David Beckham. Ryan Giggs. Paul Scholes. Gary Neville. Phil Neville. Nicky Butt.
ManUniteds vergessenes Top-Juwel
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Wer kennt sie nicht, die Namen der berühmten "Class of '92" von Manchester United? All jene Spieler, die nach ihren Anfängen im Jahr 1992 unter Trainer-Legende Sir Alex Ferguson mit den Red Devils Geschichte schrieben.
Der Name Ben Thornley taucht in dieser Aufzählung nicht auf. Dabei sagt David Beckham über seinen ehemaligen Mitspieler: "Er hätte uns alle übertroffen - das ist das Traurige an der Sache."
Für Gary Neville war Thornley "eines der außergewöhnlichsten Talente, mit denen ich jemals gespielt habe". Und Paul Scholes betont, der Flügelspieler sei "eine Stufe über allen von uns gewesen, er konnte einfach alles".
Beckham und Co. schocken FC Bayern 1999
Im Champions-League-Finale 1999 aber standen sie alle auf dem Platz: Beckham, Neville und all die anderen - nur Thornley nicht. Der damals 24-Jährige saß als Fan auf der Tribüne. Von dort sah er mit an, wie seine einstigen Mitspieler dem FC Bayern einen Last-Minute-Schock verpassten und sich selbst das Triple sicherten.
Wie es dazu kam, das schildert Thornley eindrücklich in seiner Mitte Oktober erschienenen Autobiographie "Tackled".
Ein Titel, der nicht zufällig gewählt ist. Denn ein einziges Tackling warf im April 1994 die verheißungsvolle Karriere des damals 18-Jährigen aus der Bahn.
Thornley verletzt sich bei Reserve von ManUnited
Einige Tage bevor er im Profi-Kader für das FA-Cup-Halbfinale in Wembley stehen sollte, lief Thornley für die United-Reserve gegen Blackburn auf. Nach etwas mehr als einer Stunde Spielzeit an der Gigg Lane von Bury fragte Trainer Jim Ryan seinen Youngster, ob er mit Blick auf das große Spiel ausgewechselt werden wolle. Thornley verneinte.
Rund fünf Minuten später spielte er einen Pass zu seinem Mitspieler Clayton Blackmore, als Blackburns Verteidiger Nicky Marker angerauscht kam.
Marker kam zu spät, viel zu spät, um den Ball zu spielen. Stattdessen erwischte er bei seinem rüden Angriff Thornleys Knie. Damals Anwesende erinnern sich noch heute an einen lauten Knall.
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Das United-Juwel wurde vom Platz in die Umkleide gebracht. "Als ich dort lag, dämmerte es mir auf einmal: Das könnte es gewesen sein", erinnert sich Thornley. Er sollte Recht behalten.
Vorderes und hinteres Kreuzband, Außenband, Kapsel und Meniskus - alles war mehr oder weniger kaputt.
Von ManUnited zu Huddersfield Town
Angesichts der Schwere seiner Verletzung grenzte es an ein Wunder, dass Thornley überhaupt noch einmal Fußball spielen konnte. Die schnellen Richtungswechsel aber, die ihn ausgezeichnet hatten, sie waren nicht mehr dieselben.
"Ich wusste schnell, dass ich niemals Stammspieler bei United werden würde, auch wenn ich noch dreieinhalb Jahre dortgeblieben bin", sagt Thornley rückblickend: "Es ist wie mit einem Faden oder einem Stück Holz: Wenn es einmal in der Mitte durchtrennt ist, und man versucht, es zu reparieren, wird es nie wieder so stark sein wie zuvor."
1996 wechselte Thornley zunächst auf Leihbasis, zwei Jahre später dann fest zu Huddersfield Town. Für den damaligen Zweitligisten absolvierte er über 100 Spiele, ehe er 2001 nach Schottland zum FC Aberdeen wechselte.
Abseits des Platzes aber ging es mit Thornley bergab: Nach eigener Aussage genoss er ein ausschweifendes Privatleben und gab sich dem Alkohol hin. Mit 28 Jahren war seine Profikarriere mehr oder weniger zu Ende.
Leere bei Thornley nach der Verletzung
Die Verletzung und ihre Folgen hatten ihre Spuren hinterlassen, die der heute 43-Jährige so beschreibt: "Es ist als hätte man eine großartige Party gehabt, und kommt dann nach Hause: Da ist eine Leere. Dieses Gefühl hatte ich, als ich nicht mehr jeden Tag in eine Umkleide gegangen bin."
Thornleys Bruder behauptet in dessen Biographie, er sei "nie wieder so glücklich gewesen wie vor der Verletzung".
Eines aber ist Thornley wichtig zu betonen: dass er nie Mitleid wollte. Trotzdem hätte er gerne "40 Spiele für Manchester United gemacht, ohne mit 18 eine schwere Verletzung gehabt zu haben. Einfach nur, um zu sehen, was gewesen wäre."
Einen Eindruck davon bekam er am Abend des 26. Mai 1999 im Camp Nou von Barcelona, als seine Freunde das Champions-League-Finale gewannen - und er ihnen von der Tribüne aus zusah.
Thornley freut sich für Class of '92
Ob er damals so etwas wie Wehmut oder gar Verbitterung verspürt hätte, wurde Thornley anlässlich der Vorstellung seines Buches in einem Interview mit ESPN gefragt.
Seine bemerkenswerte Antwort: "Diese Gefühle, wenn ich sie denn jemals gehabt haben sollte, waren längst verschwunden. Ich wurde von dem Spiel und den Feierlichkeiten gefangen genommen. Es war eine großartige Nacht, und mir ist nicht ein einziges Mal durch den Kopf gegangen, dass ich da auf dem Platz hätte stehen können."
Und Thornley ergänzte: "Ich habe mich einfach nur so für die Jungs gefreut, mit denen ich aufgewachsen bin."
Die Jungs, die als Class of '92 in die Geschichte eingingen. Ohne ihr wohl talentiertestes Mitglied.