Platz zwei im Staffel-Rennen bei der Biathlon-WM - trotzdem wollte bei den norwegischen Athleten keine Freunde aufkommen. Die Topfavoriten um Sturla Holm Laegreid, Tarjei Bö, Johannes Thingnes Bö und Vetle Sjaastad Christiansen mussten sich am Samstag überraschend dem Rivalen aus Schweden geschlagen geben.
Norwegen erlebt „höllisches Drama“
Ihr dennoch verhaltener Jubel über die Silbermedaille war vor allem darauf zurückzuführen, dass Schlussläufer Christiansen im letzten Schießen noch einen stolzen Vorsprung von einer Minute und zwei Sekunden aus der Hand gegeben hatte.
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Dem 31-Jährigen versagten im Stehendanschlag die Nerven, er traf nur zwei Scheiben und musste drei zusätzliche Runden drehen. Verfolger Sebastian Samuelsson nutzte den Einbruch eiskalt aus und verwies die Norweger, die in den Einzelwettbewerben herausragende acht von neun möglichen Podestplätzen einfahren konnten, auf den zweiten Rang.
Norwegen-Star sorgt für „höllisches Drama“
Fassungslosigkeit machte sich im norwegischen Lager breit: „Beim letzten Schießen kann alles passieren. Leider musste ich heute mit schlechtem Beispiel vorangehen. Darüber bin ich sehr enttäuscht. Das muss die schlechteste Serie aller Zeiten gewesen sein“, erklärte Christiansen dem Sender NRK.
Der Biathlet nahm angesichts seines Einbruchs kein Blatt vor den Mund: „Einen deutlicheren Sündenbock kann man nicht finden. Es war unglaublich enttäuschend.“ Auch die Presse fand klare Worte: Der norwegische Sender TV2 sprach von einem „höllischen Drama“ und „einem sensationellen Zusammenbruch“.
Dominator Johannes Thingnes Bö, der durch den Aussetzer das 20. WM-Gold seiner Karriere verpasste, war mit Silber nicht zufrieden: „In diesem Sport kann alles passieren, aber das ist schrecklich, wenn wir so weit vorne liegen.“ Sein älterer Bruder Tarjei stellte klar: „Wir sind natürlich enttäuscht, nur Gold war gut genug.“
Christiansen nennt Gründe für das Fiasko
Christiansen versuchte sich in einer Erklärung für sein Fiasko. „Ich habe mich heute unglaublich fit gefühlt“, sagte er. Aus diesem Grund sei er sei auf der Strecke schneller gelaufen, als er es hätte tun sollen.
Schließlich wackelten am Schießstand die Knie des Norwegers. „Es gab kein Zurück mehr, als ich anfing zu zittern“, meinte Christiansen.
Schon im vergangenen Jahr bei der WM in Oberhof hatten die Norweger - ungeachtet ihrer Dominanz in allen Einzelwettkämpfen - in der Staffel den ersten Platz verpasst. Damals stahl Frankreich den Skandinaviern die Show.
Schweden bejubelt Triumph über den großen Rivalen
Dass nun ausgerechnet die schwedischen Rivalen durch Christiansens Patzer Gold einfuhren, verschärft die Enttäuschung für Norwegen nur noch weiter.
„Es ist die beschämendste Medaillenzeremonie, an der ich je teilgenommen habe. Silber ist grundsätzlich gut, aber es hat einen extremen Beigeschmack, das muss ich zugeben“, betonte Christiansen gegenüber VG.
Auf der anderen Seite freuten sich die Schweden umso mehr über die Goldmedaille und den damit verbundenen Triumph über ihre Nachbarn.
„Es ist natürlich absolut fantastisch“, erklärte Schlussläufer Samuelsson bei NRK und fügte hinzu: „Wir reden viel über Norwegen. Dass wir sie schlagen wollen, und dass sie die Besten sind. Sie in der wichtigsten Staffel zu schlagen, das ist cool.“
Samuelsson: „Vielleicht sollten wir Blumen schicken“
Auch Teamkollege Martin Ponsiluoma gab zu, dass der Sieg über Norwegen etwas Besonderes ist: „Man kann nicht lügen und etwas anderes behaupten.“
Zuletzt hatten die norwegischen Athleten den Schweden zum Valentinstag Rosen geschickt, als eine Art Stichelei. „Vielleicht sollten wir als Gegenleistung ein paar Blumen schicken“, schlug Samuelsson vor, während Christiansen mit einem Lachen zugab, die Rosen-Aktion nun zu bereuen.
Bereits der Auftakt in das Staffel-Rennen war für Norwegens Männer alles andere als erfolgreich verlaufen. Startläufer Sturla Holm Laegreid leistete sich eine Strafrunde, was das Team auf den neunten Rang zurückwarf.
„Die Tatsache, dass Norwegens bester Schütze gleich auf der ersten Etappe in die Strafrunde muss, ist eine kleine Sensation“, analysierte NRK-Kommentator Jann Post.
Laegreid kämpft mit „zusätzlichem Druck“
Laegreid sprach über den „zusätzlichen Druck“ bei einer WM-Staffel: „Damit konnte ich heute offensichtlich nicht umgehen.“
„Es war eine etwas andere Ausgangslage, als ich vor dem Start dachte“, gestand Tarjei Bö, der als Zweiter in die Loipe ging. Er und sein Bruder Johannes Thingnes brachten Norwegen zurück in die Spur, sodass Christiansen schließlich als Führender übernehmen konnte.
„Man kann nie feiern, bis das letzte Schießen beendet ist“, kommentierte Biathlon-Ikone Ole Einar Björndalen Christiansens Aussetzer: „Das ist das Wildeste, was ich je erlebt habe.“