Im Sommer freuten sich bereits die Fans von Schalke 04 auf Robin Gosens, doch der Wechsel in die Bundesliga kam nicht zustande.
Gosens: Klare Kante gegen Rassisten
Stattdessen ernannte Atalanta Bergamo den 25-Jährigen zum Schlüsselspieler für die Champions League, und als solcher wird der Linksverteidiger am Abend mit seinem Team versuchen, für eine Überraschung bei Manchester City zu sorgen. (Champions League: Manchester City – Atalanta Bergamo, Di. ab 21 Uhr im SPORT1-Liveticker)
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Vor dem Königsklassen-Duell bei ManCity spricht der spätberufene Fußballprofi im SPORT1-Interview über Atalantas bislang misslungenes Debüt in der Champions League, die besondere Herausforderung gegen das Team von Trainer Pep Guardiola und den Social-Media-Ärger von City-Profi Ilkay Gündogan.
Außerdem bezieht Gosens Stellung zum Rassismus-Problem in der Serie A, macht deutlich, was er von streikenden Profis hält, kommentiert den ausbleibenden Kontaktaufnahme von Bundestrainer Joachim Löw und verrät seinen Plan für die Zeit nach der Karriere.
SPORT1: Herr Gosens, in der vergangenen Spielzeit haben Sie sich mit Atalanta Bergamo erstmals für die Champions League qualifiziert. Auch in der laufenden Saison rangiert "La Dea" in der obersten Tabellenregion (Service: Serie-A-Tabelle). Zufrieden?
Robin Gosens: Ja, in die Liga sind wir richtig gut reingekommen. Dort haben wir uns eine Position erarbeitet, in der wir selbstbewusst sagen können, wir wollen um die internationalen Plätze mitstreiten. Wenn man letzte Saison die Champions League erreicht und auch diese Saison auf diesem Weg ist, kann man nicht von Zufall sprechen.
SPORT1: Das Debüt in der Königsklasse läuft bislang allerdings alles andere als optimal (Service: Champions-League-Tabellen). Zwei Niederlagen, 1:6 Tore – das haben Sie sich sicher anders vorgestellt ...
Gosens: Ja, der Einstand war nicht gelungen. Wir haben auch selbst länger überlegt, woran es gelegen hat.
SPORT1: Für Bergamo ist es das erste Mal Champions League, für viele Spieler wie Sie ebenso. Ist das ein Faktor?
Gosens: Es ist was ganz Besonderes, keine Frage. Jeder von uns weiß, dass Champions League im Klubfußball das Maximale ist, was du zocken kannst. Wenn du dann dort das erste Mal auf dem Platz stehst und die Hymne hörst, musst du schon sehr abgezockt und kühl sein, wenn das nichts mit dir macht. Ich hatte Gänsehaut und gedacht: 'Wie geil! Was geht hier eigentlich ab?' Das versuchst du im Spiel natürlich auszuschalten, aber vielleicht ist unbewusst doch eine gewisse Nervosität da, oder du hast den Drang, noch mehr zu machen als sonst, und machst dadurch Fehler, weil du versteifst. Ich glaube, das sind schon Gründe, die gerade in der ersten Partie eine Rolle gespielt haben.
SPORT1: Die Heimspiele in dieser Champions-League-Saison trägt Atalanta wegen des Umbaus des bergamaskischen Stadions im San Siro in Mailand aus. Wie fühlt sich das an?
Gosens: San Siro ist natürlich mega besonders, weil es ein historisches Stadion und gigantisch ist. Die Stimmung war geil, aber es war nicht voll befüllt. Ich spiele lieber im eigenen Hexenkessel, da haben wir dann die Hütte voll, dort ist es noch mal viel geiler, und das würde den Gegner noch mehr beeindrucken.
SPORT1: In der neuen Arena in Bergamo, dem Gewiss Stadium, finden nun zumindest die Liga-Spiele statt. Gerade stieg das Debüt dort. Wie war's?
