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Formel 1: Gewinner und Verlierer des Saisonstarts - Kolumne von Peter Kohl

Wie lange tut sich Vettel das noch an?

Die neue Formel 1 rockt so gewaltig, dass sich Metallica im Vergleich dazu wie eine Kuschel-Rock-Band ausnimmt. Peter Kohl beleuchtet in seiner Kolumne die Gewinner und Verlierer des Saisonstarts.
Beim Formel-1-Auftakt in Bahrain landet Lewis Hamilton lediglich auf Platz 3 und profitiert von dem Aus der beiden Red-Bull-Fahrer. Mercedes hadert an allen Stellen.
Die neue Formel 1 rockt so gewaltig, dass sich Metallica im Vergleich dazu wie eine Kuschel-Rock-Band ausnimmt. Peter Kohl beleuchtet in seiner Kolumne die Gewinner und Verlierer des Saisonstarts.

Hallo Formel-1-Freunde,

durch die größte Reglement-Änderung der vergangenen 40 Jahre ist alles auf den Kopf gestellt worden! Aus einem Kettenkarussell ist ein Blue Fire Megacoaster mit Looping geworden, eine Achterbahn, die alles herumwirbelt und für einen Adrenalin-Boost sorgt. (DATEN: Die Fahrerwertung der Formel 1)

Der Reiz des Neuen fasziniert, bringt einen Sack voll Überraschungen. Establishment-Leader wie Mercedes befinden sich plötzlich beim Fußvolk, Kult-Rennstall Ferrari feiert nach Jahren als Watschen-Baum ein Feuerwerk-Comeback. Die Metamorphose von Haas vom Abonnenten auf die rote Laterne zum Favoriten-Stolperstein ist herzerfrischend.

Allem vorweg bin ich begeistert von der neuen Optik der F1-Boliden. Frisch, hyper-modern, aufgeräumt. Der Wegfall der tausenden Flaps, Windabweiser und Windlenker tut richtig gut. Die Autos sind wieder begreifbarer. Ein wichtiger Schritt!

Damit verbunden ist eine komplett neue Aerodynamik. Das Wirkungsspiel zwischen Chassis und Wind ist eine Atom-Wissenschaft in sich. Mercedes, das Team, das die vergangenen Jahre dominiert hat wie keines zuvor, kämpft plötzlich mit einem Pumpen und Durchschlagen des Fahrzeuges. Das Rudel bestbezahlter Aerodynamik-Wissenschaftler in den eigenen Reihen hat das im Vorfeld nicht erkannt. Das Mini-Team Haas hat dagegen mit deutlich geringeren Mitteln sehr effizient gearbeitet. Ferrari hat ein Auto auf die Piste gestellt, das auf allen Streckentypen funktionieren wird! (DATEN: Die Teamwertung der Formel 1)

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Das Hinterherfahren ist wesentlich einfacher geworden. Man macht dabei seine Reifen nicht mehr so stark kaputt, kann sich viel besser herankämpfen und zum Überholen ansetzen. Super, genau das, was man gewollt hat! Das Racing wird dadurch besser und spannender. Die Duelle Alexander Albon gegen Valtteri Bottas und Guanyu Zhou, Lewis Hamilton gegen Sergio Perez, aber vor allem Max Verstappen gegen Charles Leclerc nach dessen ersten Stopp, das hat uns vom Sitz gerissen. Die Teams sind vor allem im Mittelfeld extrem dicht beisammen. That`s Racing! Allerorten richtig was los. So rockt das.

Fluch und Segen der neuen Reifen

Die neuen 18-Zoll-Pirellis funktionieren auf Anhieb top. Größer, schwerer, breiter mit dickerer Lauffläche. Überreizt man das Gummi, kommt es nach zwei bis drei Kuschelrunden wieder zurück und geht nicht, wie zuletzt, sofort ab ins Nirwana. Das fördert die Risikobereitschaft im Cockpit. Und das wollen wir sehen! Die neuen Formen und Größen haben auch dafür gesorgt, dass selbst ein Spitzenteam wie Mercedes plötzlich viel Zeit beim Stopp liegen lässt. Die Sterne-Jungs in der Boxengasse sind da deutlich langsamer als die von Ferrari und Red Bull. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Formel 1)

Im Bereich Antriebe gibt es frischen Wind. Ferrari ist plötzlich die Bench-Mark. Die Ferrari-befeuerten Boliden haben gesammelt überragend abgeschnitten. Die Kult-Racer aus Maranello sind back! Rot ist wieder sexy. Und das ist so wichtig! Denn nach wie vor hat kein anderer Rennstall so viele Fans weltweit, wie die Myhtos-Marke aus Italien. Den letzten Sieg vor Bahrain hat Ferrari in Singapur 2019 geholt, vor 45 Rennen – verdammt lang her für ein Spitzenteam! Die Hire-and-Fire-Politik hat man mal links liegen gelassen und an Mattia Binotto als Teamchef festgehalten. Und der hat sein Feld jetzt offensichtlich ordentlich sortiert. Die Rädchen greifen intern jetzt so, wie sie das sollen und müssen. So ein Prozess dauert. Die Früchte dafür kann man jetzt wohl einsammeln.

