Wenn Michael Krause von seiner Fußballleidenschaft spricht, beschreibt er in der Rückschau Dinge, die vielen Fans bekannt vorkommen dürften. Vor den Heimspielen haben der St.-Pauli-Fan und seine Leute sich meist in der Kneipe getroffen, um schon mal vorzuglühen, also: das eine oder andere Bier zu trinken.
Der weiß-braune Kaffeeclub
Auch im Stadion gehörte Alkohol absolut selbstverständlich dazu. Und bei Partien in der Fremde sowieso: „Dass man auf Auswärtsfahrten morgens um neun sein erstes Bier in der Bahn aufmacht, war völlig okay.“
Vor fünfzehn Jahren hat sich all das für Krause geändert. Etwa fünf Jahre sei ihm da bereits bewusst gewesen, dass sein Umgang mit Alkohol problematisch geworden war, schildert er. Immerhin habe er gewusst, dass er inzwischen abhängig war. „Ich habe schon in frühen Jahren gemerkt, dass Alkohol ein wunderbares ‚Medikament‘ ist, um gewisse vermeintliche Defizite in meiner Persönlichkeit ausgleichen zu können.“ Trinken gegen die Schüchternheit.
Und dann, erklärt Krause, gehöre es nun mal zum Wesen einer Suchterkrankung, auch dann nicht aufzuhören, wenn man das Problem intellektuell bereits erkannt habe. Doch schließlich gelingt es ihm, den Kreislauf zu durchbrechen.
Der Fanclub „Weiß-braune Kaffeetrinker*innen“
Seit anderthalb Jahrzehnten ist er nun „trocken“, hat die Sucht gestoppt. Dazu gehörte, mit gewissen Gewohnheiten zu brechen, die für ihn nun zu triggerreich wären, weil Alkohol dabei allgegenwärtig ist.
Auch Fußball ist ein Umfeld voller Trigger für Menschen mit Suchterkrankungen. Doch viele von ihnen wünschen sich logischerweise, ins Stadion zurückkehren zu können. Mit der Idee, dass Gemeinschaft stark macht, wurde vor 26 Jahren auf St. Pauli der Fanclub „Weiß-braune Kaffeetrinker*innen“ gegründet.
Anfangs ist das zentrale Thema der Mitglieder Alkoholsucht, inzwischen sind auch Menschen mit Spielsucht und Doppeldiagnosen dabei, aber auch Fans ohne Suchthintergrund, die gerne die Arbeit der Kaffeetrinkenden unterstützen wollen.
Etwa 40 Mitglieder hat der Fanclub aktuell, nur drei davon sind Frauen. Krause vermutet, dass es für sie noch schambesetzter sei, zu ihrer Sucht zu stehen und betont, dass bei ihnen alle herzlich willkommen sind und Schutzraum finden. Für den wollten die Kaffeetrinker*innen zudem im Stadion sorgen: Mit Buden, an denen nur Alkoholfreies ausgeschenkt wird.
Trockendock I
Den Anstoß gab die Verlängerung der Partnerschaft zwischen dem Verein und Jack Daniel‘s. „Was uns ein bisschen sauer aufgestoßen ist, waren Äußerungen aus der Marketingabteilung, St. Pauli und Jack Daniel‘s verbinden gemeinsame Werte.“ Das sei aus ihrer Sicht „gelinde gesagt komisch formuliert“ gewesen.
Die Kaffeetrinker*innen gehen mit einem Antragspaket in die Sitzung, zwei fallen direkt durch, die Getränkebuden-Idee wird umgewandelt in einen Prüfantrag und schließlich auch abgelehnt.
Die Gespräche zwischen Verein und Fanclub sind zahlreich, die Kommunikation aber nicht immer gut. Schließlich vermitteln die Verantwortlichen von St. Pauli den Kontakt zum Caterer, die Kaffeetrinker*innen sammeln derweil Spenden und im April 2022 geht das „Trockendock I“ an den Start.
„Wir wollten natürlich auch ein Zeichen setzen“, sagt Krause. „Wir wollten den Verein bewegen, in dieser Gesamtfrage Suchtmittel auch Position zu beziehen.“ Unter den Fans gibt es zunächst Befürchtungen, der Fanclub könne komplette Verbote von Alkohol anstreben, als die jedoch zerstreut sind, wendet sich das Blatt: „Wir waren teilweise ein bisschen überrascht, wie viel Zuspruch wir bekommen haben“, erzählt Krause froh.
Denn der Kiezclub stehe in den Augen vieler nun mal für Sex, Drugs and Rock‘n‘Roll. Jetzt gebe es mit dem Trockendock ein Zusatzangebot – den Stadionbesuch ohne Konsum.
Fußball ist nicht nur Bratwurst und Bier
Neben Fans mit Suchterkrankungen sei die größte Gruppe am Stand Familien, erzählt der eingefleischte Fan. „Die Leute machen das ganz bewusst“, berichtet von Eltern, die ihren Kids zeigen wollen, dass Fußball und Alkohol kein zwingendes Pärchen sind.
„Es gibt ja scheinbar sowas wie eine in Stein gemeißelte Symbiose: Fußball, Fußball gucken, Spaß und Freude zu haben, Emotionen ausleben zu können, scheint nach wie vor für ganz viele Menschen nur zu funktionieren bei gleichzeitigem Konsum.“
Krause erinnert da an Aussagen von Funktionären, die erst in jüngerer Vergangenheit den „heiligen Dreiklang“ von Fußball, Bratwurst und Bier als einzigen Weg beschworen haben. „An diesem Dogma würden wir gern rütteln.“
Und dieses entschiedene und Rütteln hat im Dezember nun auch die Mitgliederversammlung abgesegnet. Abermals haben die Kaffeetrinker*innen dafür einen Antrag eingebracht: für den Erhalt des Trockendocks, einen zweiten Stand im Bereich der Kinder- und Jugendränge und ein Präventivkonzept speziell für Heranwachsende.
Der Antrag wurde ohne Gegenstimmen bei nur einer Handvoll Enthaltungen angenommen. Krause ist die Erleichterung anzumerken, wenn er davon erzählt. Wer mit ihm spricht, kommt nicht umhin sich zu wünschen, dass die Kaffeetrinker*innen Vorbild für Zusammenschlüsse bei anderen Vereinen werden.