"Sie müssen sich steigern, wenn sie mit uns kämpfen wollen" - das sagte Lewis Hamilton nach dem Großen Preis von Aserbaidschan über Ferrari.
Hamiltons Schattenmann muckt auf
© Imago
Es klang fast wie eine Aufforderung des Weltmeisters. Schließlich wünscht sich Hamilton einen packenden WM-Kampf mit ihm als Sieger, um seinen Legenden-Status zu zementieren.
Vor allem Zweikämpfe mit mehrmaligen Weltmeistern wie Sebastian Vettel in der Saison 2018 helfen dabei seinem Ansehen. Siegt er zu leicht, sieht er sich dagegen dem Vorwurf ausgesetzt, dass Mercedes und nicht Hamilton den Unterschied machen würde.
WM-Kampf mit Bottas statt Vettel?
Einen packenden WM-Kampf könnte Hamilton in dieser Saison kriegen, nach aktueller Lage allerdings nicht mit einem mehrmaligen Weltmeister, sondern mit seinem deutlich weniger arrivierten Teamkollegen.
Valtteri Bottas fährt bisher die Saison seines Lebens. Der Finne hat wie Hamilton zwei der ersten vier Rennen gewonnen und zweimal Rang zwei belegt. Dank des Extrapunkts für die schnellste Rennrunde in Australien führt er sogar die Gesamtwertung an. (Service: Die Fahrerwertung)
"Valtteri hat sich in diesem Jahr ganz deutlich verbessert. Er ist wirklich glücklich im Auto und liefert fantastisch ab. Es wird also von uns beiden tolle Leistungen benötigt, um uns gegenseitig zu schlagen. So sollte das auch sein", lobte Hamilton.
Hamilton lobt Teamkollege Bottas
Der Brite spricht sowieso stets in höchsten Tönen von Bottas. Womöglich als Dankeschön für die vergangenen beiden Jahre, als sich der Nachfolger von Nico Rosberg im WM-Kampf als braver Schattenmann präsentierte, der Vettel blockte oder Hamilton anderweitig half.
Offenbar hat Bottas mit diesem Gehorsam seinen Teamkollegen eingelullt - das würde zumindest Hamiltons Fahrweise unmittelbar nach Start des Baku-Rennens erklären. Hamilton war nämlich besser losgekommen und auf der Innenseite bereits neben Bottas.
Doch Hamilton hielt zur Überraschung vieler nicht voll rein. "Er hatte in Kurve 1 und 2 die Möglichkeit, hat es aber nicht gemacht. Und in Kurve 3 war er noch einmal sehr verhalten. Er war angriffsunlustig und hat sich mental auf Nummer sicher eingestellt", schimpfte ORF-Kommentator Alexander Wurz.
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Hamilton gibt zu: "War freundlich"
Ein Verhalten, welches man von Hamilton nicht gewohnt ist. "Im Rennen war ich in Kurve 1 gegenüber Valtteri einfach zu freundlich. Da habe ich es ihm überlassen", gab auch der fünfmalige Weltmeister nach dem Rennen zu.
Hamilton erklärte seine Zurückhaltung zwar damit, dass er ans Team dachte und nicht egoistisch sein wollte. Jeder, der die Formel 1 nicht erst seit kurzem verfolgt, weiß aber, dass er seine Ex-Teamkollegen Rosberg oder Fernando Alonso eher in die Mauer geschickt hätte, als bei so einem Duell zurückzuziehen.
Eine ähnlich vergiftete Atmosphäre wie damals will Hamilton aber nicht mehr erleben: "Valtteri und ich hatten schon immer viel Respekt füreinander und so ist es bis heute. Wir haben das vor dem Rennen besprochen und ein Gentlemen's Agreement getroffen, an das wir uns beide hielten."
Ist Hamilton der Egoismus abhanden gekommen?
Hat Hamilton also auf seinen alten Formel-1-Tage plötzlich den Egoismus verloren, den viele große Formel-1-Champions wie Michael Schumacher, Ayrton Senna oder Niki Lauda auszeichnete? Unwahrscheinlich.
Nicht wenige vermuten, dass Hamilton in Bottas einfach keinen Titelrivalen für die ganze Saison sieht und sich vielmehr vor einem widererstarkten Ferrari mit Vettel fürchtet. Und sollte dies passieren, wäre es von Vorteil, einen wohlgesonnenen Teamkollegen auf seiner Seite zu haben.
Diese Einstellung kann sich natürlich rächen, denn Bottas wirkt gefestigt und hungrig wie nie. Während seine Leistungsschwankungen in den vergangenen Jahren noch ein Problem waren, hat er in dieser Saison auf vier sehr unterschiedlichen Strecken starke Leistungen gezeigt.
Auch die italienische Presse lobte Bottas nach dem Baku-GP in höchsten Tönen. So schrieb La Stampa: "Bottas, der Diener Hamiltons, wird zum Prinzen", während La Repubblica feststellte: "Bottas ist nicht mehr der Knecht Hamiltons".
Mercedes will auf Stallorder verzichten
Mercedes betont, dass sie im Gegensatz zu Ferrari eine Stallregie so lange vermeiden wollen, bis ein Fahrer keine WM-Chance mehr hat. Hamilton bestätigte auch, dass er in Baku hätte angreifen können: "Wir durften frei fahren. Den einzigen Befehl, unter dem wir fahren, lautet, sich nicht ins Auto zu fahren.
Sollte Bottas diese Topform auch in den nächsten Rennen bestätigen, wird Mercedes jedoch entscheiden müssen, ob sie beide Piloten wirklich frei um den WM-Titel kämpfen lassen. Sollte Ferraris Krise bis dahin beendet sein, wird sich das Team dies zweimal überlegen.
Doch so lange Bottas in der WM vor Hamilton liegt, kann man den Briten kaum zur Nummer 1 erklären. Deshalb sollte Hamilton schnell zu alter Angriffslust finden, damit der Teamkollege nicht doch zum größeren Problem auf dem Weg zum sechsten WM-Titel wird.