Christoph Daum ist einer der erfahrensten Trainer in Deutschland.
Daum: Tabellenplatz nagt an Tedesco
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Der 65-Jährige wurde mit dem VfB Stuttgart 1992 Deutscher Meister und feierte auch mit Besiktas Istanbul und Austria Wien jeweils die Meisterschaft - mit Fenerbahce Istanbul sogar zwei Mal. Zudem gehörte der Bundesliga-Aufstieg mit dem 1. FC Köln 2008 zu seinen größten Erfolgen als Trainer. Zuletzt war Daum Nationalcoach von Rumänien.
Daum wohnt nach wie vor in Köln und hat den deutschen Fußball weiter ganz genau im Blick. Im SPORT1-Interview spricht er über die aktuelle Lage in der Bundesliga und darüber, dass die ersten drei Plätze von Klubs mit erfahrenen Trainern belegt sind.
SPORT1: Herr Daum, in der Bundesliga stehen aktuell Vereine mit erfahrenen Trainern auf den ersten drei Plätzen. Zahlt sich Erfahrung aktuell mehr aus als die Ideen von jungen Fußballlehrern?
Christoph Daum: Das Anforderungsprofil an einem Bundesligatrainer orientiert sich immer an den Qualitäten und den daraus resultierenden Trainerkompetenzen. Die in den Nachwuchsleistungszentren ausgebildeten Coaches verfügen über viele Qualitäten, die sie dazu befähigen, sich in der Bundesliga zu etablieren. Der oft einzige Unterschied zu älteren Trainerkollegen besteht in der geringeren Medienkompetenz oder dem Umgang mit sogenannten Starspielern. Doch auch in diesen Bereichen können alle Vertreter der jüngeren Trainergeneration überzeugen. Somit spielt die Erfahrung eine eher untergeordnete Rolle.
SPORT1: Was ist in Ihren Augen die Stärke der jungen Trainergeneration?
Daum: Die jüngeren Trainer überzeugen mit ihren variablen Matchplänen und der problemlosen Führung eines großen Mitarbeiterstabs eines Bundesligateams. Sie haben es in den Nachwuchsleistungszentren gelernt, sich mit Experten und Innovationen auseinanderzusetzen bzw. erfolgreich zu kooperieren. Dies alles gilt jedoch für genauso für die ältere Trainergeneration, wenn sie sich gewissenhaft fortgebildet haben und weiterentwickelt haben. Dann kann die Erfahrung, wie es Jupp Heynckes, Otto Rehhagel oder Ottmar Hitzfeld bewiesen haben, durchaus in kritischen Situationen ein wichtiges Qualitätskriterium sein.
SPORT1: Wie innovativ muss ein erfahrener Trainer heute sein?
Daum: Auch Lucien Favre, Ralf Rangnick oder Dieter Hecking sind weiterhin selbst auf dem neuesten Stand in allen Bereichen des Profifußballs und verstehen es, erfolgreich mit Experten zusammenzuarbeiten. Meiner Meinung nach ist die Besetzung des Cheftrainer-Postens eine der wichtigsten Personalentscheidungen in einem Verein. Der Planung des Spielerkaders und des Mitarbeiterstabs kommt aber eine ebenso große Bedeutung zu. Dabei genießt die Qualität in allen Bereichen die Priorität, und die ist altersunabhängig.
SPORT1: Die jüngeren Tedesco und Herrlich haben in dieser Saison so ihre Probleme...
Daum: Beide sind mit einer großen Erwartungshaltung in diese Saison gestartet. International konnten sie diese bisher erfüllen, doch im nationalen Wettbewerb sind sie noch auf der Suche nach Konstanz. Beide mussten mit der Hypothek eines schwachen Saisonstarts leben und konnten nur in einigen Spielen mit ihren Mannschaften überzeugen. Doch sowohl auf Schalke als auch bei Bayer stand die Vereinsführung überzeugt hinter der Trainerarbeit. Dies ist in der heutigen schnelllebigen Trainerwechsellandschaft nicht als selbstverständlich anzusehen. Die Verantwortlichen schauen genau hin, was im Verantwortungsbereich des Trainers liegt und wie diese schwierige Situation vom Cheftrainer erfolgreich gelöst werden kann. In beiden Fällen haben sich die Trainer nicht grundlegend in ihrer Arbeitsweise nachteilig verändert.
SPORT1: Sondern?
Daum: Vielmehr scheinen sie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln den Turnaround dauerhaft bewerkstelligen zu können. Dass sie in der angespannten Lage nicht vor Selbstvertrauen strotzen, zeigt nur, wie sehr der Tabellenplatz an ihnen selbst nagt und wie unzufrieden sie mit den Ergebnissen bzw. der gezeigten Leistung in einigen Spielen sind. Ich kenne beide Trainer und weiß, dass sie akribisch an Lösungen arbeiten. Wozu sie in der Lage sind, haben sie schon mehrfach überzeugend unter Beweis gestellt. Aus kritischen Situationen gestärkt hervorzugehen wird für beide eine weitere wichtige Erfahrung ihrer Trainerkarriere werden.
SPORT1: Was machen Favre, Hecking und Rangnick aktuell besser?
Daum: Sie verstehen es, die vorhandenen Spieler optimal einzustellen, zudem erweisen sich alle Spielerwechsel beziehungsweise Taktikwechsel als Volltreffer. Sie verfügen über einen ausgeglichenen, hochklassigen Spielerkader und sind weitestgehend von Verletzungen oder Spielersperren verschont geblieben. Alle haben nach schmerzhaften Rückschlägen konsequent ihren Arbeitsstil beibehalten und hatten sicherlich auch in manchen Spielen das Quäntchen Matchglück auf ihrer Seite. Alle zeichnen sich durch eine ruhige und souveräne Handhabung der sogenannten Krisensituationen aus. Durch die Erfolge und den Tabellenplatz konnten sie das Selbstvertrauen ihrer Mannschaften sukzessive aufbauen und stabilisieren.
SPORT1: Geht der Meistertitel in dieser Saison an einen der drei erfahrenen Trainer?
Daum: Der Meistertitel geht in dieser Saison sicherlich an ein Team, dass sich jetzt im obersten Tabellendrittel befindet. In manchen Phasen wird die Erfahrung des Cheftrainers besonders gefragt sein, und ein anderes Mal die Bereitschaft zur Innovation, zu mutigen und verantwortungsvollen Entscheidungen. Die Frage, was zum Erfolg führt, lautet nicht entweder oder, sondern sowohl als auch. Seine Trainerkompetenzen optimal für den Vereinserfolg einzusetzen, hängt von vielen Kleinigkeiten und Zufällen ab, die wir oft nicht wahrhaben wollen, oder nachträglich als geniale Trainerentscheidungen deklarieren. Oder im Falle des Misserfolges als Trainerversagen. Jeder noch so gute Trainer - egal ob jünger oder älter - kann den absoluten Erfolg nicht garantieren, ihn aber dennoch zu einem Großteil mit Unterstützung der Spieler, Mitarbeiter und der Vereinsführung vorbereiten.