Das Spitzenspiel der Bundesliga findet in diesem Jahr unter umgekehrten Vorzeichen statt. Bayern München reist nicht nur als Herausforderer zu Borussia Dortmund, der deutsche Rekordmeister wirkt fast schon wie ein Außenseiter im prestigeträchtigen Duell (Bundesliga: Borussia Dortmund - FC Bayern, Sa. ab 18.30 Uhr im LIVETICKER).
Kovac erbt Fehler der Vergangenheit
Die Mannschaft von Niko Kovac präsentiert sich in diesen Tagen ungewohnt inkonsequent. Defensiv begeht sie zu viele Fehler und offensiv fehlen häufig die zündenden Ideen.
Den Bayern ist die Dominanz vergangener Tage abhandengekommen. Selbst Gegner wie der SC Freiburg am vergangenen Wochenende treten mit mehr Selbstbewusstsein auf und sehen ihre Chance, den ansonsten übermächtigen Bayern ein Bein zu stellen.
Kovac muss Fehler ausbaden
Die Gründe für diese Entwicklung sind vielschichtig. Die Fehler nur bei Kovac zu suchen, greift aber viel zu kurz. Der 47-Jährige hat in gewisser Weise die Verfehlungen der Vergangenheit geerbt und weiß momentan nicht, wie er den Schalter umlegen kann. Das offensive Positionsspiel der Bayern hakt seit dem Abgang von Pep Guardiola vor zweieinhalb Jahren. Carlo Ancelotti hatte kein Mittel parat, selbst Jupp Heynckes konnte nur eine teilweise Verbesserung herbeiführen.
Die bayerische Mannschaft steht zu symmetrisch gestaffelt und die Abstände zwischen einzelnen Spielern sind oftmals zu groß. Deshalb gibt es keinen Überraschungseffekt im Spiel der Bayern. Gegner können sich auf die immer gleichen Pässe und Flügelangriffe einstellen. Die Offensivaktionen werden träge und wenig durchschlagskräftig.
Statt den Gegner am Strafraum einzuschnüren und solange die Torraumzone zu attackieren, bis ein Treffer fällt, müssen die Bayern von weiter hinten aufbauen und mehr Kraft aufwenden, um an den Sechzehnmeterraum zu gelangen.
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Thiago-Verletzung reißt ein Loch
Die Kreativlosigkeit wurde zuletzt noch von Thiago aufgefangen. Der Spanier schaltete sich zumeist tief in der eigenen Hälfte in den Spielaufbau ein und half Mitspielern wie Javi Martinez und Mats Hummels aus der Klemme. Mit der Verletzung Thiagos ist das kreative Loch im Mittelfeld umso größer. Kovac benötigt einen neuen Lösungsansatz, hat diesen aber noch nicht gefunden.
So bleibt zu erwarten, dass die Bayern auch gegen den BVB vornehmlich den Weg über die Flügel suchen werden. Allerdings fällt Arjen Robben aus und Franck Ribery verfügt nicht mehr über die Dribbelqualitäten von einst. Serge Gnabry wächst nur langsam in die Rolle eines Leistungsträgers. Ob das jedoch gegen die formstarken Dortmunder genügt?
BVB mit Spielwitz und Favres Seriosität
Körperlich wirkt der BVB momentan auf einem anderen Level. Die junge Garde um Jadon Sancho, Christian Pulisic und Achraf Hakimi jagt die Außenbahnen auf und ab und strotzt nur so vor Spielfreude. Eben jene wird vom sachlichen Cheftrainer Lucien Favre in die richtigen Bahnen gelenkt. Der Schweizer ist ein Liebhaber von gut strukturiertem Defensiv- und Offensivfußball, von dem zu Beginn der Saison nicht immer etwas zu sehen war.
Aber von Partie zu Partie gewannen die Dortmunder an Sicherheit im Ballbesitz. Es braucht schon ein Ausnahme-Pressing wie jenes von Atletico Madrid, um den BVB unter Druck zu setzen. Andernfalls kann die Mannschaft den Ball kontrolliert über das Feld bewegen und muss nicht ständig den direkten Weg in die Spitze suchen.
Favre vermeidet Bosz-Fehler
Das unterscheidet übrigens den momentanen BVB vom BVB aus der Anfangszeit unter Peter Bosz vor einem Jahr. Auch damals führte Dortmund zwischenzeitlich die Tabelle an - allerdings dank eines Harakiri-Stils, der sich alsbald als Nachteil entpuppen sollte.
Favre hingegen weiß, dass es um kontrollierte Dominanz geht. Nur so kann der BVB die aktuelle Erfolgsstabilität langfristig konservieren. Dazu benötigt es Kompromisse: So opfert der 61-Jährige beispielsweise Kreativität im zentralen Mittelfeld, um mit Axel Witsel und Thomas Delaney genügend Defensivstärke aufzubieten. So gibt er seinem wilden und gleichzeitig hoch talentierten Außenverteidiger Achraf Hakimi einige Freiheiten, weil er weiß, wie der junge Marokkaner gegnerische Verteidigungslinien unter Druck setzen kann.
Favre hat die Schwachstellen im Spiel der Borussia erkannt und an richtigen Stellschrauben gedreht. Nun muss es ihm sein Gegenüber aus München gleichtun.