Das Tornetz vor der Schalker Nordtribüne hängt in Fetzen. Der Rasen der Veltins Arena gleicht einem El Dorado für Wühlmäuse, die Fans haben Grassoden als Souvenirs gleich quadratmeterweise herausgeschnitten.
Schalkes schmaler Grat
Zwei Tage nach der feststehenden direkten Rückkehr in die Bundesliga wirkt das Innere des Schalker Fußball-Tempels eher wie ein Trümmerfeld. Doch der Schein trügt - ebenso wie die Tränen von Aufstiegsheld Simon Terodde: Es sind nur die Folgen grenzenloser Freude, purer Erleichterung, einer rauschenden Party. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur 2. Bundesliga)
Schalke feiert sich selbst. Mannschaft, Verantwortliche, Anhänger - allesamt wiedervereint im Triumph. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der 2. Bundesliga)
Asamoah: Werde die Angst in Büskens Augen nie vergessen
Das war vor einem Jahr noch ganz anders.
Als der Schalker Abstieg feststand und die Mannschaft gedemütigt nach einem 0:1 aus Bielefeld nach Gelsenkirchen zurückkehrte, wurde sie bereits von einem Mob von etwa 500 Personen am Stadion empfangen. Erst flogen Eier und Böller, dann Fäuste. Es kam zu schockierenden Jagdszenen. Spieler und Mitarbeiter wurden getreten, geschlagen.
Gerald Asamoah, der die Ereignisse als Teamkoordinator miterlebte, sagte wenig später fassungslos: „Die Angst in den Augen von Mike Büskens werde ich nie vergessen.“
Vergessen nicht - aber Schalke hat es geschafft, weiterzumachen, es anders zu machen, besser. Rouven Schröder kam vor der Saison als Sportdirektor. Das Problem um Patron Clemens Tönnies wurde gelöst. Die Mannschaft wurde fast komplett neu aufgestellt. Mit Spielern, die sich identifizieren - und Torjäger Terodde an bzw. in der Spitze.
Als der Aufstieg dennoch schon utopisch schien, griff Schalke zum letzten Mittel, zum Allheilmittel, zu Büskens. Es war der Eurofighter, ein Jahr zuvor als Co-Trainer am Abstieg mitbeteiligt und von den Fans traumatisiert, der Dimitrios Grammozis im März ablöste und die Bundesliga-Rückkehr perfekt machte.
Büskens: „Wir waren sehr demütig“
„Wir haben uns grundsätzlich wieder auf Werte besinnt, für die wir auch stehen. Wir waren sehr demütig, wir waren bereit, miteinander hart zu arbeiten. Das war immer elementar auf Schalke. Vielleicht hat uns der Abstieg auch gutgetan, damit wir mal wieder zu uns finden“, sagte Büskens am Sonntag im STAHLWERK Doppelpass bei SPORT1.
In der Nacht zuvor verdrückte er bei der Aufstiegsparty genüsslich eine Currywurst und spülte mit einem Bier nach. (So lief Schalkes Partynacht) Als er nach dem wilden 3:2 gegen St. Pauli sprach und die Pressekonferenz live auf dem Videowürfel gezeigt wurde, brandete großer Applaus auf. Wie eine Flut, die große Teile der schlimmen Erinnerungen von vor einem Jahr davonspült. (DATEN: Die Tabelle der 2. Bundesliga)
Das ist Schalke. Lieben, hassen - vergeben. Emotionale Extreme, im Guten wie im Schlechten.
„Das Wichtigste ist, das es wieder ein Miteinander gibt - zwischen der Anhängerschaft und dem Verein“, sagte Büskens im STAHLWERK Doppelpass weiter: „Das war die Grundlage dafür, dass wir wieder hochkommen.“
Schalke vor großen Herausforderungen
Und jetzt? Wie geht es weiter?
Büskens wird auch in der kommenden Saison auf der Schalker Bank sitzen. Allerdings „als Co-Trainer, der sich um junge Spieler kümmern möchte“, wie er bei SPORT1 betonte.
Schalkes dringendste Aufgabe ist es, einen neuen, passenden Chefcoach zu finden. Doch damit nicht genug. Die Mannschaft muss qualitativ den Herausforderungen der ersten Liga angepasst werden, braucht noch dazu eine Verjüngung. Und das alles bei einer millionenschweren Schuldenlast. (Kommentar: Der Rausch wird verfliegen)
„Wenn wir die Basis weiterhin im Rücken haben, so wie ich sie im Moment habe, dann sehe ich doch positiv in die Zukunft“, sagte Büskens: „Wir sind nicht mehr das Schalke, das den Anspruch hat, adhoc von der Champions League zu träumen. Wir haben berechtigterweise bluten müssen, das hatten wir uns selbst zuzuschreiben und jetzt werden wir wieder kleine Schritte nach oben machen.“
Der Grat, auf dem Schalke dabei wandelt, bleibt schmal. Euphorie, Ansprüche, Träume auf der einen Seite, notwendige Kaderanpassungen bei drückenden Schulden auf der anderen. Kleine Schritte, das scheinen sie gelernt zu haben, sind besser als große, unbedachte Sprünge - inklusive Absturz.