Wenn die Kansas City Chiefs am Sonntag in New Orleans wie vor zwei Jahren auf die Philadelphia Eagles treffen, bietet sich ihnen die historische Chance, als erste NFL-Franchise überhaupt zum dritten Mal in Folge den Super Bowl zu gewinnen.
Das Uhrwerk hinter dem Imperium
Einer, der die erfolgreiche Ära um Quarterback-Superstar Patrick Mahomes seit Jahren eng begleitet, ist Darren Smith. Der Radio-Host von KLKC in Kansas City berichtet die gesamte Saison über von den Spielen der Chiefs und berichtet zum fünften Mal in Folge live vom Super Bowl.
Im ausführlichen SPORT1-Interview vor Ort in New Orleans gibt er Einblicke in die gut geölte Maschinerie der Franchise, spricht über die Unterschiede zum Duell mit den Eagles vor zwei Jahren, drohende Langeweile in der NFL - und was die Chiefs aus seiner Sicht sogar der Dynastie Tom Bradys bei den New England Patriots voraus haben.
SPORT1: Mr. Smith, noch kein NFL-Team hat in der Super-Bowl-Ära die Chance auf einen Threepeat gehabt - bis die Chiefs kamen. Was ist das Geheimnis hinter dem Erfolg?
Darren Smith: Ich habe schon oft darüber nachgedacht, warum es zuvor noch nie ein Team geschafft hat. Meiner Meinung nach fängt es mit dem Eigentümer Clark Hunt an und setzt sich dann bis nach unten fort. Er hat smarte Leute eingesetzt, die obendrein gut miteinander auskommen, ohne irgendwelche Machtspielchen oder ähnliches. Es ist fast schon schockierend, wie gut sich dort alle verstehen.
SPORT1: Wer sind in Ihren Augen die entscheidenden Figuren?
Smith: Das sind natürlich Leute wie Head Coach Andy Reid oder Team President Mark Donovan. Aber man muss auch dem ehemaligen General Manager John Dorsey große Anerkennung zollen, der sehr gut darin war, die richtigen Spieler zu draften, und der Spieler wie Patrick Mahomes oder Chris Jones geholt hat.
SPORT1: Was dazu geführt hat, dass sich nach und nach ein Kader mit der aktuellen Qualität entwickelt hat.
Smith: Wenn man jemanden wie Mahomes bekommt, der das vielleicht größte Talent seiner Generation ist, und ihn mit Spielern wie Travis Kelce, Tyreek Hill, Chris Jones und all den anderen zusammentut - das war natürlich im Vergleich zu vorher ein Unterschied wie Tag und Nacht. Es gab für mich aber noch eine entscheidende Personalie.
SPORT1: Und zwar?
Smith: Nachdem die Chiefs im Januar 2019 im AFC Championship Game gegen die New England Patriots verloren hatten, haben sie in Steve Spagnuolo einen neuen Defensive Coordinator verpflichtet. Wenn man einen neuen Coordinator einsetzt, dann dauert es normalerweise ein Jahr, bis alles funktioniert - aber in diesem ersten Jahr haben sie direkt den Super Bowl gewonnen. Wenn du dann dieselben Spieler hältst, wird das Verständnis immer tiefer. Egal, was er ansagt, sie kennen es alles aus dem Effeff. Insgesamt haben sie wirklich Glück gehabt, was Konstanz und Beständigkeit im Team angeht. Es ist wie eine gut geölte Maschine - und das war eine lange Antwort, um zu sagen, dass die Chiefs da einfach insgesamt eine sehr gute Organisation am Laufen haben.
SPORT1: Jetzt kommt es in diesem Jahr zu einem Rematch des Super Bowls von vor zwei Jahren gegen die Philadelphia Eagles. Was ist diesmal anders als damals?
