Christian Dissinger stand vor dem Mannschaftshotel, die Hände in den Taschen seiner Trainingshose vergraben, die hellen Augen in der Mittagssonne zusammengekniffen.
Dissinger einziger Deutscher in Köln
"Ich finde, es wird ein bisschen zu breitgetreten, dass ich hier der einzige deutsche Spieler bin", sagte der 27-Jährige, der im Halbfinale des Final Four in Köln mit seinem nordmazedonischen Klub Vardar Skopje auf den FC Barcelona trifft: "Das ist halt so, ich denke da nicht drüber nach."
Und deshalb erwartet der gebürtige Ludwigshafener auch keine speziellen Sympathiebekundungen der deutschen Zuschauer, die zum dritten Mal nacheinander ein Final Four ohne einen Bundesliga-Vertreter erleben. "Es wird so oder so laut genug sein in der Arena", sagte Dissinger: "Kielce, Veszprem, Vardar, allein deren Anhänger werden ordentlich Stimmung machen. Die Atmosphäre ist doch hier immer super."
Dissinger trifft mit Skopje auf Barcelona
Den ersten Finalisten ermitteln Telekom Veszprém (Ungarn) und KS Kielce (Polen) (Handball Champions League Final Four, Halbfinale 1: Telekom Veszprem - PGE Vive Kielce, ab 15.15 Uhr im SPORT1-Liveticker), Skopje und Barcelona spielen um das zweite Finalticket (Handball Champions League Final Four, 2. Halbfinale: FC Barcelona - RK Vardar, ab 18.00 Uhr im SPORT1-Liveticker).
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Dass Vardar Skopje und Christian Dissinger überhaupt beim Final Four dabei sind, "ist schon eine verrückte Geschichte, die wir selber geschrieben haben", sagte der im Oktober 2018 vom THW Kiel nach Nordmazedonien gewechselte Rückraumspieler. Vor dem Viertelfinale der Champions League gegen den ungarischen Vertreter Pick Szeged hatte nämlich Klubbesitzer Sergej Samsonenko seinen bevorstehenden Rückzug angekündigt.
"Wir haben sogar überlegt, ob wir das Viertelfinale überhaupt noch spielen sollen", sagte Dissinger, "aber dann hat sich so eine Jetzt-erst-recht-Stimmung breitgemacht."
Mittlerweile steht fest, dass Samsonenko dem Klub zumindest als Hauptgesellschafter erhalten bleibt. Ob das für eine gesicherte Zukunft langfristig reicht, ist offen. Dissinger, hinter dessen Teilnahme in Köln wegen einer im März erlittenen Verletzung (ausgekugelter Ellbogen mit Knorpelriss und Knochenödem) bis vor wenigen Tagen ein großes Fragezeichen stand, hat in Skopje einen Zweijahresvertrag: "Ich muss einfach abwarten, wie es weitergeht, im Moment weiß das keiner so genau."
Dissinger nach Verletzung zurück
Körperlich ist er "fast wieder bei 100 Prozent", die werden auch nötig sein, wenn es im Halbfinale am Samstag gegen den neunmaligen CL-Gewinner FC Barcelona geht. "Barcelona ist sicher der Favorit, aber wir sind gerne Außenseiter", sagte Dissinger. Skopje gewann das Final Four 2017, verlor aber im vergangenen Jahr das Halbfinale gegen den späteren Sieger Montpellier/HB aus Frankreich und das Spiel um Platz drei gegen Uwe Gensheimer und Paris St. Germain.
Einen Grund dafür, dass erneut keine deutsche Mannschaft in Köln dabei ist, sieht Bundestrainer Christian Prokop in der Tatsache, dass "in der Bundesliga im Moment nicht die internationale Spitze spielt".
Im Gespräch mit der FAZ stellte Prokop dennoch das Top-Niveau der Bundesliga "in ihrer Breite und Attraktivität mit den vollen Hallen" heraus: "Deshalb habe ich die Hoffnung, dass wir in den kommenden Jahren wieder eine deutsche Mannschaft in Köln sehen werden."