Das Warten hat endlich ein Ende: Am Donnerstag startet die Basketball-EM, die deutsche Mannschaft wird ihre Vorrundenspiele in einer durchaus schweren Gruppe mit Frankreich, Slowenien, Litauen, Bosnien-Herzegowina und Ungarn in Köln austragen. Sollte die Mannschaft von Bundestrainer Gordon Herbert die Gruppenphase überstehen, könnte sie anschließend in Berlin um Edelmetall spielen.
Basketball-EM: "Dann sind wir bis ins Finale geflogen" - Greene gibt Deutschland Tipp aus Nowitzki-Zeit
Greene: So klappt der EM-Coup
Im SPORT1-Interview spricht der ehemalige deutsche Nationalspieler Demond Greene und jetzige Co-Trainer des FC Bayern Basketball über das anstehende Turnier, die Ausbootung des langjährigen Leistungsträgers und Kapitäns Robin Benzing sowie über die Möglichkeiten, wie das DBB-Team die erste EM-Medaille seit 2005 gewinnen kann.
SPORT1: Herr Greene, Sie haben 2005 bei der EM selbst Silber gewonnen. Was ist Ihr Tipp an die deutsche Mannschaft, um so einen Erfolg bei der Heim-EM zu wiederholen?
Greene: Das Allerwichtigste ist die Teamchemie. Die muss definitiv passen. Das sehe ich bei der deutschen Mannschaft auch! Ich kenne viele Spieler auch persönlich, das Team verfügt über eine sehr gute Mischung aus Stars und Rollenspielern. Die Chemie im Team stimmt auf jeden Fall. Diese gute Atmosphäre braucht jede Mannschaft, um in so ein Turnier reinzugehen. Aber selbst so eine Teamchemie kann sehr schnell brechen, sollte es einmal nicht laufen.
SPORT1: Wie war das 2005?
Greene: Wir hatten 2005 damit gute Erfahrung, haben im Vorfeld der EM so gut wie jedes Spiel verloren und den EM-Start ebenfalls in den Sand gesetzt. Trotzdem sind wir zusammengeblieben, es hat die Teamchemie überhaupt nicht beeinflusst. Das war ein Weckruf für die Mannschaft und hat uns enger zusammenrücken lassen. Dann sind wir bis ins Finale geflogen. Das hätte nicht funktioniert ohne eine gesunde Atmosphäre und klar aufgeteilte Hierarchie. Beides sehe ich aktuell bei der Nationalmannschaft. (Alle Infos zur Basketball-EM)
Nowitzki „hat sich nie geändert“
SPORT1: Damals mit dabei war Dirk Nowitzki, dessen Trikot vor dem EM-Auftakt gegen Frankreich unter das Hallendach gezogen wird. Wie haben Sie ihn in der gemeinsamen Zeit beim DBB erlebt?
Greene: Es war nie ein Unterschied, ob man privat oder im Basketball mit Dirk zu tun hatte. Er ist ein Spieler, den ich vor seiner NBA-Karriere in unserer Zeit in Würzburg kennenlernen durfte. Da war er dann nur der große blonde Superspieler, der eine große Zukunft vor sich hatte. Er ist über die ganzen Jahre hinweg immer genauso geblieben, wie ich ihn kennengelernt habe. Er hat sich nie geändert, ist immer der Spaßvogel geblieben, mit dem man im Bus oder Hotel Witze machen konnte. Das rechne ich Dirk sehr hoch an.
SPORT1: Wie wichtig sind NBA-Spieler im Kader?
Greene: Ich finde es immer schwer zu sagen, dass NBA-Spieler besser als andere Spieler sind. NBA-Spieler haben extreme Qualitäten, die dem DBB-Team in Person von Dennis Schröder und Daniel Theis extrem helfen können. Franz Wagner hat ebenfalls hervorragende Fähigkeiten. Seine explosive Penetration, seine Schnelligkeit, seine Größe und die besondere Athletik sind perfekt für die NBA. Er kann seinen eigenen Wurf kreieren, mit seiner Größe auch über Verteidiger hinweg werfen und am Korb finishen. Das heißt nicht, dass er besser ist als andere Spieler auf seiner Position wie beispielsweise Niels Giffey. Franz bringt andere Qualitäten, die dann ein Giffey nicht hat. Das wird dem Team sehr helfen. Franz hat gezeigt, dass er ein sehr guter, aggressiver Scorer ist. Das braucht ein Dennis Schröder auch. Er braucht weitere Spieler, die den Ball konstant im Korb konstant versenken können.
SPORT1: Daniel Theis (Knieprobleme) droht auszufallen. Wie schlimm wäre das?
Greene: Die Nationalmannschaft hat in den letzten Wochen auch ohne ihn spielen müssen. Wenn er natürlich zu 100% fit ist, sollte er im EM-Kader stehen. Defensiv kann er dem Team mit seiner Erfahrung, Physis und seinem Kampfgeist immer etwas geben und ein Anker in der Zone sein.
EM-Absagen? „Sollte man respektieren“
SPORT1: Einige Leistungsträger wie Maxi Kleber oder Tibor Pleiß sagten für die Heim-EM ab - wie schätzen Sie das ein?
