Gefeiert haben die Bayern nach dem Spiel in Leipzig - aber nur ein bisschen. Die Meisterschaft ist schließlich noch nicht fix. Trotzdem strotzen die Münchner vor Selbstbewusstsein: „Ja, wir sind Deutscher Meister, wenn wir alle ehrlich sind. Ich glaube nicht daran, dass Leverkusen dreimal 7:0 gewinnt und wir noch zweimal 5:0 verlieren“, sagte Joshua Kimmich nach dem Spiel in der Mixed Zone auf SPORT1-Nachfrage und gab damit den Ton vor. Konrad Laimer erklärte: „Wir müssen gar nicht herumrechnen. Früher oder später werden wir Deutscher Meister werden“.
FC Bayern: Viel wird von den Sommertransfers abhängen
Ein Spiegelbild der Bayern-Saison
Nur Thomas Müller wollte bei Sky zunächst die „Gefühle sortieren“, bevor man dann am kommenden Samstag gegen Gladbach den Titel eintüten wolle. In der ARD sprach er von einem „Champions-Gefühl“, das man habe. Sogar die offizielle Homepage der Bayern schreibt von einer „Quasi-Meisterschaft“. Der Rekordmeister befindet sich im Wartestand.
Ein Sinnbild der Bayern-Saison
Dabei überdeckt das mitreißende Spiel bei RB ein bisschen, dass die Münchner mal wieder eine Leistung zeigten, die sinnbildlich für den Verlauf der gesamten Saison steht. Zwischen wilden Aktionen und genialen Geistesblitzen war alles dabei. Defizite wurden offengelegt und gleichzeitig konnte man sehen, wozu die Mannschaft grundsätzlich in der Lage ist. „Man will immer Perfektion, das war nicht der Fall“, sagte Müller und Sportvorstand Max Eberl ergänzte: „Entweder ist das Glas halb voll oder halb leer – bei uns ist es halbvoll.“
Dabei ist es womöglich genau diese „Halbvoll“-Einstellung, die die Bayern vor gewissen unbequemen Wahrheiten bewahrt. Denn festzuhalten bleibt, dass es national zwar (wieder) reicht, doch in der Champions League konnte man sehen, dass die Elf von Trainer Vincent Kompany an Boden verloren hat.
Seit dem Titelgewinn 2020 ist das Aus im Viertelfinale fast zur Normalität geworden, den Einzug ins Halbfinale 2024 unter Thomas Tuchel verbuchen viele Beobachter als Ausreißer nach oben.
„Die Champions League haben sie hier in München aus der Hand gegeben“, legte SPORT1-Experte Stefan Effenberg am Sonntag im STAHLWERK Doppelpass noch einmal den Finger in die Wunde: „Sie machen das 1:1 in der 85. Minute und kassieren das 1:2 in der 88. Minute. Das darf dir nicht passieren, das hat mit Erwachsenen-Fußball nichts zu tun.“
Kompany wie Guardiola
Was den Klub-Strategen allerdings Hoffnung machen darf, ist die Tatsache, dass Kompany sich nach der teils chaotischen Trainersuche im vergangenen Sommer als Treffer erwiesen hat.
Müller hob den Trainer bereits unter der Woche in den Olymp und stellte ihn, was die Wirkung auf die Mannschaft betrifft, auf eine Stufe mit Pep Guardiola. Kimmich dazu zu SPORT1: „Wenn man unsere Entwicklung sieht, muss man schon sagen, dass wir auf einem guten Weg sind. Ich habe das Gefühl, dass da was entstehen könnte.“
„Könnte“ – noch bewegt sich der Nationalspieler im Konjunktiv – so, als würde er dem Frieden noch nicht wirklich trauen. Fakt ist: Viel wird von der Sommertransferperiode abhängen. Denn bei der Kaderplanung stehen Eberl und Sportdirektor Christoph Freund durchaus vor großen Herausforderungen.
Sacha Boey nutzte in Leipzig seine Chance in der Startelf erneut nicht, Eric Dier verlässt den Klub, Minjae Kim wirkte zuletzt verunsichert und 50-Millionen-Mann Joao Palhinha spielt bei Kompany überhaupt keine Rolle mehr.
Braucht Bayern Wirtz wirklich?
Angesichts dieser Baustellen wirkt es fast ein wenig vermessen, dass sich die Bayern vor allem mit der Verpflichtung von Florian Wirtz beschäftigen.
Den dreistelligen Millionenbetrag für den Noch-Leverkusener könnte man objektiv betrachtet auch gut in mehrere Spieler investieren und würde damit dem Gesamtkonstrukt vielleicht mehr helfen als mit einem „Statement-Transfer“ von Wirtz.
Aktuell befinden sich die Bayern im Schwebezustand. Man könnte die deutsche Sprache aber noch um weitere Allgemeinplätze bemühen: „Nicht Fisch, nicht Fleisch“ oder „zwischen Baum und Borke“ sind nur zwei Sinnsprüchlein dieser Art. Zumindest der chronisch mahnende Kimmich scheint die Zeichen der Zeit erkannt zu haben.
„Wir hatten viele Spiele, wo wir die deutlich bessere Mannschaft waren und es nicht geschafft haben, das Spiel schneller zu beenden. Auch heute in der zweiten Halbzeit hätten wir es schon noch früher entscheiden können“, sagte der 31-Jährige. Ex-CEO Karl-Heinz Rummenigge hatte schon im Februar mehr Konstanz angemahnt – zu Recht.
Eine Sichtweise, die den aktuellen Bayern-Bossen ebenfalls gut zu Gesicht stehen würde. Denn eines ist klar: Diese Meisterschaft ist hochverdient, doch die Gier und der Hunger der Bayern wird erst gestillt sein, wenn man in allen drei Wettbewerben die alte Konstanz zeigt.