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Bei Olympia in München schuf sie ein Vermächtnis für die Ewigkeit

Ein Vermächtnis für die Ewigkeit

Olga Korbut stieg vor 53 Jahren bei Olympia in München zum Liebling der Massen und zur Revolutionärin ihrer Sportart auf. Im Leben nach der Karriere der heute 70-Jährigen gab es einige Turbulenzen.
Olga Korbut ist eine der Ikonen der Olympischen Spiele von München 1972
Olga Korbut ist eine der Ikonen der Olympischen Spiele von München 1972
© IMAGO / Sven Simon
Olga Korbut stieg vor 53 Jahren bei Olympia in München zum Liebling der Massen und zur Revolutionärin ihrer Sportart auf. Im Leben nach der Karriere der heute 70-Jährigen gab es einige Turbulenzen.

Mit ihren beiden zur Seite gerichteten Zöpfen und dem schüchternen Lächeln in dem weißen Anzug mit rotem Kragen sah Olga Korbut eigentlich nicht aus wie ein Weltstar.

Und doch stieg die Turnerin aus der damaligen UdSSR in den letzten Tagen des Augusts 1972 bei den Olympischen Spielen in München mit drei Goldmedaillen und einmal Silber zur absoluten Heldin des internationalen Publikums auf.

Korbut war ein umjubelter Star, wie heute Simone Biles. Auch die deutschen Zuschauer erlagen der speziellen Faszination des jungen Phänomens der Sowjetunion. Die rund 10.000 Fans in der Olympiahalle flippten nach jeder Übung der damals 17-Jährigen aus.

Heute vor 53 Jahren begann der legendäre „Spatz von Grodno” ihren Gold-Lauf, der bis heute ähnlich untrennbar mit den Spielen in München verbunden ist wie das Siebenfach-Gold von Mark Spitz. Ihr Leben danach verlief enorm turbulent.

Olympia 1972 in München: Olga Korbut wird zur Legende

Korbut, geboren am 16. Mai 1955 im heutigen Belarus als Tochter eines Ingenieurs und einer Köchin, begann das Turnen mit acht Jahren.

Sie kam auf die Schule des profilierten Renald Knysh, der sie anfangs der Legende nach als „zu faul und launisch“ empfunden haben soll. Mit der Zeit aber erkannte er das besondere Potenzial, das Jahre später die Massen begeisterte: ihr technisches Talent, ihr einnehmendes Charisma, die außergewöhnliche Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen.

Korbut, 1,53 klein und als Teenagerin nur 38 Kilo schwer, definierte auch wegen ihrer besonderen körperlichen Voraussetzungen das Turnen neu - hin zu mehr spektakulärer Akrobatik, die nicht mehr nur eingefleischte Fans, sondern auch die Massen begeisterte. Korbuts große Show in München wurde zum Maßstab für alle anderen weiblichen Turnstars nach ihr.

Der berühmte „Korbut-Flip“ ist mittlerweile verboten

Am Boden, auf ihrem geliebten Schwebebalken und im Team-Mehrkampf sahnte die selbsternannte „Mutter des Turnens“ Gold ab. Am Stufenbarren verblüffte Korbut mit einem neuen spektakulären und waghalsigen Salto und holte Silber. Der „Korbut-Flip“ war wegen des Risikos einer folgenschwer verunglückten Landung so gefährlich, dass er mittlerweile längst wieder verboten ist.

Und dann gab es noch das große Drama im Einzel-Mehrkampf. Alle rechneten mit einem weiteren Triumph. Doch die Übung am Stufenbarren ging komplett schief und sie wurde Siebte. Da weinte Korbut bitterlich - und ganz München litt mit.

Die bittere Niederlage verlieh dem Triumphzug nochmal eine andere dramaturgische Ebene - die Sympathie für Korbut wurde noch größer. „An Medaillen und Titeln bin ich nicht interessiert. Ich brauche sie nicht. Ich brauche die Liebe des Publikums, und dafür kämpfe ich“, sagte sie später selbst einmal.

Korbut hatte 1976 in Montréal noch einen weiteren Olympia-Auftritt, war dort aber angeschlagen und nicht in Bestform: Sie holte nochmal Silber am Schwebebalken und Mannschafts-Gold - aber die neue, alles überstrahlende Turn-Sensation war nun die damals erst 14-jährige Nadia Comaneci.

Irritationen um Ladendiebstahl-Vorwurf und verkaufte Medaillen

Ein Jahr nach Montréal trat Korbut ab und wurde Lehrerin. Nach dem Ende des Kalten Krieges zog sie wie Comaneci in die USA - gesundheitliche Sorgen wegen der Reaktorkatastrophe im nicht weit von ihrer Heimatstadt entfernten Tschernobyl spielten eine Rolle - und wurde Trainerin für den Turn-Nachwuchs.

Seit ihrem Karriere-Ende war Korbut mehrfach aufgrund persönlicher Dramen und Verfehlungen in den Schlagzeilen: Sie hat zwei Scheidungen hinter sich, ihr einziger Sohn saß Anfang des Jahrtausends wegen Geldwäsche für mehr als drei Jahre im Gefängnis.

Korbut selbst wurde 2002 nahe Atlanta wegen Ladendiebstahls verhaftet und angeklagt - es ging um Käse, Obst, Tee und Schokosirup im Wert von 19 Dollar. Ein Missverständnis, beteuerte Korbut - sie hätte nur ihre Geldbörse im Auto vergessen und habe unbedacht mit den Waren das Geschäft verlassen.

Weitere Irritationen löste Korbut aus, als sie 2017 ihre Medaillen und weitere persönliche Erinnerungsstücke versteigern ließ. Die naheliegenden Spekulationen über Geldsorgen wies sie zurück: Sie habe in einen großen Garten investieren wollen, der ihr für ihr Lebensglück wichtiger sei. Ein Teil des Erlöses soll auch an wohltätige Einrichtungen gegangen sein.

Korbut offenbarte Missbrauch durch ihren Trainer

Zu Korbuts Geschichte gehören auch Missbrauchserfahrungen: Sie beschuldigte schon 1999 ihren früheren Trainer Knysh, sie und andere minderjährige Turnerinnen als „Sexsklavinnen“ ausgebeutet zu haben. Knysh bestritt die Anschuldigungen, die Korbut im Zuge der #MeToo-Bewegung bekräftigte. Knysh starb im Jahr 2019 in der belarussischen Heimat, von der Justiz unbehelligt.

Das Vermächtnis von Korbut, die in diesem Jahr 70 geworden ist, wird weiter in Ehren gehalten: 1988 wurde sie als erstes Mitglied überhaupt in die Hall of Fame des Turnens aufgenommen und war fünf Jahre lang das einzige Mitglied.

Als Wachsfigur hat Korbut auch im Berühmtheiten-Kabinett von Madame Tussaud in London einen Platz, sie fand Erwähnung in den Peanuts und in X-Men. Die US-Zeitschrift Sports Illustrated zählt sie zu den 40 wichtigsten Sportstars der Geschichte.