Greene: Solche Entscheidungen, gerade heutzutage mit den vielen Spielen in kurzer Zeit, muss man definitiv respektieren. Die Jungs kennen ihren Körper und wissen, wie sie sich fühlen. Es macht keinen Sinn, mit körperlichen Defiziten zur Nationalmannschaft zu stoßen und dann keine Leistung zeigen zu können. Dann soll lieber ein fitter Spieler die Chance bekommen. (Der Spielplan der Basketball-EM)
SPORT1: Wie stark sehen Sie Deutschland aktuell?
Greene: Wir haben immer noch genug Qualität. Es wäre schade, wenn der DBB-Kader nur aus 15 Spielern bestehen würde und dahinter kommt nichts mehr. So war es eher in meiner Zeit. Heute haben wir eine deutlich größere Breite und Tiefe im Kader. Man könnte ohne Probleme zwei deutsche Mannschaften zur EM schicken, was zu meiner Zeit undenkbar war.
EM-Aus von Benzing? „Unglücklich gelaufen“
SPORT1: Nicht dabei ist dagegen der langjährige Kapitän Robin Benzing – wie stehen Sie zu seiner Streichung aus dem Kader, obwohl er im letzten Jahrzehnt immer zur Verfügung stand, sogar die Geburt eines seiner Kinder für den DBB verpasste?
Greene: Das ist definitiv eine schwierige Konstellation und unter dem Aspekt des Timings der Heim-EM sehr unglücklich gelaufen. Robin hat der Nationalmannschaft über einige Jahre viel gegeben und hat viele Sommer und Zeit geopfert. Er hat nie gesagt, dass er nicht spielen will. Das rechnet man ihm sehr hoch an und ich respektiere ihn dafür. Letztendlich war es eine Entscheidung des Trainers, der seine Gründe haben wird. Gordon Herbert setzt auf andere Spieler, die seinen Vorstellungen der Spielweise eher entsprechen als Robin. Aber dass Robin bei der EM fehlt, schmälert seine großartige Karriere beim DBB nicht im Geringsten.
„Dennis ist natürlich sehr wichtig für das Team, aber...“
SPORT1: Dennis Schröder ist sein Nachfolger als Kapitän - die richtige Wahl?
Greene: Wenn ich mir den Kader anschaue – warum nicht? Wer am Ende des Tages als Kapitän auf dem Feld oder auf dem Meldebogen steht, ist nicht immer so wichtig. Dennis ist ein Spieler, der die Rolle als Kapitän nicht so an die große Glocke hängt, wie andere. Er kennt seine Qualitäten und weiß, dass er durch die Position, die Minuten und seine Rolle auch ein Leader sein muss. Wie Johannes Voigtmann ist er ein Spieler, der auf dem Court sehr viel redet und viel Verantwortung hat. Diese beiden wären auch für mich als Kapitän in Frage gekommen.
SPORT1: Wie wichtig ist eine gute EM von Schröder für das Abschneiden der deutschen Mannschaft?
Greene: Dennis ist natürlich sehr wichtig für das Team, aber die anderen sind genauso wichtig für einen Teamerfolg. Das hat man gegen Slowenien gesehen, als das DBB-Team 90 Punkte gemacht hat. Dennis hat offensiv seine Rolle gefunden, vor allem in der zweiten Halbzeit. Am Ende steuerte er zusätzlich zu seinen 17 Punkten noch zehn Assists bei. Er ist ein Spieler, der nicht unbedingt alles allein machen möchte. Er sucht seine Mitspieler immer wieder, sie müssen dann natürlich auch die Würfe versenken. Da kommen Spieler wie Andi Obst ins Spiel, der für das Team sehr wichtig ist. Man braucht Spieler, die konstant Punkte liefern können. Dennis hat dann auch mehr Freiräume in der Mitte, um zum Korb zu ziehen und per Layup abschließen zu können. Er braucht die Spieler um ihn herum, um erfolgreich Basketball spielen zu können.
Nick Weiler-Babb - „der Feuerwehrmann des DBB-Teams“
SPORT1: Die Einbürgerung von Spielern wird kontrovers diskutiert. In Spanien wurde Lorenzo Brown oder in Kroatien ALBA-Spieler Jaleen Smith geholt. Beide haben - anders als der deutsche Neu-Nationalspieler Nick Weiler-Babb - gar keinen familiären Hintergrund in diesen Ländern. Wie beurteilen sie diese Fälle?
Greene: Nick hat deutsche Wurzeln, warum sollte er die Möglichkeit dann nicht bekommen? Nicks Situation ist eine andere als die eines Jaleen Smith, der jetzt für Kroatien auflaufen wird. Nick ist ein Top-Spieler, der einen super Charakter hat und in seiner Zeit in Ludwigsburg und jetzt beim FC Bayern gezeigt hat, was er kann.
SPORT1: Wie hilft er dem DBB-Team weiter?
Greene: Er ist ein Spieler auf der Guard-Position, der alles kann. Er ist sehr vielseitig, ich würde ihn als Feuerwehrmann des DBB-Teams bezeichnen. Er kann defensiv auf jeder Position verteidigen und offensiv werfen, den Ball vortragen, Post-Up spielen und mit seiner Athletik glänzen. Es gibt nichts, was er nicht kann. Er zeichnet sich durch ein großes Allround-Game aus, was der Nationalmannschaft enorm helfen kann. Ich freue mich sehr für ihn.