Stefan Effenberg ist von der Reaktion des DFB auf den Eklat um Nationalspieler Antonio Rüdiger irritiert. Der SPORT1-Experte übt in seiner Kolumne für t-online.de scharfe Kritik an der Stellungnahme von Rudi Völler - und am Schweigen von Bundestrainer Julian Nagelsmann.
Fall Rüdiger: Effenberg watscht "beschämenden" DFB ab
Fall Rüdiger: Effenberg watscht DFB ab
Sportdirektor Völler habe nur" Selbstverständlichkeiten" eingefordert, aber „mit wohlklingenden Worten am Ende wenig bis gar nichts“ gesagt.
Völler hatte den Skandal um Rüdiger verurteilt, allerdings auch dessen Entschuldigung gelobt. Von Sanktionen gegen den Verteidiger von Real Madrid wurde bisher abgesehen.
Effenberg: Grenze des Erträglichen ist überschritten
„Dieses Statement liefert nichts von wirklicher Substanz, von Gewicht, von Konsequenz – es ist nur eine einzige Enttäuschung. Und sendet das komplett falsche Signal", befand Effenberg.
Der ehemalige DFB-Star verwies auf die Vorgeschichte Rüdigers, der sich erst vor kurzem zu einer Kopf-ab-Geste gegen die Fans des Stadtrivalen Atlético hatte hinreißen lassen: „Das ist alles nicht nur grenzwertig, das ist schon über der Grenze des Erträglichen.“
Als gestandener Spieler müsse es Rüdiger besser wissen: „Mit seiner mangelnden Selbstbeherrschung schadet Rüdiger nicht nur sich selbst, sondern auch den Mannschaften, für die er spielt – und dem ganzen Sport.“
Die Entschuldigung reiche längst nicht mehr aus. Für einen Jugendspieler hätten Rüdigers Aktionen „wohl das unwiderrufliche Karriere-Aus“ bedeutet: „Rüdiger aber kommt offenbar ein weiteres Mal davon.“
„Nach meiner Geste wurde schnell durchgegriffen“
Diverse Experten hatten einen Rauswurf Rüdigers aus der Nationalmannschaft gefordert. Effenberg gab zu, den Fall auch aus persönlichem Interesse genau zu verfolgen. Denn er war einst selbst aus dem Nationalteam geflogen, als er den eigenen Fans den Mittelfinger gezeigt hatte.
„Natürlich werde ich dabei aber an meinen eigenen hinlänglich bekannten Fall von der WM 1994 erinnert“, sagte der Ex-Kicker. „Nach meiner Geste gegen einige deutsche Fans wurde schnell und hart durchgegriffen, ich wurde aus dem Kader geworfen und musste vier Jahre auf meine nächste Länderspiel-Nominierung warten, bis man einfach nicht mehr an mir vorbeikam.“
Es habe sich damals um eine drastische Strafe gehandelt, „für ein einmaliges Vergehen, wohlgemerkt. Dass Rüdiger nun – bis auf eine Rüge vom DFB-Sportdirektor, ähnlich einem Tadel vom Klassenlehrer in der Mittelstufe – unbehelligt bleiben könnte, würde niemand verstehen, dem die grundlegenden Werte des Sports noch etwas bedeuten."
Kritik an Nagelsmann: „Das ist beschämend“
Effenberg hinterfragte den Verband, für den er einst gespielt hatte: „Was ist das für ein Zeichen des DFB, der doch so für gesellschaftliche Grundpfeiler wie Anstand und Respekt eintritt?“ Er schlug drei mögliche Varianten für den Umgang mit Rüdiger vor.
Dieser solle entweder für das anstehende Final Four der Nations League oder für einen längeren Zeitraum suspendiert werden. Oder gar komplett aus dem Team gestrichen werden.
Doch der DFB habe sich vor konkreten Maßnahmen gedrückt: „Warum? Weil man noch abwarten will, wie lange Rüdiger in Spanien gesperrt wird? Das hätte der DFB nicht nötig, sondern muss im Gegenteil selbst tätig werden, selbst die Initiative ergreifen, selbst ein klares, unmissverständliches Zeichen setzen – vor allem an den Spieler Rüdiger, aber auch für die Öffentlichkeit. Stattdessen: Nichts."
Auch das Schweigen von Bundestrainer Julian Nagelsmann und DFB-Boss Bernd Neuendorf wundert Effenberg: „Das ist beschämend. Denn dieses Thema werden sie beim DFB nicht einfach beiseiteschieben oder aussitzen können. Eher früher als später muss eine deutliche Stellungnahme erfolgen. Das erwarte ich, und das erwartet auch Fußball-Deutschland.“