Was man Paul Breitner zugutehalten muss: Er ist kein Mensch, der andere Menschen kaltlässt. Entweder mag man ihn, oder man kann ihn nicht ganz so gut leiden.
Aus dem Leben eines Querulanten
Er selbst hat einmal in einem Interview sehr viel über sein Leben, Denken und Tun in zwei knappen Sätzen preisgegeben: „Für mich war es nebensächlich, im Spiel anderthalb Stunden zu rennen. Die Hauptsache war, Schlagzeilen zu liefern, mich im Gespräch zu halten als einer von vier oder fünf Topleuten in Deutschland.“
Die Wochenzeitung Die Zeit schrieb zum selben Thema: „Breitner war ein durchschnittlicher Verteidiger, ein durchschnittlicher Mittelfeldspieler, ein durchschnittlicher Stürmer, ein durchschnittlicher Athlet. Einzig und allein war er auf einem Gebiet überdurchschnittlich: auf dem Gebiet der Selbstdarstellung. “ (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)
Nicht einmal der „Kaiser“ Franz Beckenbauer blieb von ihm verschont
Als ein Magazin Paul Breitner eines Tages fragte, ob er sich auch für sehr spezielle Produkte als Werbefigur verpflichten ließe, antwortete der Welt- und Europameister wie selbstverständlich: „Reklame machen für Klopapier? Bei so einem Hintern, wie ich ihn habe, könnte ich das unbedingt tun.“
Sein Talent für plakative Sprüche sorgte jedoch nicht immer in seinem Leben für Beifall und Begeisterung. Seinen hartnäckigen Ruf als Querulant hat sich Breitner ohne Frage durch seine kompromisslose Art und Weise wohlverdient. Besonders seine Zeit als Kolumnist einer großen deutschen Boulevardzeitung hat dabei sein Verhältnis zur Branche so manches Mal getrübt.
Bei der Heim-Europameisterschaft 1988 bezeichnete er seinen früheren Mitspieler, den „Kaiser“ Franz Beckenbauer, gar als den „Totengräber des deutschen Fußballs“. Das konnte der damalige Stürmerstar der Nationalelf, Rudi Völler, dann allerdings nicht so einfach stehen lassen und meinte kess und unverblümt: „In der Mannschaft wissen natürlich alle, dass der Paul Breitner ein A****loch ist, nur sagt es keiner offiziell.“ Die direkte Art Völlers wird dem bärtigen Kolumnisten wahrscheinlich sogar imponiert haben. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)
Toni Schumacher: „Zigarre steht ihm besser“
Bereits ein, zwei Jahre zuvor hatte der auch nicht unbedingt für ausschweifende Diplomatie bekannte Nationaltorhüter Toni Schumacher schon versucht, den Ex-Bayern-Profi zur Vernunft zu bringen – vergeblich:
„Ich habe ja Verständnis für das Bedürfnis, sich mitzuteilen, aber Paul sollte lieber in die Davidoff-No.1-Kiste greifen, die ich ihm geschenkt habe. Eine Zigarre im Mund steht ihm besser als ein Füller in der Hand.“
Damals wusste Breitner allerdings selbst wohl noch nicht so genau, wie sein Leben nach der Karriere auf dem Rasen aussehen könnte. Und so hörte sich Ende der Achtzigerjahre die Beschreibung des aktuellen Werdegangs des in Kolbermoor geborenen Ex-Profis in der SportBild recht diffus an: „Linksverteidiger Paul Breitner (36) ist Kolumnist der BILD, handelt mit Champagner, ist in der Immobilien- und Anlagenbranche, studiert in München.“ (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
Breitner selbst sah das Ganze offensichtlich einigermaßen entspannt. Auf die Frage, mit welcher Berufsbezeichnung er im Hotel einchecke, sagte er damals: „Ich schreib ‚Kaufmann‘ rein. Da fragt dann keiner mehr, was ich mache.“
Paul Breitner: Wechsel ins Feindesland und ungewöhnliche Verwandtschaft
Wie er allerdings zu seinem Job bei der Presse überhaupt hatte kommen können, war vielen Medienvertretern anfangs schlicht ein Rätsel – schließlich hatte Breitner während seiner aktiven Fußballerzeit selbst so manche Fehde mit Journalisten ausgefochten: „Wenn mich einer in der Zeitung ‚Zigeuner‘ genannt hat, habe ich in aller Öffentlichkeit ‚Schreibtischmörder‘ zu ihm gesagt!“
Wie bei der Berufswahl, so ließ sich Breitner auch beim Thema Frauen in frühen Tagen nicht in ein enges Korsett zwängen: „Ich bin auf keinen bestimmten Frauentyp, blond, schwarz, braun, fixiert. Man muss flexibel sein.“ Vielleicht waren das aber auch wieder nur typische Sätze der Marke Breitner. Denn mit seiner Frau Hildegard ist er seit über 50 Jahren zusammen und hat drei Kinder.
Ein Funfact an dieser Stelle für das erfolgreiche Abschneiden bei TV-Quizshows: Mit Papst Benedikt XVI. ist Paul Breitner über mehrere Ecken sogar verwandt.