McLaren und Aston Martin als große Verlierer

Die komplett neue Technik ist für alle noch eine Wundertüte, die Überraschungen in alle Richtungen liefert. McLaren wurde häufig als Geheimfavorit genannt aufgrund der tollen Entwicklung im vergangenen Jahr. Aber die Papaya-Orangen rumpeln über die Bahrain-Piste wie löchrige Apfelkisten, aus denen das Obst purzelt. Überheizende Bremsen, ein Gesamtpaket, dem der Abtrieb und die Pace fehlt – puh, das ist eine Menge Holz, das Andreas Seidl und sein Team zu verarbeiten haben. Da helfen auch Topfahrer wie Lando Norris und Daniel Ricciardo nicht mehr, die einem leidtun können im Augenblick.

Ganz zu schweigen von Aston Martin, dem neuen Team am Ende der Fahnenstange! Da stellt sich die Frage, ob sich Sebastian Vettel das wirklich noch mal über eine ganze Saison antun will... Aber in allen Bereichen gibt es für alle noch reichlich Möglichkeiten, neue Ansätze und Ideen zu finden, Kreativität einzubringen. Es ist gar nichts in Stein gemeißelt, alles ist in Bewegung und in einem Weiterentwicklungsstadium.

Der Budget-Deckel macht es möglich, jetzt können auch die kleineren Teams mit ihren Ressourcen mit den Großen mithalten. Damit ist ein weiteres Ziel der Reglement-Änderung erreicht. Red Bull, Ferrari und Mercedes werden auf mittlere und vor allem lange Sicht wieder vorne sein. Aber in der ersten Hälfte der Saison sind durch gemischte Felder erst mal an der Tagesordnung und sorgen für viel Abwechselung.

Chinese Guanyu Zhou schreibt Geschichte

Die neue Technik und Aerodynamik im Zusammenspiel mit den neuen Reifen machen es den Fahrern offensichtlich leichter. Dass Rookie Guanyu Zhou gleich in seinem ersten F1-Rennen den ersten WM-Punkt eines Chinesen überhaupt holen kann, spricht dafür. Ebenso das Comeback von Kevin Magnussen. Vor zwei Wochen war der Däne noch kein Formel-1-Fahrer, hat unvermittelt seine Chance bekommen durch den Bann des Russen Nikita Mazepin. In seinem ersten Formel-1-Leben war Magnussen weiß Gott kein Überflieger. Bei seiner Blitz-Rückkehr schrammt er nur knapp an einer Podiums-Platzierung vorbei. Hülkenberg hatte vor seinem Einsatz in Bahrain noch gar nicht im Aston Martin gesessen und hat sich beachtlich in der grünen Gurke geschlagen.

Haltbarkeit und Zuverlässigkeit lassen bei einem Neuanfang erfahrungsgemäß zu wünschen übrig. Die Red-Bull-Fraktion kann davon in Bahrain ein Lied singen. Auch der Richtung Punkte fahrende Pierre Gasly, der mit einem Feuer im Heck kurz vor Schluss strandet. To be first, first you have to finish - das gilt momentan ganz besonders. Die Rennen werden noch eine Weile eine Party mit Überraschungsgästen bleiben, die man nicht eingeladen hat. Das Aussortieren der Gremlins, die sich einschleichen, wird eine Weile dauern. Nichts ist wirklich vorhersagbar. Das bringt Spannung von der ersten bis zur letzten Runde.

Deshalb freue ich mich tierisch darüber, dass die Saison mit einem Double-Header beginnt. Von Bahrain geht es direkt weiter nach Saudi-Arabien. (DATEN: Der Rennkalender der Formel 1)

Nicht viel Zeit, um sich neu zu sortieren. Die in der Sakhir-Wüste Geschlagenen werden trotzdem alles daran setzen.

Bleiben Sie gesund, PEDAL TO THE METAL - Ihr Peter Kohl.

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