Gosens: Total geil! Unsere Ultra-Kurve ist jetzt näher am Feld, da ist keine Distanz mehr. Da hast du das Gefühl, die stehen direkt mit dir auf dem Platz. Die Jungs auf den Rängen haben das Stadion auch gut eingeweiht und noch ein bisschen mehr Körner rausgeholt als sonst, glaube ich. Das war schon sehr beeindruckend.
SPORT1: In der Champions League geht es nach den zwei Niederlagen gegen Dinamo Zagreb (0:4) und Schachtjor Donezk (1:2) jetzt zwei Mal gegen Manchester City. Was rechnen Sie sich im Europacup noch aus?
Gosens: Wenn du gegen die beiden vermeintlich leichteren Gegner verlierst und jetzt den Doppelschlag ManCity hast, klar, dann wird es nicht einfach, noch das Achtelfinale zu erreichen. Aber wir können immer noch für eine Überraschung sorgen, und zumindest Dritter werden. ManCity ist eine absolute Weltmannschaft, vielleicht sogar die beste in Europa, aber sie sind aktuell nicht in der Verfassung wie noch vor ein paar Wochen. Wenn wir eine Chance haben, dort Punkte einzufahren, dann jetzt.
SPORT1: Die vielleicht beste Mannschaft Europas, auf jeden Fall eine, gegen die man selten den Ball hat, oder?
Gosens: Dass ich oft die Pille am Fuß haben werde, glaube ich nicht, das stimmt. (lacht) Wir werden versuchen, die Räume zuzumachen und aus den Balleroberungen etwas zu kreieren. Unser Trainer ist keiner, der will, dass wir uns hinten reinstellen, Hauptsache kein Gegentor, sondern wir wollen unser eigenes Spiel durchziehen. Gegen eine Mannschaft, die solch einen Ballbesitzfußball spielt, ist das natürlich nicht einfach.
SPORT1: Ein City-Leistungsträger ist Ilkay Gündogan, der zuletzt auch bei der deutschen Nationalmannschaft stark spielte, aber auf Instagram negativ auffiel: Er likte ein Foto des türkischen Nationalspielers Cenk Tosun, das den vielfach kritisierten Militärgruß-Jubel zeigt. Später entfernte er den Like. Emre Can ebenso. Wie bewerten Sie die Angelegenheit?
Gosens: Die Jungs haben eine Erklärung abgegeben, dass sie einfach durchgescrollt und das Foto automatisch gelikt haben, weil es von einem Freund stammt. Ganz ehrlich, das kann ich verstehen, weil ich selbst durchscrolle und Bilder einfach like, weil sie von Freunden sind. Ansonsten ist das natürlich ein heikles Thema. Es ist enorm schwierig, sich als Fußballer richtig zu verhalten. Es ist nur ein Like auf Instagram, der aber so schnell eine solche Welle lostreten kann. Da muss man höllisch aufpassen.
SPORT1: Sie selbst haben ja auch eine besondere Erfahrung mit den Sozialen Medien gemacht …
Gosens: Ja, die Sache mit dem Straßenschild. Da habe ich mir einfach nichts dabei gedacht. Ich hatte einfach Spaß mit meinen Jungs, und daraus ist eine riesige Sache entstanden. Da ist mir bewusst geworden, dass ich noch mehr darüber nachdenken muss, was ich mache, weil mir Menschen folgen, die mich vielleicht als Vorbild sehen. Und das sind bei Ilkay noch viel mehr. Deshalb sage ich, dass wir extrem aufpassen müssen, was wir veröffentlichen.
SPORT1: Empfinden Sie es als ungerecht, dass Sie als Profifußballer nicht liken können, was Sie möchten?
Gosens: Das ist halt eine Komponente unseres Berufs. Wir wissen, dass wir total in der Öffentlichkeit stehen und sozusagen auf Schritt und Tritt verfolgt werden. Das muss man akzeptieren, ob man das gut findet oder nicht. Ich bin eigentlich eher der Typ, der einfach postet, was er will. Aber seit der Geschichte mit dem Verkehrsschild denke ich mir jedes Mal: 'Oh, kannst du das machen? Kannst du es nicht machen?' Dadurch geht schon ein Teil der Persönlichkeit verloren. Dabei sollte man sich auf seinem eigenen Account so geben, wie man wirklich ist.
