Neunzig Minuten. So viel trennt Christina Rann beim Anpfiff des Rückspiels in der Relegation am 23. Mai von der 1. Bundesliga.
Das ist die Stimme des HSV
Das Hinspiel hat der Hamburger SV 1:0 gegen Hertha BSC gewonnen und nicht wenige Besucher*innen des Volksparkstadions sind an jenem Abend fest davon überzeugt, ihr Verein werde mit diesem Spiel zurückkehren ins Oberhaus.
90 Minuten.
- „Flutlicht an. Im Gespräch mit der Wortpiratin“, der Podcast auf SPORT1, in dem Journalistin und Autorin Mara Pfeiffer Menschen in den Mittelpunkt stellt, die im schnelllebigen und lauten Fußballgeschäft oft zu wenig im Rampenlicht stehen.
Hertha lässt HSV-Aufstieg platzen
Sie habe es der Truppe absolut zugetraut, sagt Rann wenige Tage später im Podcast. Doch mit einem 2:0 setzen sich die Berliner an dem Abend in Hamburg durch – und halten den HSV, jenen traditionsreichen Hamburger Verein, in der 2. Liga.
Und Rann? Steht nach Abpfiff mit dem Mikrofon in der Hand im Stadionrund, wie das nun mal ihre Aufgabe ist: Seit zwei Jahren ist sie gemeinsam mit Christian Stübinger als Stadionsprecher*in-Duo am Start.
Sie habe versucht, in diesem Moment Trost zu spenden, erzählt Rann zwei Tage später. So, wie sie selbst in den Stunden nach der Niederlage Zuspruch und Aufmunterung erhält, in den vielen Nachrichten, die andere Fußballliebhaber*innen ihr senden. „Das waren sehr tröstende Worte“, erzählt sie. Diese Gemeinsamkeit habe ihr gutgetan. Den Schmerz gemildert.
Rann freut sich über HSV-Anfrage
Rann saß auf ihrer Couch, als das Telefon mit der Anfrage des HSV klingelte. Sie lacht bei der Erinnerung. Ganz unspektakulär, wie sich das Leben manchmal verändert. „Mich hat das sehr gefreut.“ Sie habe „pro forma“ eine Nacht darüber geschlafen, so hat sie es gelernt. Aber im Volkspark am Mikrofon zu stehen, das sei ein Gefühl des Nachhausekommens gewesen.
Während ihres Studiums – Sportwissenschaft mit Schwerpunkt Medien und Journalismus – hat die Journalistin bei ihrem HSV Spielreportagen für blinde und sehbehinderte Menschen gesprochen. Dabei habe sie viel gelernt, über sich, den Fußball, die Gesellschaft.
Es folgen die ersten Jahre im Sportjournalismus, einem Bereich, über den Rann sagt, er fühle sich an wie „ein Hürdenlauf über Brezeln und Bier, weil es bei Karriereentscheidungen nicht ausschließlich um Fachkompetenz geht, sondern manchmal auch ganz profan um das Geschlecht.“
Rann beißt sich durch. Schreckliche Formulierung? Vielleicht. Und doch in diesem Bereich für alle Menschen, die nicht cis männlich sind, immer noch treffend. Allerdings: „Ich möchte die Sichtbarkeit von Frauen im Fußball fördern, aber an Spieltagen mache ich einfach meinen Job.“
Rann spricht fünf Sprachen
Diese Unterscheidung ist der fünfsprachigen Rann wichtig, aus gutem Grund. Wobei sie festgestellt hat, die Rückmeldungen zu ihrer Arbeit am Stadionmikro sind freundlicher als die zu ihren journalistischen Aufgaben. Vielleicht ist es die Liebe zum Verein, die da abfärbt.
Inzwischen ist die Journalistin Mutter eines Kindes, um genau zu sein: einer Tochter. Die Eltern leben zuhause vor, wie das aussehen sollte, wenn zwei gleichberechtigt Aufgaben in Sachen Familie und Carearbeit übernehmen – und außerdem ihren Jobs nachgehen.
Gleichwohl sei es immer noch sie, die man bei mehrtägigen Jobs frage: Wie vereinbaren Sie das mit der Rolle als Mutter? Rann sieht darin beide Elternteile diskriminiert, die arbeitende Mutter ebenso wie den betreuenden Vater. Für ihr Kind wünscht sie sich eine andere Zukunft. Vielleicht kann sie mit der absoluten Selbstverständlichkeit, die sie in ihrem Job lebt, dazu beitragen.