dafür zuletzt ein neues, kompromissloses Gesicht: Ohne Not rammte er seinem in Führung liegenden Teamkollegen den Frontflügel in den linken Hinterreifen und ruinierte so das Rennen des Briten (
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Hamiltons früherer Teamkollege Jenson Button hat dafür wenig Verständnis: "Es ist eine Schande, dass es kein fairerer Kampf ist. Ich war immer der Meinung, dass derjenige Weltmeister wird, der auf der Strecke den besten Job macht. Danach sieht es im Moment allerdings nicht aus."
Der Zusammenprall von Spa war der vorläufige Höhepunkt eines Duells, das sich in den letzten Rennen vom gesunden Konkurrenzverhältnis zur unerbittlichen Rivalität ohne Rücksicht auf Verluste entwickelte (DATENCENTER: Das Rennergebnis).
Nicht zuletzt, weil Rosberg zumindest auf der Strecke sein Image als Schwiegermutters Liebling zunehmend ablegt und keine Kompromisse mehr macht.
Dabei wurde der Wiesbadener vor vier Jahren noch vom eigenen Team getriezt: Das klebte ihm heimlich ein Foto von Britney Spears in den Reisepass. Schon zu seinen Williams-Zeiten 2006 bis 2009 hatte Rosberg den Spitznamen "Britney" weg - angeblich wegen seiner Extravaganzen und Zickereien. Über Jahre stand Nico Rosberg im Schatten seines berühmten Racer-Vaters Keke.
Doch in dieser Saison emanzipiert sich der Zögling mit starken Leistungen - und nun, wenn der Kampf um den WM-Titel in die heiße Phase geht, auch mit ausgefahrenen Ellbogen.
Schon im Qualifying von Monaco setzte Rosberg eine Duftmarke, als er eine mögliche Pole-Runde seines Teamkollegen unterband, indem er seinen Silberpfeil nach einem Verbremser am Streckenrand parkte und so die Gelbe Flagge provozierte.
In Ungarn ließ Rosberg seinem Unverständnis per Boxenfunk freien Lauf, als Hamilton - immerhin Weltmeister von 2008 und härtester Titelkonkurrent - ihn im direkten Zweikampf nicht vorbeiließ. In Spa schließlich wollte sich Rosberg im Duell mit Hamilton nicht geschlagen geben und nahm die Kollision in Kauf.
So glatt er sich häufig der Öffentlichkeit präsentiert, so sehr zeigt Rosberg im Cockpit inzwischen Kante.
Damit befindet sich der Deutsche in weltmeisterlicher Gesellschaft: Ayrton Senna und Michael Schumacher sind nicht zuletzt durch harte und teilweise sogar unfaire Manöver gegen ihre Rivalen Alain Prost, Damon Hill oder Jacques Villeneuve zu polarisierenden Weltmeistern und Motorsport-Ikonen geworden.
Nicht umsonst glaubt Hamilton, dass Nico Rosberg mit den Pfiffen auf dem Podest von Spa leben kann. "Ich denke, er ist zufrieden", resümierte der Engländer das Rennwochenende seines Teamkollegen zerknirscht.
In der Tat verbesserte der Crash Rosbergs Chancen, Weltmeister zu werden, erheblich: Sein Vorsprung in der Fahrerwertung beträgt nun 29 Punkte. Zudem befeuerte der eskalierende Streit der Mercedes-Piloten im Rennstall die Diskussion über die Einführung einer Stallorder (BERICHT: Droht jetzt die Stallorder?).
Einen besseren Zeitpunkt dafür könnte es für den Wahl-Monegassen kaum geben, zumal er Hamilton im Qualifying dieses Jahr gut im Griff hat (Die Qualifying-Duelle).
Über das inzwischen zerrüttete Verhältnis mit Lewis Hamilton macht sich Rosberg indes längst keine Illusionen mehr - und kündigte an, dass Spa nicht das Ende der Fahnenstange war: "Das ist nicht das letzte Mal. Das wird wieder kommen, das ist ganz normal. Wir kämpfen hier um Rennsiege und vielleicht auch den Titel."
Auf der Strecke wird man den netten Herrn Rosberg zumindest in dieser Saison wohl nicht mehr erleben. Und gerade das könnte der entscheidende Schritt zum WM-Titel sein.