Spätestens seit dem letzten Major in Paris ist GamerLegion auch dem weniger tief in der Materie der Counter-Strike-Szene steckenden Fan ein Begriff. Der furiose Run, der aus Deutschland stammenden Organisation, endete erst im Finale an einem überragenden Team Vitality.
„Im Fußball ist so ein Aufstieg nicht möglich“
Zuvor hatte man unter anderem etablierte Schwergewichte wie MOUZ, OG und Heroic aus dem Weg geräumt und sich so in wenigen Tagen von außerhalb der Top30 unter die besten zehn Teams der Welt gespielt.
Was ein solcher Schritt nach vorne mit sich bringt, welche Möglichkeiten sich plötzlich auftun - das könnte keiner besser beantworten als Nicolas Reber, CEO und Gründer von GamerLegion. SPORT1 hat sich mit ihm getroffen und sprach über Ambitionen, den deutschen Talente-Pool und was passiert, wenn etablierte Top-Teams bei den eigenen Spielern anklopfen.
SPORT1: Nicolas, ihr seid quasi aus dem Nichts gekommen. Natürlich ist GamerLegion ein Name in Counter-Strike, aber es war nun nicht so, dass ihr kontinuierlich ganz oben mitgespielt habt. Dann der zweite Platz beim Major. Was ist euer Geheimnis? Wo kam dieser Sprung auf einmal her?
Nicolas Reber: Ich glaube, es ist weniger ein Geheimnis, eher eine Kombination aus für uns positiven und negativen Zusammenhängen, die davor schon entstanden sind. Spätestens unsere Leistung in der Challenger Stage der IEM Rio Ende letzten Jahres, als wir Team Vitality geschlagen haben, hat gezeigt „Das Team hat Potenzial!“. Klar, sind wir dann am Ende doch frühzeitig ausgeschieden und das war in dem Moment auch bitter, aber ein Weiterkommen wäre locker möglich gewesen.
Dazu kam, dass wir schnell gemerkt haben, dass wir ein Offline-Team sind. Sprich dann am besten, wenn wir sozusagen dem Gegner physisch Auge in Auge gegenüberstehen können. Jetzt in Paris haben wir das Ganze dann eben einfach mal auf die Spitze getrieben und all das vorhandene Potenzial abgerufen.
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Außerdem - und da muss ich ein bisschen ausholen - hatte sich im Vorfeld, bei der Qualifikation zum Major, eine Geschichte zugetragen, aus der wir nochmal mehr Motivation gezogen haben. Durch einen Fehler bei der Anwendung des Buchholz-Systems waren wir irrtümlicherweise nicht direkt für die Legends- sondern nur für die Challengers-Stage in Paris qualifiziert. Aus diesem Grund wollten wir allen erst recht beweisen, dass wir in die Legends-Stage gehören.
Und da glaubten wir auch alle immer noch daran, als wir den schlechtmöglichsten Start (Niederlagen gegen Complexity Gaming und The MongolZ Anm. d. Red.) hingelegt hatten. Ich selbst hatte tatsächlich so gepackt, dass ich Klamotten für die Challenger-Stage plus einen weiteren Sieg in der Legends-Stage dabeihatte. Also tatsächlich nur für einige Tage. Letztendlich war ich aber dann zwei Wochen dort.
Am Ende musste ich dahingehend dann also doch ganz schön zaubern (lacht). Aber lieber so als andersherum!
SPORT1: Ändert so ein Top-Ergebnis dann auch automatisch die Ansprüche? Was war denn überhaupt die Zielsetzung bevor es nach Paris ging?
Nicolas Reber: Als klar war, dass wir in Paris mit dabei sind, kam schon so eine gewisse Grunderwartungshaltung auf.
Zu wissen, dass wir überhaupt Teil eines Majors sind, war aber sozusagen schon 70 Prozent der Miete. Klar, war die Hoffnung da auch die Legends-Stage zu erreichen, aber wir waren wir vor dem Major gar nicht in den Top30 der HLTV-Weltrangliste gerankt und überhaupt das am niedrigsten gelistete Team im Teilnehmerfeld der Champions-Stage. Entsprechend war die Zielsetzung.
Aber natürlich ändert so ein Ergebnis dann im Nachgang an das Turnier die Erwartungshaltung. Wir sind in der Weltrangliste in dieser kurzen Zeit von Platz 31 auf 22 auf 7. So hoch waren wir noch nie platziert! Klar gehen da die Gedankenspiele los und es stellt sich einem dann vor allem die Frage „Wie können wir es schaffen, uns langfristig auf diesem Level zu etablieren?“.
Das Schöne am eSports ist dabei aber, dass es deutlich einfach geht, so einen Sprung erfolgreich zu handeln. Im Fußball beispielsweise wäre so ein rasanter Aufstieg kaum möglich, weil die Strukturen hinter dem ganzen zu klein, zu unausgereift wären. Im eSports ist es egal, ob das Team nun von drei Social-Media-Managern begleitet wird oder von 30. Es geht bei uns viel mehr um die spielerische Leistung. Wenn das Team gut spielt, dann kann uns de facto auch keiner daran hindern, weiter da oben mitzuspielen. Zumindest dann, wenn die Organisation gewillt ist, die Struktur mit der Zeit auch an die verbesserte Leistung der Spieler anzupassen und diese nicht einfach an das nächste Tier-1-Team abgibt.
SPORT1: Das ist ein gutes Stichwort. Wie sicher kann man als Fan von GamerLegion denn überhaupt sein, dass das Team, so wie es jetzt ist, auch noch für längere Zeit zusammenbleibt?
Nicolas Reber: Natürlich kann der Fall eintreten, dass eine - nennen wir es mal besser situierte - Organisation an deinen Spieler herantritt und dem ein Angebot macht, dass du nicht matchen kannst, weil es die komplette (Gehalts-)Struktur deines Teams über den Haufen werfen würde. So geschehen beispielsweise 2020 als wir uns dafür entschieden haben, William „Mezii“ Merriman an Cloud9 abzugegeben.
Nur sind wir jetzt im Vergleich zu damals in einer viel komfortableren Position. Denn jetzt sind wir ein Top10-Team. Das heißt, wir haben den Vorteil, dass wir jetzt schon einige fixe Einladungen zu kommenden, prestigeträchtigeren Turnieren haben und damit viel mehr bieten können als einfach nur Geld in Form von Gehältern.
Natürlich kann es trotzdem passieren, dass beispielsweise ein G2 Esports an die Tür klopft, Spieler XY haben möchte und diesem zumindest gehaltstechnisch noch ein paar Prozente mehr bieten kann. Aber wie gesagt: Durch unseren Status als Top10-Team haben wir selber deutlich mehr Möglichkeiten als zuvor und werden entsprechend natürlich alles dafür tun, dass das Team zusammenbleibt.
Garantieren kann ich natürlich nichts. Aber die Chancen stehen gut, dass das Team vorerst genau so zusammenbleibt.
Weiter mit Teil 2.
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