Smith: Saquon Barkley (Running Back der Eagles, Anm. d. Red.). (lacht laut) Er ist ganz sicher der größte Unterschied. Und auf Seiten von Kansas City ist es die zusätzliche Erfahrung - aber auch, dass sie mehr ältere Spieler haben, die auf der Jagd nach ihrem ersten Ring sind: DeAndre Hopkins, Hollywood Brown, Juju Smith-Schuster oder auch Kareem Hunt. Seine Rückkehr ist für mich einer der Schlüssel für den Erfolg der Chiefs in dieser Saison. Da schließt sich ein Kreis, nachdem er 2018 gegangen war - und er ist der Herzschlag dieser Chiefs-Offense. Das sind für mich die beiden großen Unterschiede im Vergleich zu 2023: die Führungsstärke der erfahrenen Spieler bei den Chiefs, die unbedingt ihren ersten Ring gewinnen wollen - und Saquon Barkley auf der anderen Seite bei den Eagles.
SPORT1: Die Chiefs haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sie viele Stärken haben. Was ist Ihrer Meinung nach die größte davon?
Smith: Ich würde sagen, ihre größte Stärke ist immer noch die Defense. Natürlich: Patrick Mahomes ist immer in der Lage, mit seiner Offense Punkte aufs Board zu bringen. Das haben sie auch gegen Buffalo wieder gezeigt, als sie 32 Punkte gemacht haben. Aber wenn es eine starke Defensivleistung braucht, um zum Beispiel jemanden wie Saquon Barkley in Schach zu halten, dann glauben sie fest daran, dass sie auch das können. Ich halte die Defense für etwas wichtiger, weil diese sie auch in engen Partien immer wieder im Spiel gehalten und die Big Plays gemacht hat - wie zum Beispiel gegen Buffalo bei 4th & 5 zwei Minuten vor dem Ende.
SPORT1: Stärken zu finden ist bei diesem Team einfach, aber gibt es auch Schwächen bei Kansas City?
Smith: Eigentlich hätte ich gesagt, die Tackle-Position. Aber seitdem sie Joe Thuney von Left Guard auf Left Tackle geschoben haben und nachdem Jawaan Taylor sich in den Playoffs wirklich gesteigert hat, sehe ich das etwas anders. Ich will nicht voreingenommen klingen, aber aus meiner Sicht haben sie ihre Schwächen ziemlich gut ausgemerzt. Wenn ich aktuell unbedingt eine wählen müsste, würde ich sagen, es ist die Running-Back-Position. Kareem Hunt hat ordentlich gespielt, aber Isaiah Pacheco war die letzten Wochen nicht auf seinem gewohnten Level. Vielleicht macht ihm seine Verletzung noch zu schaffen - aber wenn ich eine Schwäche wählen müsste, wären es für mich momentan die Running Backs.
SPORT1: Gibt es für Sie abseits der großen Namen wie Mahomes, Kelce, Hunt oder Jones jemanden, der im Super Bowl zum X-Faktor für die Chiefs werden könnte?
Smith: Da müssen wir nur zurückschauen auf den letzten Super Bowl gegen die Eagles: Harrison Butker, der Kicker. Das Spiel stand damals 35:35, er hat das Field Goal geschossen und ihnen damit praktisch den Super Bowl gewonnen. Er ist nach einer Verletzung Mitte Dezember zurückgekommen, hat seither kaum einen Kick verschossen und in den Playoffs bisher alle getroffen. Er kann sicherlich wieder zum X-Faktor werden. Und in der Defense würde ich George Karlaftis nennen, der auf der gegenüberliegenden Seite von Chris Jones dafür sorgen muss, Jalen Hurts unter Druck zu setzen.
SPORT1: Es gab zwischenzeitlich, auch aufgrund von Verletzungen, immer mal wieder kleinere Zweifel an Patrick Mahomes - und doch steht er wieder im Super Bowl. Auf welchem Level ist er Ihrer Meinung nach aktuell?
Smith: Er ist eher auf dem Level von letztem Jahr als auf dem von vorletztem Jahr (in dem er unter anderem einen persönlichen Rekord bei Passing Yards aufstellte, Anm. d. Red.) - aber was besser ist als letztes Jahr: Dieses Jahr stammen die meisten seiner Interceptions aus der ersten Hälfte der Saison und jetzt hat er seit dem Spiel gegen die Bills Mitte November keine einzige mehr geworfen!
SPORT1: Was vielleicht auch daran liegt, dass seine Top-Receiver alle wieder gesund sind.
