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Ein Mann und das Tor, das keines war

Ein Mann und das Tor, das keines war

Hans Tilkowski zählt zu den größten deutschen Torhütern aller Zeiten. In Erinnerung geblieben ist er aber vor allem wegen eines Gegentores. Heute wäre er 90 Jahre alt geworden.
Hans Tilkowski stand mit Deutschland im WM-Finale 1966
Hans Tilkowski stand mit Deutschland im WM-Finale 1966
© IMAGO/Sven Simon
Hans Tilkowski zählt zu den größten deutschen Torhütern aller Zeiten. In Erinnerung geblieben ist er aber vor allem wegen eines Gegentores. Heute wäre er 90 Jahre alt geworden.

Er war für seine Hechtparaden bekannt. Er galt als „Meister des Stellungsspiels“, als ein sachlicher Typ. Als ein zuverlässiger Rückhalt - oder einfach als einer der besten deutschen Torhüter aller Zeiten. Es hätte viele Möglichkeiten gegeben, bei Hans Tilkowski zuerst an positive Assoziationen zu denken. Doch wie so oft sollte alles anders kommen.

Berühmtheit erlangte Tilkowski ausgerechnet durch einen Gegentreffer. Nicht durch eine spektakuläre Ballabwehr oder eine tollkühne Rettungstat – obwohl es davon in seiner Laufbahn mehr als genug gab. Nein, sein Name wird auf ewig vor allem mit diesem einen Gegentor verbunden bleiben. Und das war nicht einmal eines: das 3:2 für die Engländer im WM-Finale von Wembley 1966 gegen Deutschland.

Das Wembley-Tor macht Tilkowski berühmt

Der Schuss, abgegeben vom englischen Stürmer Geoffrey Hurst, knallte gegen die Unterkante der Latte und sprang deutlich vor der Torlinie wieder auf. Fast alle sahen es. Nur Linienrichter Tofiq Bahramov nicht.

Schiedsrichter Gottfried Dienst folgte seinem Eindruck und entschied auf Tor. Der Rest ist Fußballgeschichte und Teil von Tilkowski, der heute, am 12. Juli 1935, vor 90 Jahren geboren wurde.

Degradierung „wie ein Keulenschlag“

Futsch war der WM-Titel und futsch war in gewissem Maße auch der Höhepunkt in seinem Torwartleben. Vier Jahre zuvor war Tilkowski als vermeintlicher Stammtorwart mit nach Chile geflogen. Aber unmittelbar vor der ersten Partie teilte ihm DFB-Trainer Sepp Herberger mit, dass er den jungen Wolfgang Fahrian vorziehen werde.

Tilkowski reagierte darauf mit maximaler Empörung. Im Teamquartier soll er aus Frust Möbelstücke zertrümmert und seinen Reisepass zurückverlangt haben, um sofort abreisen zu können.

Zwar wurde ihm dies verweigert, doch für Tilkowski stand fest: Das Kapitel Nationalelf ist für mich geschlossen. Die Entscheidung gegen ihn habe ihn „wie ein Keulenschlag“ getroffen: „Ich fühlte mich in Chile durchaus nicht als der Schlechtere. Vor Enttäuschung machte ich in der Nacht vor dem ersten Spiel kein Auge zu“, schrieb der frühere Torwart später in seinem Buch „Keine Angst vor scharfen Schüssen“. Zwei Jahre lang herrschte Funkstille zwischen Herberger und Tilkowski.

Pelé schwärmte vom „Stern von Rio”

Tilkowskis Leistungen im Verein litten jedoch nicht. Der gelernte Schlosser, der seine Karriere als Halbprofi bei Westfalia Herne begann, wechselte 1963 zu Borussia Dortmund und hielt, was es zu halten gab. Besser als jeder andere Keeper zu dieser Zeit in Deutschland. So zeigte sich Herberger irgendwann einsichtig und bewegte Tilkowski zu einem Comeback im Nationaltrikot – und das hatte es in sich.

Nach einem Spiel im Jahr 1964 gegen Weltmeister Brasilien nannte ihn die Presse „Stern von Rio”. Weltstar Pelé schwärmte noch Jahre später vom deutschen Torhüter – obwohl Deutschland im Maracana mit 0:2 verloren hatte.

Tilkowski war endlich die unumstrittene Nummer eins im deutschen Tor und feierte mit dem BVB gleichzeitig seine größten Erfolge. Er wurde 1965 Vizemeister und Pokalsieger und holte 1966 gegen den FC Liverpool den Europapokal.

Besondere Taktik gegen das Wembley-Tor

Während Tilkowski sportlich seine eigenen Geschichten schrieb, wurde er optisch oft mit dem Schauspieler Paul Newman verglichen. „Was meinen Sie, was los war, wenn ich nach New York oder London kam? Oder wie meine Frau von Stewardessen angesprochen wurde, ob ich Paul Newman wäre“, sagte er einmal der Sport Bild.

Dann ging es zur WM nach England – und Tilkowski präsentierte sich wie erwartet als zuverlässiger Rückhalt. Bis dieser unvergessene Augenblick folgte.

Das Wembley-Tor, immer wieder dieses Wembley-Tor. Tilkowski musste so häufig über den berühmtesten Moment seiner Karriere sprechen, dass er sich irgendwann eine Taktik zurechtlegte. Jedes Interview, sagte der einstige Nationaltorhüter mal, eröffne er mit den Worten: „Der Ball war nicht drin. Und dann ist das Thema durch.“ Es hätte ja in der Tat auch viele andere Dinge zu besprechen gegeben.

Tilkowski war „Botschafter der guten Tat”

Nach dem WM-Drama und seiner Zeit beim BVB lief Tilkowski noch für Eintracht Frankfurt auf und beendete dann im Jahr 1970 seine aktive Laufbahn. Als Trainer war der Träger des Bundesverdienstkreuzes bei Werder Bremen, dem 1. FC Saarbrücken, 1860 München und dem 1. FC Nürnberg tätig. Zudem engagierte sich der frühere Torhüter für Schwerkranke und Arme.

Weit über eine Million Euro sammelte er als „Botschafter der guten Tat” bei Veranstaltungen für Mukoviszidose- und Multiple-Sklerose-Kranke, die Krebshilfe, brasilianische Straßenkinder oder für Krankenhausaufenthalte von Kindern aus Kriegs- und Krisengebieten. „Das hat mich jung gehalten”, sagte Tilkowski.

Am 5. Januar 2020 erlag Deutschlands langjähriger Schlussmann, der dem BVB immer treu blieb, schließlich im Alter von 84 Jahren einer Krebserkrankung. Das Wembley-Tor wird aber für alle Zeiten mit seinem Namen verbunden bleiben.