Und plötzlich ist es ganz still auf dem Trainingsplatz bei Eintracht Frankfurt.
So tickt der Bayern-Bezwinger
Trainer Oliver Glasner spricht intensiv auf seine Mannschaft ein, er erklärt Laufwege, mal in deutscher und dann in englischer Sprache. Laufwege aufzeigen, Passwege beschreiben, Pressing-Situationen einstudieren - dem Österreicher kommt es auf die Details an. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)
Ist Glasner nicht zufrieden, dann unterbricht er länger, korrigiert noch energischer. „Diesen Ball darfst du nicht spielen“, entfährt es dem Österreicher in diesen Momenten auch mal etwas lauter. (BERICHT: Bayern-Killer Kostic macht Wechsel-Zoff vergessen)
Engagiert, hochprofessionell: So arbeitet Glasner
Bei Gesprächen mit früheren Weggefährten wird rasch bestätigt, was auf dem Platz sichtbar wird: Glasner ist ein engagiert, hochprofessionell und äußerst akribisch arbeitender Trainer.
Er will nichts dem Zufall überlassen, strebt nach dem „perfekten Spiel“, welches es so im Fußball natürlich kaum gibt. Doch Glasner hat einen hohen Anspruch an seine Mannschaft - und automatisch auch an sich selbst.
Am vergangenen Sonntag um rund 19.30 Uhr erlebte Fußball-Deutschland einen Glasner, den es so zuvor noch nicht kannte. (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)
Der 47-Jährige explodierte nach Abpfiff förmlich an der Seitenauslinie, schließlich hatte er Historisches geschafft. Die Eintracht gewann erstmals nach 21 Jahren wieder in München und Glasner feierte seinen ersten Bundesligasieg ausgerechnet gegen den bisherigen Überflieger Julian Nagelsmann.
Der Doppelpack war geglückt, drei Tage zuvor gab es einen Last-Minute-Erfolg in der Europa League in Antwerpen. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
Nach Bayern-Sieg folgt Tritt auf Euphorie-Bremse
Es ist typisch für den Frankfurter Übungsleiter, dass er nur kurze Zeit später sofort auf die Euphorie-Bremse trat: „Für uns ist es wichtig, dass wir jetzt nicht 14 Tage lang die Hände oben haben. Und dann kommt Hertha BSC und es gibt das böse Erwachen.“
Glasner, für den optimistisch gesehen das Glas stets halbvoll und nicht halbleer ist, ruht sich nicht auf Siegen aus, sondern treibt weiter an.
Dabei wäre er 2019 beinahe gar nicht in der Bundesliga gelandet. Der Wolfsburger Geschäftsführer Jörg Schmadtke wollte Marco Rose aus Salzburg holen, doch Borussia Mönchengladbach grätschte dazwischen. Schmadtke gab einst im „Aktuellen Sportstudio“ des ZDF zu: „Wir hatten zumindest die Gladbacher nicht auf dem Schirm.“
Mit Glasner kam stattdessen ein damals noch relativ unbekannter Trainer aus Linz zu den Niedersachsen, er war die erste Option hinter Rose.
So überzeugte Glasner in Wolfsburg
Das Erbe war ein schweres. Bruno Labbadia hatte den VfL erst in der Relegation gerettet und anschließend auf Rang sechs in die Europa League geführt. Der frühere Stürmer war sehr beliebt in der Autostadt, Pressekonferenzen mit ihm gingen auch einmal rund 30 Minuten lang.
Glasner kam etwas ruhiger daher, er konzentrierte sich rein auf den Fußball, Anekdoten oder blumige Worte sind ihm nur ganz selten zu entlocken. Die Gesprächsrunden wurden deutlich kürzer, konkreter.
Intern überzeugte Glasner sofort. Nach einem Fantalk war den Wolfsburger Anhängern und Mitarbeitern schnell klar, warum die Verantwortlichen ihn geholt hatten. Glasner kommt mit seiner bodenständigen, klaren Art gut an, zudem beantwortet er Fragen geduldig und präzise.
Bei einem Dreh mit dem Satire-Sportmagazin WUMMS bewies der gebürtige Salzburger gar Humor. Er tauchte plötzlich im Marty-McFly-Outfit auf, manch einer mag sogar eine gewisse Ähnlichkeit zum kanadisch-US-amerikanischen Schauspieler Michael J. Fox erkennen. Zurück in die Zukunft mit Glasner?
Glasner kann Unruhen souverän meistern
Der Erfolg in der Autostadt jedenfalls blieb nicht aus! Glasner verbesserte den VfL und entwickelte die Mannschaft weiter. Die Belohnung war die Qualifikation für die Champions League. Nachfolger Mark van Bommel kann auf einem stabilen Gerüst aufbauen, Glasner hat eine intakte Mannschaft übergeben.
