„Ich musste mich nicht erst in die zehnte Reihe stellen, um zu merken, dass ich eigentlich unten hinwill“, sagt Antje Grabenhorst.
Weiblicher Ultra: „Schon krass für mich“
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Unten, das ist da, wo bei ihrem Herzensverein SV Werder Bremen die Ultras stehen. Als Grabenhorst im Teenagerinnenalter beginnt, regelmäßig ins Weserstadion zu gehen und auswärts zu fahren, wird sie Teil dieser Gruppe. Anders, sagt sie im Rückblick, sei das gar nicht denkbar gewesen.
Die Themen der Ultras seien auch zuvor schon die ihren gewesen, erinnert sie sich: Kreativität, das Subkulturelle, Feminismus, politisches Engagement. „Ich war schon politisch organisiert, bevor ich in ‚Ultra‘ reingerutscht bin.“ Anfangs habe sie das noch von Mal zu Mal entscheiden müssen, ob sie auf anstehende Demonstrationen gehe oder ins Stadion. Irgendwann habe die Frage sich nicht mehr gestellt. „Alles geben für den Verein und die Mannschaft“, sagt sie und das Lächeln ist aus ihrer Stimme herauszuhören.
- „Flutlicht an. Im Gespräch mit der Wortpiratin“, der Podcast auf SPORT1, in dem Journalistin und Autorin Mara Pfeiffer Menschen in den Mittelpunkt stellt, die im schnelllebigen und lauten Fußballgeschäft oft zu wenig im Rampenlicht stehen.
Angefangen hat das mit ihr und dem Fußball schon viel früher, erzählt die Bremerin, die heute in Hamburg lebt. Bereits im Kindergarten ist Fußball Thema zwischen den Steppkes, und viele der Gleichaltrigen schwärmen für Bayern oder Dortmund. „Aber ich fand eher den Underdog Werder spannend.“ Spätestens in der Grundschule sei es zum Thema geworden, dass sie als Mädchen doch gar kein Fußballfan sein könne, keine Anhängerin von Bremen – und bitte vor allem nicht selbst auf dem Platz stehen. „Ich bin nicht umsonst Feministin geworden.“
Grabenhorst: Der Wunsch, lieber ein Junge zu sein
Die Ausgrenzungsmechanismen der Jungs machen der Schülerin zu schaffen. „Es war schon krass für mich und hat mich für mein Leben geprägt. Aber auch stark gemacht.“ Sie will sich aus dem Fußball nicht vertreiben lassen, spielt im Verein erst in einer Jungsmannschaft, bis es auf das Betreiben der interessierten Mädchen auch ein eigenes Team gibt.
Doch ganz kommt sie weder hier noch dort an. „Ich war ein lautes, rebellisches Kind, was die Klappe aufgemacht hat, das kam nicht so gut an.“ Geprägt von gesellschaftlichen Stereotypen wünscht sie sich in jener Zeit oft, sie wäre ein Junge: Weil sie eher dem entspricht, was Jungs zugeschrieben wird.
Dennoch, das Spielen im Mädchenteam gibt auch Halt. Der erste Stadionbesuch, damals noch mit dem Großvater, eröffnet das Tor zu einem neuen Erleben. Die Teenagerin spielt, bis sie 19 Jahre alt ist, dann verschiebt sich der Fokus auf die Besuche der Spiele beim SVW. In der Kurve spielt es zunächst weniger eine Rolle, dass Grabenhorst eine Frau ist, als zuvor auf dem Fußballplatz: „Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, ich hätte nicht auch mal gemerkt, dass ich mich anders durchbeißen muss.“ Aber sie fühlt sich anerkannt, von Beginn an.
Grabenhorst und ihre Vorbildrolle
Gewisse Räume habe sie sich anders erkämpfen müssen, geholfen hat ihr, dass bereits eine Frau stark in der Gruppe präsent war. Wenn Grabenhorst selbst Spaces für sich erobert, ist sie zugleich Vorbild für die jüngeren weiblichen Ultras – und nimmt diese Rolle auch an. Wenn sie auf den Zaun klettere, erzählt sie, machen andere das eben auch. Das ist ihr wichtig.
Ihre Sozialisierung in der Fanszene prägt Grabenhorsts Leben auch über das Fansein hinaus. Aus dem Block heraus wird sie zur Fußballaktivistin, setzt sich ein für Gleichbehandlung in der Kurve und dem Stadion allgemein, gegen Diskriminierungen. Sie findet Verbündete bei „F_in – Netzwerk Frauen im Fußball“, wird eine bundesweit gefragte Vortragsrednerin rund um gesellschaftspolitische Themen im Fußball und gehört zum „Netzwerk gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt im Fußball“, in dem Leitfäden zum Umgang mit dem Thema sowohl auf Seiten der Vereine als auch in Fanszenen erarbeitet werden. Fußball ist überall.
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Zur Sichtbarkeit von Frauen leistet Grabenhorst bei ihrer Arbeit für die Football Supporters Europe einen unschätzbaren Beitrag in dem Team, das die Ausstellung „Fan.Tastic Females – Football Her.Story“ konzipiert und ausführt. In 21 Ländern treffen sie insgesamt 78 weibliche Fans und drehen Porträts, in denen diese ihre Geschichten mit dem Fußball erzählen. Eine prägende, unvergessliche Zeit auch für Grabenhorst selbst, erzählt sie bewegt.
Viel auf Achse zu sein in all diesen fußballerisch geprägten Lebensbereichen, das entspreche auch ihrer Persönlichkeit, sagt die Bremerin. „Ich kann nicht so gut stillhalten.“ Die Touren sind für Grabenhorst auch Ausdruck einer gewissen Rastlosigkeit. Vor drei Jahren adoptiert sie eine Zwergrauhaardackeldame, auch, um sich zu erden. Inzwischen lebt sie mit ihrem Freund, Ultra bei St. Pauli, in Hamburg, im Frühjahr erwarten die beiden ein Kind.
Eine Veränderung, über die sie viel geredet und nachgedacht haben, erzählt Grabenhorst. Die Vorfreude ist immens. Wie Familienleben und Fußball sich vereinen lassen, begreift das Paar als gemeinsame Aufgabe. „Ich glaube, es wird spannend, welche Abstriche ich mache.“