SPORT1: Bei Gündogan oder auch Mesut Özil spielt oft auch Rassismus eine Rolle, das bekräftigte Özil gerade in einem viel beachteten Interview erneut. Rassismus ist leider auch im italienischen Fußball ein akutes Thema. Affenlaute von den Rängen, rassistische Beschimpfungen et cetera. Wie nehmen Sie das wahr?
Gosens: Diese Idioten haben sich nicht im Griff. Ich kann das nicht nachvollziehen, dass es in der heutigen Welt immer noch Leute gibt, die andere Menschen als nicht gleichwertig niedermachen. Manche machen bei Affenlauten vielleicht auch einfach mit und denken sich nichts dabei, aber die müssen sich mal klar werden, was sie den Spielern damit antun. Ein dunkelhäutiger Mitspieler hat mir gesagt: 'Robin, immer wenn ich das höre, könnte ich echt losheulen', und ich denk mir dann: 'Junge, du hast so Recht' – und ich appelliere: Leute, verpisst euch aus dem Stadion, ihr habt dort nichts verloren, wenn ihr sowas macht. Ich bin traurig, und ich hoffe, dass sich in Zukunft etwas ändert.
SPORT1: Das Thema Rassismus schwelt nun schon länger im italienischen Fußball. So wurde etwa Romelu Lukaku mehrfach beleidigt, woraufhin sich der Belgier dazu in einem emotionalen Instagram-Post äußerte. Eine Fangruppe seines Vereins Inter Mailand fiel ihm daraufhin in den Rücken und spielte das Problem mit absurder Argumentation herunter. Wie nehmen Sie den Umgang mit Rassismus wahr?
Gosens: Rassismus ist Rassismus. Wer das herunterspielt – da kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Affenlaute oder andere rassistische Äußerungen sind einfach nur scheußlich und abartig. Da sind wir als Spieler in der Pflicht, uns immer wieder klar dagegen zu positionieren, wie auch die Vereine und die Gesellschaft generell, um den Rassisten klarzumachen, dass das abscheuliches Verhalten ist. Von den Spielern kommt auch viel Kontra, ehrliches Kontra, und das müssen wir weitermachen, damit die Kacke endlich mal aufhört.
SPORT1: Zurück zum Sportlichen. Wir kommen aus einer Länderspielpause. Sie haben bereits mehrfach gesagt, dass die deutsche Nationalmannschaft ein Traum von Ihnen ist, aber es noch keinen Kontakt zum DFB gab. Gegen Argentinien und Estland fehlten links hinten Nico Schulz und Jonas Hector, auf dem Platz stand Marcel Halstenberg. Wie weit weg vom Nationalteam fühlen Sie sich gerade?
Gosens: Meine subjektive Meinung ist, dass ich mich qualitativ nicht mehr weit weg von der Nationalmannschaft befinde und ich dort eine Rolle spielen könnte. Ich habe zwei Jahre lang Serie A auf Top-Level gespielt, habe Europa League gespielt, spiele dieses Jahr Champions League. Entsprechend habe ich schon die Ambition, mich für die Nationalmannschaft zu empfehlen. Das geht aber nur über harte Arbeit, und dann muss ich hoffen, dass der Bundestrainer genauso darüber denkt.
SPORT1: Ist es frustrierend, dass es noch keinen Kontakt gab?
Gosens: Frustrierend? Nein. Wer mir vor zwei, drei Jahren mit Nationalmannschaft kam, dem habe ich gesagt: 'Willst du mich verarschen? Ich bin froh, dass ich hier jetzt Fuß fasse.' Ich weiß, wo ich herkomme, und alles, was jetzt kommt, fühlt sich ohnehin wie Bonus an.