Auch die Unruhen im Klub meisterte er souverän. Mit Schmadtke gab es Reibereien, es trafen zwei unterschiedliche Typen aufeinander. Denn Glasner kannte vom LASK eine familiäre Atmosphäre und schätzt diese auch in Frankfurt.
Zwar ist bei den Hessen alles eine Nummer größer als in Österreich, doch der Traditionsklub verströmt einen gewissen Charme. Die Mainmetropole bietet ein ganz besonderes Flair, trotz aller Hektik und Ungeduld kann der Klub in Verbindung mit den Fans eine ungeheure Wucht entwickeln.
In persönlichen Gesprächen lässt Glasner durchblicken, dass er sich bereits heimisch fühlt, auch mit Sportvorstand Markus Krösche befindet er sich auf einer Wellenlinie.
Erfolgsgeschichte trotz Unruhe in Wolfsburg
Schmadtke hat zwar besondere Qualitäten, er gehört fachlich und verhandlungstechnisch zu der obersten Riege der Manager in Deutschland. Doch beim Thema Kommunikation scheiden sich die Geister.
Der Wolfsburg-Boss zeigt klare Kante und drückt sein Unverständnis klar aus, wenn etwas nicht läuft. Für Glasner, der auch eine eigene Idee hat und hier und da einen anderen Ansatz verfolgt, war das nicht immer einfach.
Aber auch im Umgang mit dem Team gab es Risse. Kapitän Joshua Guilavogui kam kaum noch zum Einsatz und ließ seinem Frust nach Glasners Abgang in Richtung Frankfurt öffentlich freien Lauf.
Glasner schrieb in Wolfsburg allen Differenzen zum Trotz eine Erfolgsgeschichte, erstmals nach 2015 gelang der Sprung in die Königsklasse. Daran will er nun in Frankfurt anknüpfen. Der Start war jedoch holprig.
Mit André Silva der Rekordstürmer weg, Kreativkraft Amin Younes mit großem Tamtam ebenfalls. Filip Kostic wollte seinen Abgang nach Rom erzwingen, blieb jedoch am Ende, weil das Angebot nicht passte.
Glasner gleich vor schwierigen Aufgaben
Und Glasner? Der neue Mann am Eintracht-Ruder bewahrte kühlen Kopf. Er moderierte die Situation ruhig, sachlich, führte Kostic wieder heran und schwamm sich peu á peu frei. Das Schwierigkeitslevel? Extrem hoch.
Der Frust nach der verpassten Champions-League-Qualifikation war noch allgegenwärtig, die Abgänge von Sportvorstand Fredi Bobic und Vorgänger-Trainer Adi Hütter erschütterten den Klub im Kampf um die Königsklasse.
Und dann folgte der Fehlstart unter Glasner. Nach Niederlagen in DFB-Pokal in Mannheim und in der Bundesliga gegen Dortmund lief nur wenig zusammen, eine Handschrift war angesichts des Umbruchs zunächst nur schwer erkennbar.
Sechs Remis in Serie in Liga und Europa League zerrten an den Nerven des gesamten Klubs, es brodelte am Main. Glasner zeigte in dieser Situation bereits Qualitäten, die ihn bei den Niedersachsen auszeichneten. Er blieb in jeder Phase freundlich, strahlte viel Ruhe aus – und wurde kurzfristig belohnt.
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Sieg gegen Nagelsmann lässt Wind drehen
Zwei Pflichtspielsiege in Antwerpen und München sorgten vor der Länderspielpause für ein kollektives Durchatmen.
Glasner möchte seine Spielidee in Sachen Pressing zwar umsetzen, aber seine systematische Korrektur von Vierer- auf Dreier/Fünferkette gab dem Team in den vergangenen 180 Minuten den nötigen Halt.
Auch das ist eine Fähigkeit des Trainers, der Nagelsmann mächtig geärgert hat. Eine Idee zu verfolgen, die aber nicht bedingungslos durchgedrückt wird. Erfolg lässt sich nicht erzwingen, Flexibilität ist wichtig in einem Business, in dem die Ergebnisse stets stimmen müssen.
Wie nachhaltig die Arbeit von Glasner ist, werden die kommenden Partien gegen Berlin, Bochum, Freiburg, Fürth und in der Europa League gegen Piräus zeigen.
Nach einem Sieg gegen den FC Bayern ist nicht sofort alles gut, der Trend zeigt allerdings in die richtige Richtung. Statt von sechs Remis in Serie wird inzwischen von acht ungeschlagenen Spielen am Stück gesprochen.
Wie schnell sich der Wind nach einem Sensationssieg gegen Nagelsmann doch drehen kann.