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Eine Biathlon-WM, die für ihn zur absoluten Enttäuschung wurde

Eine WM als komplette Enttäuschung

Viel vorgenommen, wenig erreicht: Émilien Jacquelin bestreitet eine völlig verkorkste Biathlon-WM. Jetzt gibt es von seinen Trainern die bittere Quittung.
Die Biathlon-WM findet dieses Jahr im schweizerischen Lenzerheide statt. Zwölf Mal kämpfen die Biathleten vom 12. Bis zum 23. Februar um Edelmetall.
Viel vorgenommen, wenig erreicht: Émilien Jacquelin bestreitet eine völlig verkorkste Biathlon-WM. Jetzt gibt es von seinen Trainern die bittere Quittung.

Mittwoch, kurz nach halb fünf: Schon vor der offiziellen Siegerehrung zelebrierte das gesamte französische Team den nächsten Triumph überschwänglich. Fast alle waren sie da, um den neuen Einzel-Weltmeister Eric Perrot und seinen drittplatzierten Kollegen Quentin Fillon Maillet ausgiebig zu würdigen. Nur einer fehlte: Émilien Jacquelin. Für kurze Zeit wollte er mit nichts und niemandem mehr etwas zu tun haben. Ein kleines Stück abseits der Party saß er wie ein Häufchen Elend im Schnee, schaute immer wieder entgeistert nach links und rechts, nach oben und unten.

Eigentlich hatte Jacquelin das lange Rennen über 20 Kilometer als Wiedergutmachung geplant. Als Vierter des Gesamtweltcups mit hohen Erwartungen angereist, lief bei der Biathlon-WM in der Lenzerheide für ihn von Beginn an überraschend wenig zusammen. Mit der Mixed-Staffel holte der Franzose zwar Gold, machte die Sache trotz eines souveränen Vorsprungs aber noch einmal spannend und musste als Schlussläufer in die Strafrunde abbiegen. Im Sprint wurde er 19., bei seiner Parade-Disziplin, der Verfolgung, reichte es nur für Platz 15. Drei Rennen, dreimal eine unglückliche Figur abgegeben.

Doch statt besser wurde es beim vierten Einsatz noch viel schlimmer. Fünf Fehler im so schießlastigen Einzel, dazu die 45. Laufzeit, satte drei Minuten und 40 Sekunden langsamer als sein an diesem Nachmittag alles dominierender Landsmann Perrot. In Summe bedeutete das einen indiskutablen 67. Platz. Während Jacquelin niedergeschlagen neben seinen feiernden Teamkollegen hockte, ahnte er wohl schon, was am Freitag vom französischen Verband offiziell verkündet wurde: Der Mann aus Grenoble bekommt keinen Startplatz für die Herren-Staffel am Samstag (15.05 Uhr im LIVETICKER). Ein Szenario, das vor dem Start der WM undenkbar schien.

Jacquelin fliegt aus der Staffel

„Es ist schwer, diese Entscheidung zu treffen. Es ist noch schwerer, wenn es sich um einen Athleten handelt, den man so gut kennt, zu dem man eine solche Bindung hat und es eine emotionale Seite gibt“, sagte Jacquelins Trainer Simon Fourcade, „aber es sind Dinge, die sich als notwendig erweisen, um Reaktionen auf allen Seiten zu erzeugen. Man muss allen Athleten gegenüber fair sein.“ Schon in der Mixed-Staffel vor anderthalb Wochen kam Fourcade in die Bredouille und musste Fillon Maillet erklären, dass für ihn kein Platz ist. Diesmal traf es also Jacquelin, der knallhart ausgebootet wurde.

Neben den gesetzten Fabien Claude, Perrot und Fillon Maillet komplettiert am Samstag etwas überraschend Émilien Claude das französische Team. Der 25-Jährige, Bruder von Fabien, liegt im Gesamtweltcup auf Rang 24, nicht weniger als 20 Plätze hinter Jacquelin. Lediglich im Januar, als der Biathlon-Zirkus in Ruhpolding Station machte, überzeugte Claude als Zweiter im Einzel mit seinem ersten Podestplatz. Drei Tage später durfte er zur Belohnung erstmals in der Staffel laufen und sein Land auf die Siegerstraße führen. Frankreich gewann in diesem Winter alle vier Wettbewerbe dieser Art und gilt auch bei der WM als Topfavorit.

„Émilien Claude hat in dieser Saison sehr gute Rennen absolviert und eine starke Entwicklung gezeigt. Er hat es verdient, bei dieser Weltmeisterschaft ein Rennen zu bestreiten“, begründete Fourcade seine Entscheidung. „Émilien (Claude) hat nicht nur das Einzel, sondern auch den Sprint und die Verfolgung verpasst. Deshalb hielten wir es für legitim, dass er wenigstens in der Staffel antritt. Wir senden damit die Botschaft, dass nichts selbstverständlich ist. Von Émilien (Jacquelin) erhoffen wir uns nun eine gute Reaktion im Massenstart und für den Rest der Saison.“

Mentale Probleme beim Fourcade-Erben

Für Jacquelin heißt es so einmal mehr, sich aus einem tiefen Loch zu befreien. Dass er das allerdings gut kann, hat der Mann, der früher während der Rennen immer wieder als Hitzkopf auffiel und allzu gerne Nebenkriegsschauplätze mit Konkurrenten eröffnete, bereits bewiesen. Als er 2022 bei der WM in Antholz Verfolgungs-Gold holte und seinen Titel im folgenden Jahr auf der Pokljuka erfolgreich verteidigte, schien sein Weg vorgezeichnet: Jacquelin galt als logischer Nachfolger des damals zurückgetretenen Superstars Martin Fourcade, die Triumphe waren aber Fluch und Segen zugleich.

Alles wurde ihm zu viel, mentale Probleme machten ihm zu schaffen. „Ich hatte keinen Spaß mehr an meinem Sport“, sagte Jacquelin einst, „plötzlich konnte ich nur stolz sein, wenn ich gewonnen hatte. So kann man nicht leben.“ Es dauerte eine Weile, bis sich der mittlerweile etwas ruhiger gewordene Athlet zurückkämpfte. Doch im letzten Winter bewies er als Gesamt-Sechster, dass vieles in die richtige Richtung geht. Ein Vorbote der bis jetzt so starken Saison. Der Zeitpunkt der enttäuschenden WM in der Lenzerheide dürfte für ihn daher umso bitterer sein. Immerhin: Am Sonntag bleibt ihm noch eine letzte Chance im Massenstart.