SPORT1: Wie eine Berufung ins Nationalteam ist auch ein Wechsel in die Bundesliga ein Traum von Ihnen. Dabei gibt es auch einen Klub, für den Sie alles stehen und liegen lassen würden, wie Sie jüngst bei FUMS verrieten: Schalke 04. Wie sehr schmerzt es daher, dass der Wechsel nach Gelsenkirchen im Sommer nicht über die Bühne ging?
Gosens: Mein größter Traum im Fußballerleben ist es nach wie vor, in der Bundesliga zu spielen, richtig. Das Schalke-Thema hat im Sommer hohe Wellen geschlagen. Es gab Kontakt, es wurde konkret, aber letzten Endes kam von Atalanta das Signal, dass sie auf mich als essentiellen Spieler für die Champions League bauen und mich nicht ziehen lassen möchten.
SPORT1: Forcieren wollten Sie den Wechsel nicht?
Gosens: Atalanta weiß, dass ich von der Bundesliga träume. Und beim Ziel Schalke geht es ja auch um die Nähe zur Familie. Ich bin 50 Kilometer entfernt von Gelsenkirchen aufgewachsen, habe noch viele Freunde dort. Aber wenn Atalanta auf mich setzt und mich nicht gehen lassen will, stelle ich mich natürlich nicht quer. Zwar gibt es prominente Beispiele von Spielern, die sich weggestreikt haben. Aber das gehört sich nicht. Man hat sich an seinen Vertrag zu halten. Und der Verein hat dich ja mal gekauft, Vertrauen in dich gehabt und dir die Plattform gegeben. So war es bei mir: Atalanta hat mich damals als No-Name-Spieler aus den Niederlanden gekauft, mich aufgebaut. Ich finde es respektlos, sich einfach wegzustreiken.
SPORT1: Atalanta hat vor Kurzem eine Option gezogen und Ihren ursprünglich bis 2020 laufenden Vertrag um zwei Jahre bis 2022 verlängert. Erschwert das einen Wechsel im kommenden Sommer?
Gosens: Ich kann zumindest nicht gratis die Tür rauslaufen, was wahrscheinlich für viele Vereine attraktiver wäre. Sollte ich erneut das Interesse von Bundesligisten wecken, gilt es eben, sich auf eine Ablösesumme zu einigen.
SPORT1: Sie haben die Heimat angesprochen. Wie sehr vermissen Sie das Blues (Disco in Rhede; d. Red.)?
Gosens: Das Blues? Mit der Frage habe ich jetzt nicht gerechnet. (lacht) Ich vermisse Rhede, weil ich dort nach wie vor viele Freunde und Bekannte habe. Das Blues an sich jetzt nicht unbedingt.
SPORT1: Gibt es denn einen Blues-Ersatz in Bergamo?
Gosens: Nein, den gibt es nicht. (lacht) Es gibt ein paar nette Restaurants und Bars, in denen man sich treffen kann. Ansonsten müsste man schon nach Mailand fahren. Aber das ist eine Stunde weg, da überlegt man sich das schon drei Mal.
SPORT1: Wahrscheinlich ist ja ohnehin keine Zeit mehr für Disco, schon allein weil Sie Fußballprofi sind. Und obendrein studieren Sie Psychologie. Wie läuft das?
Gosens: Ich bin ein sehr vernünftiger junger Mann geworden, es ist tatsächlich keine Zeit mehr. Dadurch ist auch das Psychologie-Studium relativ heftig. Aber ich versuche auch dort mein Ding zu machen. Dieses Jahr habe ich noch eine Hausarbeit und eine Klausur …
SPORT1: Viel Erfolg!
Gosens: Danke. Wenn ich die bestehe, habe ich ein sehr erfolgreiches erstes Jahr hinter mir in Sachen Psychologie-Bachelor.
SPORT1: Sie studieren nicht aus Jux und Tollerei, sondern weil Sie in diesem Bereich auch tätig sein möchten. Welche Richtung können Sie sich dabei vorstellen
Gosens: Meine Traumvorstellung aktuell ist eine eigene Praxis, um Menschen in Drucksituationen und in der Öffentlichkeit zu helfen, weil ich das aus erster Hand kenne.