"Oh, wie ist das schön!", sangen die 25.500 Zuschauer, nahezu jeder Zweite schwenkte eine schwarz-rot-goldene Fahne, vereinzelt wurden sogar Bengalos entzündet.
Freund lässt Deutschland träumen
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Mit seinem zweiten Sprung auf 137,5 Meter brachte Severin Freund die Erdinger-Arena von Oberstdorf förmlich zum Explodieren und sorgte endgültig dafür, dass eine Atmosphäre wie im Fußballstadion herrschte.
"Unglaublich grandios, das heute war schon bombastisch", sagte der begeisterte Freund zur Stimmung im Stadion.
"Wir räumen auf mit den Altlasten"
Von Platz fünf nach dem ersten Durchgang flog der Niederbayer noch zum Sieg und lässt die Fans nun vom ersten deutschen Triumph bei der Tournee seit 14 Jahren träumen. Freunds Erfolg war zugleich der erste deutsche Sieg in Oberstdorf seit 2002, als Sven Hannawald nach seinem historischen Grand Slam im Jahr zuvor sein fünftes Tourneespringen in Folge gewann.
"Wir räumen langsam auf mit den Altlasten, im Vorjahr war es schon der Richie in Innsbruck, jetzt ich hier in Oberstdorf. Man merkt, dass es sich die Leute sehr stark wünschen, dass so etwas passiert", sagte Freund zur historischen Bedeutung seines Sieges.
Wie groß die Sehnsucht der deutschen Fans ist, zeigte sich allein an den Zuschauerzahlen von Oberstdorf.
Faire Stimmung in Oberstdorf
Erstmals seit der legendären Hannawald/Schmitt-Ära war das Stadion ausverkauft. Schon am frühen Nachmittag hieß es: Nichts geht mehr, alle Karten weg.
Auch der 37-jährige Michael Neumayer fühlte sich bei SPORT1 an die Zeiten des Skisprung-Booms Anfang des Jahrtausends erinnert: "Wir kommen langsam wieder dahin, wo wir schon einmal waren", schwärmte er von der Stimmung im Allgäu.
Jeder deutsche Springer wurde frenetisch angefeuert, aber auch bei einem schwachen Abschneiden von Freunds Rivalen gab es Jubel.
Der logische nächste Schritt
Solch eine euphorisch-frenetische Atmosphäre hatte man in den letzten Jahren eher im skisprungverrückten Polen statt in Deutschland erlebt, zu dürftig waren oftmals die Ergebnisse der DSV-Adler gewesen.
Doch Bundestrainer Werner Schuster gelang es, die Sehnsüchte der deutschen Fans wiederzubeleben und das Team Schritt für Schritt wieder in die Weltspitze zu führen, allen voran seinen Vorflieger Freund. Für den 27-Jährigen wäre der Erfolg bei der Vierschanzentournee die Krönung von traumhaften elf Monaten.
WM-Titel im Februar, Gesamt-Weltcup-Sieg im März, zwei Weltcup-Siege im November und Dezember.
Freund schwebt auf einer Erfolgswelle.
Cooler Freund
Diese schien zu reißen, als er kurz vor der Vierschanzentournee in ein kleines Formloch fiel. In Engelberg verpasste er jeweils das Podest.
Auch der erste Sprung in Oberstdorf misslang ihm, er war zu spät beim Absprung und hatte noch dazu Pech mit dem Wind. Kurz fühlte man sich zurückversetzt ins Vorjahr, als Freund Nerven gezeigt hatte und schon nach dem ersten Wettbewerb alle Chancen auf den Tourneesieg dahin waren.
Doch inzwischen strotzt Freund vor Selbstvertrauen und lässt sich nicht mehr so leicht aus der Ruhe bringen.
Prevc hadert - Freund sieht Verbesserungspotenzial
Auch die ständigen Veränderungen der Anlauflänge irritierten ihn nicht und er zauberte einen perfekten zweiten Sprung in den Schnee.
Der Norweger Anders Fannemel, Titelverteidiger Stefan Kraft und Topfavorit Peter Prevc - niemand kam nur annähernd an Freunds Weite heran. Der Slowene konnte es hinterher kaum glauben: "Ich dachte, ich wäre der Beste." Nun ist Freund der Gejagte, mit drei Punkten Vorsprung auf den Österreicher Michael Hayböck geht er in das Neujahrsspringen von Garmisch-Partenkirchen.
Und er sieht bei sich sogar noch Luft nach oben: "Ich bin noch nicht da, wo ich Mitte Februar war."
Der Traum der wiedererwachten Skisprung-Nation lebt also mehr denn je.