Smith: Genau - und ganz ehrlich: So wie diese Offense aufgestellt ist, sollten die Chiefs niemals den Ball punten müssen! Wenn Mahomes einigermaßen beschützt wird, wird er immer ein Play machen können. Wenn man Xavier Worthy doppelt, ist Hollywood Brown offen. JuJu Smith-Schuster, DeAndre Hopkins - irgendjemand muss eigentlich immer frei sein.
SPORT1: Von seinen Fähigkeiten im Passspiel abgesehen: Wirkt es nur aus der Ferne so oder ist auch Mahomes’ Laufspiel in den vergangenen Jahren deutlich besser geworden?
Smith: Ich sehe ihn ja jede Woche spielen, sehe alle Spiele - und das mit dem Laufen ist eine lustige Sache bei ihm. Er legt darauf keinen Fokus, aber wenn die Defense es anbietet und er das Gefühl hat, dass er jetzt ein Play mit seinen Beinen machen muss, dann tut er das - und dann ist es ihm auch egal, ob er einen Hit abbekommt. Er ist groß und kräftig genug, um das abzukönnen.
SPORT1: Im vergangenen Jahr war die Beziehung zwischen Travis Kelce und Taylor Swift und ihr Super-Bowl-Besuch ein großes Thema im Vorfeld des Spiels. Wie wird das Ganze ein Jahr später in Kansas City wahrgenommen?
Smith: Das war schon immer eher woanders ein großes Thema. Die Leute brauchen eben etwas, worüber sie reden können. Und ich verstehe das: Sie ist eben Taylor Swift. Ich bin kein Swiftie, ich verstehe die Faszination nicht - aber das mache ich niemandem zum Vorwurf. Wichtig ist nur: Sie hat sich nie in den Mittelpunkt gestellt, sie hat einfach nur ihren Freund angefeuert.
SPORT1: Wird die Dominanz der Chiefs langsam zum Problem für die NFL? Droht womöglich Langeweile?
Smith: Nein, das glaube ich nicht. Und selbst wenn ich ja sagen würde, würden die Daten etwas anderes zeigen. Zum Beispiel hat eine Rekordzahl von 57 Millionen Menschen in den USA das Spiel gegen die Bills gesehen - manche davon vielleicht, weil sie gehofft haben, dass die Chiefs gestürzt werden. Aber entscheidend ist: Sie haben zugeschaut! Jedem, der mir erzählt, dass er den Super Bowl nicht schaut, glaube ich das nicht wirklich.
SPORT1: Sollte es Kansas City tatsächlich schaffen, den dritten Titel in Serie zu holen, stehen sie dann auf einer Stufe mit den Patriots von Bill Belichick und Tom Brady?
Smith: Wenn ihnen der Threepeat gelingt, dann sind sie auf demselben Level, ja. Man könnte sogar argumentieren, dass sie dann vorbeiziehen würden, denn: New England hat diese Erfolge in 20 Jahren geholt, mit einer großen Unterbrechung von zehn Jahren. Die Chiefs haben alles in sieben Jahren seit Mahomes‘ Ankunft erreicht: fünf Super-Bowl-Teilnahmen, womöglich einen vierten Titel, dazu zwei knappe Niederlagen nach Overtime im AFC Championship Game - und das war das schlechteste Abschneiden unter Mahomes!
SPORT1: Es ist also noch kein Ende dieser erfolgreichen Ära in Sicht?
Smith: Wenn sie diesmal wieder gewinnen, warum sollten die Chiefs nächstes Jahr nicht vier Titel in Serie holen? Sie haben die AFC West in den vergangenen neun Jahren immer gewonnen. Wenn du die Division gewinnst, hast du automatisch ein Heimspiel in den Playoffs, dann geht es nur um die Setzliste - und sobald du den Nummer-1-Seed hast, musst du wieder nur zwei Spiele gewinnen, um im Super Bowl zu stehen.
SPORT1: Und was könnte den Chiefs zum Verhängnis werden?
Smith: In meinen Augen gibt es einen entscheidenden Faktor - und der ist schlicht und ergreifend, ob ihre Spieler gesund bleiben.