Alkoholkonsum sorgte für dicke Luft beim DFB
Aus seiner Vorliebe für gute Weine hat Breitner nie einen Hehl gemacht, doch 1982 eskalierte dieses Faible kurzfristig öffentlich. Schuld war die Skandal-WM der deutschen Nationalelf, die schon wenig ruhmreich im Trainingslager am Schluchsee – der passenderweise später in „Schlucksee“ umgetauft wurde – begonnen hatte. Und mittendrin damals der bärtige Bayern-Star, wie Der Spiegel süffisant schrieb:
„Für jeden außer Paul Breitner hätte das und die folgende Krise gereicht, um ihn für den Rest des Turniers auf die Tribüne zu verbannen. Benommen ist er nach einem Zusammenprall mit Torwart Schumacher im Chile-Spiel vom Platz gehumpelt. Nach einem Schlag in den Magen muss er sich übergeben. Aber es ist wohl nicht nur deshalb. Trainer Jupp Derwall seufzt: ‚Nun hat er auch noch Rotwein draufgegossen.‘“
Es war die WM, als sich die Mannschaft untereinander nicht grün war. Schumacher schrieb später in seinem Buch „Anpfiff“ über Breitner: „Er soff wie ein Kosake“. Und auch Berti Vogts regte sich damals über den ewig nörgelnden Teamkollegen auf: „Breitner war es doch, der zu besoffen war zum Trainieren.“
Die beiden wurden nach dieser WM übrigens auch keine Freunde mehr. Als ein Journalist Vogts einmal zutrug, dass er mit der Wunschelf von Breitner gespielt habe, erwiderte der damalige Bundestrainer: „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich die Aufstellung geändert.“
FC Bayern München: Verstoßung als Ultima Ratio
Schon früh war Breitner auch bei den Funktionären seines Vereins angeeckt. Der konservative Klubpräsident des FC Bayern München, Wilhelm Neudecker, bot den linken Verteidiger damals sogar zum Verkauf an, weil er Schlimmeres verhindern wollte: „Sonst habe ich in Kürze Verhältnisse, wie sie an den Hochschulen herrschen.“
Der denkende Spieler Breitner (“Ich habe immer drei, vier Bücher dabei. Alles, was mir wichtig erscheint, natürlich auch Schriften von Lenin und Mao“) machte Neudecker damals Angst. Wahrscheinlich nicht ganz zu Unrecht, denn Breitner sah sich und seine Kameraden durchaus zu Höherem berufen:
„Wer sagt denn, dass nicht einer von uns Spielern sich in 30 Jahren als Philosoph einen Namen macht, oder als Maler oder was weiß ich.“
„Und du spielst wie ein A****!“ - legendäre Begegnung mit Kult-Schiri Ahlenfelder
Aber es ging im Leben des Paul Breitner auch um viel banalere Themen. So spielte beispielsweise sein haariges Äußeres stets eine Rolle. Trainer Max Merkel meinte einmal: „Dem gehört eine Banane in die Hand und dann ab auf den Baum.“
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Und als Breitner mehrmals zu Schiri Wolf-Dieter Ahlenfelder „du Affe“ gesagt hatte, konterte der legendäre „Blaue an der Flöte“ sehr gelassen: „Schau mal in den Spiegel, Breitner, dann weißt du Bescheid.“
Aber die beiden hatten ohnehin ein besonderes Verhältnis. Ahlenfelder reagierte einmal auf Breitners Beleidigung, „Du pfeifst wie ein A****“, mit den Worten: „Und du spielst wie ein A****!“
FC Bayern und Uli Hoeneß - unwürdiges Ende der Beziehungen
1983 kam schließlich das Ende seiner Spielerkarriere. Es war ein für Breitner typischer Schlussakkord, der sich beim zweiten Freundschaftsspiel der denkwürdigen Südostasien-Reise ereignete.
Als er ohne sich abzumelden in der 70. Minute vom Platz ging, wurde der Bayern-Profi vom Linienrichter zurückgehalten und nach einer Beleidigung gegenüber dem Mann an der Außenbahn vom Schiedsrichter gefragt, ob er die rote Karte wolle. Breitner antwortete lächelnd: „Jawoll, ich will sie!“ Später fügte er noch hinzu: „So ist es richtig, die rote Karte war ein Symbol. Jetzt ist endgültig Schluss!“
Leider galt das anschließend auch für die Freundschaft des ewigen Querulanten mit seinem langjährigen Kameraden Uli Hoeneß. Doch das konnte er damals noch nicht ahnen. Aber eine Sache kann man Paul Breitner wahrlich nicht vorwerfen: Er ist kein Mensch, der andere Menschen kaltlässt.
Ben Redelings wurde 1975 im Flutlichtschatten des Bochumer Ruhrstadions geboren und ist Experte für die unterhaltsamen Momente des Fußballs. Sein aktuelles Werk „Das neue Buch der Fußballsprüche“ verkauft sich sprichwörtlich wie das gut gekühlte Stadionbier. Als SPORT1-Kolumnist schreibt Ben regelmäßig über die „Legenden des Fußballs“ und „Best of Bundesliga“. Der Beitrag zu Paul Breitner war zunächst in Deutschlands größtem Sport-Supplement FUSSBALL & FAMILIE zu lesen, das im Rahmen einer Kooperation zwischen der rtv media group und der SPORT1 GmbH erscheint.