Eigentlich ist Dominik Nerz vom deutschen Team Bora-Argon 18 nicht richtig vorbereitet auf sein Karriere-Highlight.
Bloß nicht der neue Jan Ullrich
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Italienisch, Niederländisch, Englisch könne er, "Französisch spreche ich gar nicht", sagte der 25-Jährige zu SPORT1. "Ich würde es aber gerne", schiebt er nach.
Dann rudert er ein wenig zurück: "In erster Linie aber habe ich mich natürlich für ein deutsches Team verpflichtet."
Am Samstag beginnt in Utrecht die 102. Tour de France. Nerz ist zum zweiten Mal dabei. Aber es wird seine erste Tour als Kapitän.
Frühreif
"Er ist der beste deutsche Rundfahrer", meint Teamchef Ralph Denk. "Das ist ein Riesenstück Verantwortung", sagt Nerz.
Dass er ein Team führen muss, ist für den hageren Typ (1,80 Meter, 67 Kilogramm) nichts Neues.
Schon 2013 bestritt er so die Vuelta für BMC, ein erstklassiges, ein UCI WorldTeam. Damals war Nerz gerade einmal 23 Jahre alt. Er hielt dem Druck stand und wurde starker 14.
In diesen Sphären wähnt er sich auch in diesem Jahr. Das Ziel sei "eine Top 10 Platzierung", verrät er SPORT1. Der letzte Deutsche, der das geschafft hat, war Andreas Klöden (2009, Sechster) - ein Relikt aus Zeiten von Jan Ullrich.
Aufbruchstimmung bei Nerz
"Es ist eine neue Zeit", kündigt Nerz selbstbewusst an: "Ich möchte jetzt ein Vorbild sein. Ich würde mich freuen, wenn ich dafür sorgen könnte, dass der Radsport wieder auf einem Niveau ist wie damals zu Zeiten von Ullrich."
Als der gefallen Liebling der Nation als bislang einziger Deutscher 1997 die "Große Schleife" gewann, saßen gebannt Millionen Landsmänner vor dem Fernseher. "Die Tour ist das, was fasziniert", meint Nerz und seine Augen glänzen.
Einen Boom wie Ulrich also? Ja. Wie Ulrich? Nein. "Ich habe mich mein ganzes Leben über an niemandem orientiert", antwortet er auf Vergleiche mit Ulrich: "Ich möchte mich nicht in eine Schublade stecken lassen."
Schwächen im Kampf gegen die Uhr
Dafür ist es aber bereits zu spät, denn Nerz befindet sich bereits im Fach "Riesentalent". Er ging bei den Toursieger Cadel Evans (BMC) und Vincenzo Nibali (Liquigas, jetzt Astana) in die Lehre, bewieß am Berg Qualitäten.
Im Zeitfahren hat er Defizite, aber beim diesjährigen Etappenprofil der Tour schlägt der sonst entscheidende Kampf gegen die Uhr nicht so stark ins Kontor.
Allerdings fehlt dem Kapitän Nerz die ganz große Form. 2015 hat er noch kein Top-Ergebnis aufzuweisen. Die Dauphine, die wichtigste Rundfahrt der Tour-Vorbereitung, musste er nach einem Sturz aufgeben.
Auf des Königs Spuren
Da Bora-Argon 18 nur dank einer Wildcard an den Start gehen darf, wird sich das Nachfolge Team von NetApp zeigen müssen. Die Chancen dafür stehen gut, hat man doch starke Leute wie den irischen Sprinters Sam Bennett, den 22-jährigen deutschen Überraschungsmeister Emanuel Buchmann oder eben Nerz im Aufgebot.
2014 sollte diese Aufgabe der damals nur Insidern bekannte Kapitän Leopold König übernehmen. Der Tscheche wurde am Ende sensationell Siebter in der Gesamtwertung, ist nun Königshelfer für Topfavorit Christopher Froome bei Sky.
Nun also Nerz. "Das Team hat bereits letztes Jahr geliefert", teilt der Allgäuer mit: "Jetzt liegt es an mir."