Kenan Yildiz sah aus, als hätte er selbst gar nicht gemerkt, was ihm soeben geglückt war. Der türkische Nationalspieler klopfte sich nach seinem Traumtor gegen den BVB zweimal auf die Brust und zeigte mit dem Zeigefinger kurz in den Abendhimmel von Turin, während er locker zur Mittellinie joggte.
Der FC Bayern hätte ihn gern behalten - jetzt umso mehr
Ein Traumtor, das die Bayern schmerzt
In seinem Gesicht: keine Regung, kein Gefühl. Yildiz nahm seinen bravourösen Schlenzer ins lange Eck - unerreichbar für BVB-Keeper Gregor Kobel - als das hin, was er am Ende aller Lobhudelei war: der zwischenzeitliche Ausgleich gegen den Gast aus Dortmund, nicht mehr und nicht weniger.
„Ich bin sehr glücklich, dass ich dieses Tor geschossen habe. Der Schuss war eher instinktiv, ich habe gesehen, dass etwas Platz war, als der Ball kam“, erklärte der 20-Jährige nach dem Spektakel am Dienstagabend bei Sky Sport Italia (4:4) – weiterhin so nüchtern, wie man bei einem Traumtor eben bleiben kann.
Juve feiert Yildiz-Tor
Weniger nüchtern war sein Klub, der Yildiz euphorisch abfeierte und sich an ein Tor aus dem Jahr 1995 erinnert fühlte, erzielt durch keinen Geringeren als Italien-Legende Alessandro Del Piero, dessen Rückennummer - die legendäre 10 - Yildiz vergangenes Jahr übernommen hatte.
„Dieser Schuss, dieses Tor, mit dieser Flugbahn, gegen Borussia Dortmund. Wir alle haben an dasselbe Tor (zurück)gedacht ...“, schrieben die Turiner bei X.
Damals hatte Del Piero in der Gruppenphase der Champions League die 2:1-Führung beim BVB erzielt, Juve gewann schließlich mit 3:1 - und acht Monate später das ganze Turnier.
Del Piero wendet sich an Yildiz
„Yildiz wie Del Piero“, kommentierte auch die italienische Tageszeitung Tuttosport den Geniestreich des gebürtigen Regensburgers, der darüber hinaus die Vorlage zum 2:2-Ausgleich für Dusan Vlahovic lieferte und so seinem Auftritt weiteren Feinschliff verlieh.
„Glückwunsch zum Tor, das war wirklich sehr schön. Meiner Meinung nach war sein Tor besser als meines“, sagte Del Piero höchstpersönlich und direkt an Yildiz gerichtet - der endgültige Ritterschlag für das Offensivjuwel, das schon am vergangenen Wochenende sehenswert gegen Inter Mailand (4:3) getroffen und überhaupt einen beachtlichen Saisonstart hingelegt hatte (ein Tor und drei Vorlagen nach drei Spieltagen), inklusive seiner auffälligen Auftritte bei der Klub-WM im vergangenen Sommer (zwei Tore und zwei Vorlagen).
Was für Juve weiterhin große Freude bedeuten könnte, ist für den FC Bayern die schmerzliche Erinnerung an einen Spieler, der in jungen Jahren zehn Jahre das Trikot des Rekordmeisters trug.
Zehn Jahre beim FC Bayern
Mit sieben Jahren kam Yildiz einst aus der Heimatstadt Regensburg in die Bayern-Jugend, spielte dort bis zu den A-Junioren, wo er Teamkollege von Aleksandar Pavlovic und Paul Wanner war.
Als es Richtung Profis ging, konnten sich Yildiz und die Bayern aber nicht auf einen Vertrag einigen - aus Sicht der damaligen sportlichen Führung verlangte er zu viel Geld für seine Dienste.
„Yildiz ist ein junger talentierter Spieler, den wir gerne weiter auf seinem Weg begleitet hätten. Seinen finanziellen Forderungen konnten und wollten wir allerdings nicht entsprechen. Deshalb wird Yildiz uns leider verlassen“, sagte der damalige Bayern-Sportvorstand Hasan Salihamidzic im Sommer 2022 bei der Bild.
Yildiz zieht es nach Turin
Die Folge: Yildiz zog es nach Turin, wo er über diverse Jugendmannschaften schließlich zu den Profis stieß und aus der ersten Elf inzwischen nicht mehr wegzudenken ist.
Dass Yildiz auf den Spuren von Del Piero wandelt, wird indes durch einen weiteren Fakt untermauert. Als der Italiener im September 1995 in Dortmund traf, war er 20 Jahre alt - und damit genauso alt, wie es Yildiz jetzt ist.
Alles Weitere ist Fantasie.