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Der Superstar im Schatten von van Almsick

Der Superstar in van Almsicks Schatten

Dagmar Hase zählt zu den erfolgreichsten Sportlerinnen Deutschlands. Trotzdem kennen sie die meisten heute nicht wegen ihrer Erfolge, sondern wegen eines besonderen Moments.
Dagmar Hase zählt zu den erfolgreichsten deutschen Sportlerinnen
Dagmar Hase zählt zu den erfolgreichsten deutschen Sportlerinnen
© IMAGO/Claus Bergmann
Dagmar Hase zählt zu den erfolgreichsten Sportlerinnen Deutschlands. Trotzdem kennen sie die meisten heute nicht wegen ihrer Erfolge, sondern wegen eines besonderen Moments.

Sie zählt zu den erfolgreichsten deutschen Sportlerinnen aller Zeiten und holte im Schwimmsport so viele Erfolge wie kaum eine andere Sportlerin - und trotzdem kennen viele Dagmar Hase oft eher für eine ganz spezielle Geste.

Fast schon unglaubliche 27 Medaillen (neun Goldmedaillen, 14 Silbermedaillen und vier Bronzemedaillen) gewann Hase bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften.

Speziell bei Olympia gibt es wenige deutsche Sportlerinnen, die solch einen beeindruckenden Medaillen-Satz vorweisen können. 1992 in Barcelona gewann sie einmal Gold und zweimal Silber. Vier Jahre später in Atlanta dreimal Silber und einmal Bronze.

Dennoch steht Hase, die am 22. Dezember ihren 56. Geburtstag feiert, oft im Schatten von Schwimm-Stars wie Franziska van Almsick oder Sandra Völker, die nie Olympiasiegerinnen wurden.

Schwimm-WM 1994 wird für Hase zum einschneidenden Moment

Ausgerechnet in der so besonderen Karriere von Schwimm-Star Franziska van Almsick nimmt Hase eine zentrale Rolle ein, für die sie wohl die meisten Sportfans in Erinnerung haben.

Es laufen die Schwimm-Weltmeisterschaften 1994 in Rom. Hase schwamm zu dieser Zeit nach ihren tollen Olympischen Spielen 1992 auf dem Höhepunkt ihrer Karriere.

Van Almsick war zwar erst 16 Jahre alt, doch nach ihren vier Medaillen bei den Spielen zwei Jahren zuvor mit gerade einmal 14-Jahren war sie zum ersten gesamtdeutschen Sportstar aufgestiegen.

Im monumentalen Foro Italico ereignete sich während der Schwimm-WM 1994 ein achtstündiges Drama in vier Akten, in den Hauptrollen van Almsick und Dagmar Hase. Applaus bekamen am Ende beide, doch nur van Almsick wurde Weltmeisterin und Weltrekordlerin.

Hase blieben nur ein Blumenstrauß, ein warmes Dankeschön und ein paar Tränen. „Ich war in Rom der Depp“, sagte die Olympiasiegerin Hase einmal.

Hase-Verzicht sorgt für magischen van-Almsick-Moment

Das war passiert: Im Vorlauf am Vormittag über 200 m Freistil will van Almsick, die im Jahr zuvor sechs EM-Goldmedaillen und bei Olympia 1992 Silber gewonnen hatte, ins Finale schwimmen.

Doch die Konkurrenz schüchtert sie ein, die Chinesinnen zum Beispiel „sahen furchteinflößend aus“, sagte van Almsick der Bild am Sonntag: „Auf dem Startblock war ich schon fix und fertig.“

Das Ausnahmetalent schlägt nur als Neunte an - raus im Vorlauf! Absolut niemand im Team hatte damit gerechnet. Am wenigsten van Almsick selbst.

Wütend flüchtet sie ins Hotel, schließt sich ins Badezimmer ein und bekommt nicht mit, dass die DSV-Verantwortlichen eine Lösung finden. Die für den Endlauf qualifizierte Hase verzichtet kurz vor Meldeschluss auf ihren Startplatz.

„Einen Blumenstrauß“ gab es: Hase über ihren Verzicht

Gerüchte machen die Runde, Hase sei von van Almsicks Management unter Druck gesetzt oder gar bezahlt worden. „Einen Blumenstrauß“ habe es gegeben, verriet Hase einmal, „aber keine Urlaubsreise eines Sponsors“, wie oft geschrieben wurde.

Der Verzicht hatte auch taktische Gründe: „Ich wollte am nächsten Tag Weltmeisterin über 400 Meter werden. Und die Konstellation mit Franzi passte.“

Van Almsick hatte also das Glück, ihren Fauxpas vom Vorlauf korrigieren zu können. Aber sie stand auch unter einem fast unmenschlichen Druck. Hase drückt ihr kurz vor dem Start die Hand und baut sie auf: „Ich weiß, dass du das kannst.“

Die 16-Jährige überwindet ihre Angst vor einem erneuten Versagen, schwimmt auf der Außenbahn in Weltrekordzeit (1:56,78 Minuten) zu Gold. Danach setzt sie sich im Pressebereich auf einen Stuhl und weint unentwegt.

Bei der Siegerehrung zeigt die Weltmeisterin kaum Freude. „Ich habe an diesem Tag so unfassbar emotional gelitten wie noch nie“, sagt van Almsick. Dagmar Hase sei sie bis heute sehr dankbar, sie werde „immer einen festen Platz in meinem Herzen haben“.

Hases Plan geht nicht auf

Hases Plan, sich voll auf die 400 Meter zu konzentrieren, ging dagegen so gar nicht auf. Ihre Form im 400-m-Rennen passte nicht und so verpasste sie als Neunte das Finale.

„Mir blieb nicht die Möglichkeit, das Pech zu korrigieren“, sagt Hase anschließend: „Da platzt mein Traum wie eine Seifenblase.“

Die Tränen flossen.

Die Geschichte gewinnt zudem an Tragik, weil in der Theorie auch für Hase eine Teamkollegin hätte zurückziehen können. Doch Teamkollegin Jana Henke ging an den Start und wurde Sechste. Die Olympiasiegerin schaute dagegen in die Röhre.

Hase hat zahlreiche Erfolge vorzuweisen

In Rom holte Hase letztendlich „nur” Silber mit der 4x200-m-Staffel. Im Anschluss an die WM feierte sie zudem noch zahlreiche Erfolge.

So holte sie 13 ihrer insgesamt 27 Medaillen bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften nach der Drama-WM in Rom.

Unter anderem kamen noch vier Olympia-Medaillen (dreimal Silber, einmal Bronze), ein Weltmeistertitel (1998 in der 4x200-m-Staffel) und drei Europameistertitel (1997 über 400-m-Freistil und 1995 und 1997 zweimal in der Staffel) hinzu.

Überstrahlt wurden diese Erfolge über Jahre aber eben von jenem einschneidenden Moment in Rom. Ihre Teamkollegin van Almsick wurde durch ihren Verzicht endgültig zum Star - und Hase stand noch mehr in ihrem Schatten.

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Mit Sport-Informations-Dienst (SID)