Die Siegesparty von Tony Martin war noch einmal eine Skurrilität für sich.
Langer Leidensweg, skurrile Party
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Herrschaftliche Kulisse im Salon Richelieu im Chateau de la Motte Fenelon, der exakt so nobel ist, wie das alles klingt. Rotwein wurde gereicht - und geleert mit dem unter Connaisseuren sonst eher unüblichen Ruf "Zicke zacke zicke zacke hoi hoi hoi".
Und dann auch der Moment, als Martin im Vorgarten des Gebäudes noch ein Fernseh-Interview gab: Auf einmal umkreiste ihn der ganze Betreuerstab samt Mutter Bettina und tanzte Polonaise.
Tony Martin sagte dazu, was dazu zu sagen war: "Ohne Worte." Und: "Es ist einfach genial."
Es entlud sich einiges bei Martins erstmaligem Gewinn des Gelben Trikots bei der Tour de France. Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie lang und schmerzhaft der Weg dorthin war - und teils ebenso skurril wie die Polonäse mit Mama Martin.
Wetterpech, Pannen und ein Horror-Sturz
Sechs Jahre ist das Tour-Debüt des gebürtigen Cottbussers mittlerweile her. Und fast genauso lang, dass er zum sicheren Anwärter für das Leibchen des Gesamtführenden erklärt wurde. Das er allerdings verpasste, immer und immer wieder.
2010, beim Prolog in Rotterdam, als er in einen Nieselregen geriet, der Konkurrent Fabian Cancellara die womöglich entscheidenden Sekunden einbrachte. 2011, im Mannschaftszeitfahren, als ihn der Sturz von Teamkollege Bernhard Eisel aus dem Konzept brachte. 2012, als ihm im Auftakt-Sprint eine Glasscherbe den Reifen aufschlitzte - und er später wegen eines Handbruchs aussteigen musste.
Und dann natürlich das Jahr darauf, der brutale Sturz auf Korsika: Lungenprellung, Prellungen und Schnittwunden überall. Martin wurde im Mannschaftsbus ohnmächtig, wie Kollege Mark Cavendish später verriet.
Martin fuhr weiter, schaffte auch noch einen Etappensieg. Das Gelbe Trikot aber: wieder nicht. Auch nicht bei der Tour 2014, die mit nur einem späten Zeitfahren an seinen Stärken vorbeigeplant wurde.
Fünf Sekunden, drei Sekunden, eine Sekunde...
Die große Schleife Nummer 102 in diesem Jahr, sie entsprach ganz Martins Vorstellungen. Ein Zeitfahren zum Auftakt, eine Reihe ihm ebenso entgegenkommender Etappen danach.
Martin richtete alles darauf aus, seine Chance zu nutzen: "Meine Saison steht und fällt mit der Tour", hielt er im Vorfeld fest.
Trotzdem ging seine Pech- und Pleitenserie erst einmal weiter. Dreimal in Folge verpasste er Gelb um Sekunden, erst um fünf, dann um drei, schließlich nur um eine.
Und dann, auf der vierten, der Kopfsteinpflaster-Etappe nach Cambrai, wieder so ein Martin-Moment. Ein platter Reifen, ein erzwungener Wechsel auf das Rad von Etixx-Teamkollege Matteo Trentin, das mit einem andersherum angeordneten Brems-Hebel weiteres Verwirrungspotenzial hatte.
"Rückblickend bin ich dankbar"
Diesmal aber verhinderte nichts Martins Triumphfahrt. Und nachdem er sie geschafft hatte, war Martin auf einmal sogar froh über seine Vorgeschichte des Scheiterns.
"Rückblickend bin ich dankbar, dass es bis jetzt nicht geklappt hat", hielt er fest: "Schöner kann eine Radsport-Geschichte nicht geschrieben werden."