Erwartungsgemäß blieb Bundestrainer Joachim Löw für die Achtelfinalpartie in England bei seinem aus der Gruppenphase bekannten taktischen System. Die Hereinnahme von Leon Goretzka und Timo Werner veränderte die Statik des deutschen Spiels nur marginal.
So fragil war Löws Matchplan
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Aber im Großen und Ganzen wollte Löw auch gegen die leicht favorisierten Engländer zunächst einmal viel Spielkontrolle erwirken und das Geschehen über den Ballbesitz diktieren.
Das gelang Deutschland in der Anfangsphase sogar recht gut, als die DFB-Elf die Überzahl im Mittelfeld effektiv ausnutzte. Denn England-Trainer Gareth Southgate hatte sich dazu entschieden, sein System für diese Partie von einem 4-2-3-1 in ein 3-4-3 zu verändern. (Ergebnisse und Spielplan der EM)
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Für einen zusätzlichen Zentralverteidiger opferte der 50 Jahre alte England-Coach den offensiven Zehner. Damit hatten Goretzka und Toni Kroos mit der Unterstützung des zurückfallenden Kai Havertz leichte Feldvorteile im Spielfeldzentrum, die gerade bei der Ballrückgewinnung im Gegenpressing deutlich wurden.
Werner auf verlorenem Posten
Allerdings gelang es den Engländern mit zunehmender Spielzeit, ein Übergewicht zu erwirken, weil insbesondere die Außenspieler sowie Sechser Kalvin Phillips mit mehr Risiko und Dynamik nach vorn marschierten. In diesen Phasen wurde deutlich, dass die deutsche Spielkontrolle sehr fragil war. Erhöhte England den offensiven Druck, zog sich Deutschland zusehends zurück.
Havertz reihte sich dann entsprechend der taktischen Vorgabe neben Goretzka und Kroos ein. Aus diesem 5-3-2 wurde nahezu nie ein hohes Angriffspressing ausgeübt - und wenn doch, dann sehr schablonenartig und ausrechenbar für England, sodass die Deutschen zwischen der 30. und 75. Minute lediglich fünf erzwungene Balleroberungen verbuchen konnten. (Deutschland in der Einzelkritik)
Erschwerend kam hinzu, dass nach Ballgewinnen die Distanz nach vorn erheblich war. Werner und Goretzka kamen mit ihren Sprints zu Beginn noch hinter die englische Abwehr. Das war aber später nicht mehr möglich. Gerade Werner irrte oftmals umher, weil er sich im weiten offenen Feld eine Position suchen musste und mit langen Bällen angespielt wurde.
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Deutschland bedachtsam im Spielaufbau
Löw schien in der Halbzeitpause die Anweisung erteilt zu haben, das Tempo so weit wie möglich aus der Partie zu nehmen. Die Deutschen traten immer häufiger auf den Ball, statt einen schnellen Gegenangriff zu versuchen.
Positiv hervorzuheben sei, dass sowohl Kroos als auch Mats Hummels einige Male elegante und spielerisch anspruchsvolle Lösungen gegen Englands Pressing fanden. Aber das änderte an der grundsätzlichen Bedachtsamkeit des deutschen Aufbauspiels nichts.
England kam mit dem trägen Spielrhythmus zunächst nicht klar, konnte aber nach der Einwechslung von Jack Grealish mehr Dynamik auf den Außenbahnen entwickeln. Löws Matchplan konnte nur aufgehen, wenn sich Matthias Ginter, Antonio Rüdiger und die anderen Defensivakteure keine Stellungsfehler leisteten. Aber genau das war vor dem Führungstreffer durch Raheem Sterling der Fall.
Löw scheut Risiko
Natürlich hätte der ansonsten eher fahrige Thomas Müller mit seiner Großchance in der 81. Minute England einen schmerzhaften Nackenschlag versetzen können. Aber rein strukturell und taktisch war Deutschland an diesem Abend nicht darauf ausgerichtet, signifikante Offensivgefahr zu erzeugen. Löw wollte vor allem größtmögliche Kontrolle und war zufrieden damit, dass seine Mannschaft versucht, lediglich einzelne Nadelstiche zu setzen.
Das war eine gewagte Herangehensweise, gerade weil zu erwarten war, dass die DFB-Elf defensiv nicht fehlerfrei bleiben wird. Den Moment, um den Schalter umzulegen, hatte Löw zudem in der zweiten Halbzeit verpasst, weil er das Risiko nicht eingehen wollte. So ging die Ära des langjährigen Bundestrainers unspektakulär und enttäuschend zu Ende.