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Mit ihm verlor der Fußball eine Jahrhundertfigur

Der Verlust einer Jahrhundertfigur

Heute vor drei Jahren starb der legendäre Spielmacher und Trainer Ivica Osim, in der Wahlheimat Österreich als Jahrhundertcoach verehrt – und geprägt von der Kriegstragödie in seiner bosnischen Heimat.
Ivica Osim während der WM 1990
Ivica Osim während der WM 1990
© IMAGO/Kicker/Liedel
Heute vor drei Jahren starb der legendäre Spielmacher und Trainer Ivica Osim, in der Wahlheimat Österreich als Jahrhundertcoach verehrt – und geprägt von der Kriegstragödie in seiner bosnischen Heimat.

Als er selbst noch auf dem Fußballplatz stand, war er ein Spieler für Genießer.

Den „Strauß von Zeljo“ nannten sie den Spielmacher, der 1,89 Meter groß war, aber virtuos mit dem Ball zu tänzeln wusste - „Zeljo“ war der Spitzname des FK Zeljeznicar Sarajevo, bei dem Ivica Osim einen Großteil seiner Karriere verbrachte.

Im Jahr 1968 war Osim der Spielmacher der jugoslawischen Nationalmannschaft, die bei der EM sensationell Weltmeister England mit Bobby Moore und Geoff Hurst ausschaltete und damit ins Finale einzog. Weil Osim sich dabei verletzte, musste er zusehen, wie sein Team die historische Chance verpasste und Italien unterlag.

Obwohl Osim an diesem Tag die Chance auf die Krönung seiner aktiven Karriere verwehrt blieb, sollte er als Legende in Erinnerung bleiben. Als international anerkannter Top-Coach, der in seiner späteren Wahlheimat Österreich gar den Rang als „Jahrhundert-Trainer“ genießt. Aber auch als beeindruckende Persönlichkeit, deren berühmtester Moment auch Jahrzehnte später als eindrucksvolles Statement der Menschlichkeit in Erinnerung ist.

Der Krieg zerstörte Ivica Osims Heimat

Osim wurde 1986 nach einer erfolgreichen Zeit als Vereinstrainer von „Zeljo“ zum Nationaltrainer Jugoslawiens berufen. Er führte das hochkarätig besetzte Vielvölker-Ensemble zur WM 1990 in Italien, trotz einer 1:4-Auftaktschlappe gegen den späteren Weltmeister Deutschland - zwei Tore des sich in Weltfußballerform steigernden Lothar Matthäus - lief das Turnier erfolgreich.

Das Team um Osims herausragenden Spielmacher-Erben Dragan Stojkovic drang bis ins Viertelfinale vor und zwang den Finalisten Argentinien nach 120 Minuten ins Elfmeterschießen. Obwohl die Ikone Diego Maradona vom Punkt vergab, rettete der argentinische „Elfer-Killer“ Sergio Goycochea mit zwei Paraden das Weiterkommen.

Auch für die EM 1992 gelang Osims Team die sportliche Qualifikation - doch kurz vor Turnierbeginn musste die Legende hilflos miterleben, wie sein Land an dem beginnenden Krieg zwischen serbischen und kroatischen Nationalisten zerbrach. Osims Heimat, die ethnisch und von unvereinbaren politischen Interessen zerrissene Teilrepublik Bosnien, wurde ab April 1992 zum Zentrum der militärischen Eskalation.

Der Krieg führte zum EM-Ausschluss Jugoslawiens (Ersatzteilnehmer Dänemark gewinnt sensationell den Titel), der von den Ereignissen schockierte und erschütterte Osim setzte schon Tage vorher ein Zeichen. Unter Tränen verkündete er am 22. Mai 1992 bei einer Pressekonferenz seinen Rücktritt.

„Es ist eine private Geste und meine persönliche Entscheidung. Die Gründe dafür liegen auf der Hand“, erklärte er wenige Wochen nach Beginn der gewaltsamen Belagerung seiner Geburtsstadt Sarajevo durch die Armee der bosnischen Serben: „Mein Rücktritt ist das Einzige, was ich für meine Stadt tun kann. Sie sollen sich daran erinnern, dass ich aus Sarajevo komme. Sie wissen, was dort passiert.“

Legendäre Ära in Graz

Der Krieg um Sarajevo wurde für Osim auch zu einem tief persönlichen Drama: Osim lebte über zwei Jahre abgeschnitten von seiner Frau Asima und Tochter Irma, die in Sarajevo täglich um ihr Leben bangten.

Im Jahr 1994 entschloss sich Osim dann, ein neues Leben außerhalb der Heimat zu beginnen: Heinz Schilcher, ehemaliger Teamkollege bei Racing Straßburg (wie auch der zeitlebens mit Osim befreundete Arséne Wenger), engagierte ihn als Trainer von Sturm Graz.

Der studierte Mathematiker Osim formte in seiner neuen steirischen Wahlheimat ein nationales Spitzenteam, mit dem kroatischstämmigen Torjäger Ivo Vastic und den deutschen Legionären Franco Foda und Markus Schupp gewann Graz 1998 seinen ersten Meistertitel, errang zwei Pokalsiege, qualifizierte sich dreimal hintereinander für die Champions League.

Im damaligen Arnold-Schwarzenegger-Stadion bejubelten die Grazer Fans 2001 sogar Platz 1 in der Gruppenphase der Königsklasse, trotz zweier 0:5-Niederlagen in einer turbulenten Vorrunde.

Geschätzt wie Christian Streich

Die erfolgreiche Ära in Graz machte Osim auch in Österreich zu einer Legende, die auch durch seine persönliche Aura genährt wurde: Osims Pressekonferenzen wurden ähnlich wahrgenommen wie später in Deutschland die PK-Termine mit Christian Streich in Freiburg. Auch Osim verband erzählfreudige Fußball-Philosophie mit ausschweifenden Gedanken über große gesellschaftliche Fragen („Geld ist Glück und Unglück. Zu viel ist gefährlich, für zu wenig will keiner arbeiten“).

Nach den acht Jahren in Graz ging Osim zu JEF United Ichibara Chiba nach Japan, wo er sich ebenfalls hohes Ansehen erwarb. Weniger erfolgreich lief seine Zeit als japanischer Nationaltrainer, die von öffentlichen Konflikten mit Verband und Medien überlagert wurde.

2007 endete das Engagement und Osims Trainerkarriere auf dramatische Weise, als er in seiner Tokioter Wohnung einen Schlaganfall erlitt und für zwei Wochen ins Koma fiel.

Nachdem Osim sich erholt hatte, verlagerten er und Frau Asima ihren Lebensmittelpunkt zurück nach Graz, wo ihn Ex-Klub Sturm 2009 zum Jahrhundert-Trainer kürte.

Am 1. Mai 2022 starb der große Ivica Osim kurz vor seinem 81. Geburtstag und genau am Jubiläumstag der Grazer Vereinsgründung, die sich heute zum 116. Mal jährt. An Osims Todestag wurden die Feierlichkeiten umgehend abgebrochen. Im Sommer 2023 gab die Stadt Graz bekannt, dass im Eingangsbereich der Arena ein Denkmal für Osim errichtet werden soll. Das ist bislang zwar nicht geschehen, dafür trägt der Vorplatz des Stadions inzwischen seinen Namen.