Jule Brand wurde durch die Europameisterschaft 2022 bekannt und kam daraufhin zum VfL Wolfsburg. Im Sommer wird dieses Kapitel enden. Wohin die 22-Jährige wechselt, ist noch nicht bekannt.
„Ich bin bereit für etwas Neues“
Sicher ist nur, dass sie nach zwei DFB-Pokalsiegen mit dem VfL noch weitere Titel holen möchte. Montagabend startet der VfL mit dem Heimspiel gegen Carl Zeiss Jena (Montag, ab 17:45 Uhr live im TV auf SPORT1) in das Fußballjahr 2025.
Im exklusiven Interview mit SPORT1 spricht Brand über den Meisterschaftskampf, über ihren Abschied aus Wolfsburg, über Kritik und Kommentare, über ihre Freundschaft zu Lena Oberdorf und über die Europameisterschaft 2025.
SPORT1: Frau Brand, warum haben Sie sich dafür entschieden, im Sommer Wolfsburg zu verlassen?
Jule Brand: Ich bin bereit für etwas Neues. Ich habe Lust auf eine neue Aufgabe und will raus aus der Komfortzone. Ich glaube, jetzt ist ein guter Zeitpunkt, das zu starten.
SPORT1: Wie lange mussten Sie nachdenken, ehe Sie diese Entscheidung gefällt haben?
Brand: Das war eine lange Überlegung. Aber mein Berater hat viel übernommen und von mir ferngehalten, sodass ich mich auf den Sport konzentrieren konnte. Im Endeffekt hört man sich alles an, man bespricht sich auch mit den Eltern, den Geschwistern und Freunden. Es geht um das Gefühl, dass man dann bei der Entscheidung hat. Ich persönlich wollte relativ schnell eine Entscheidung treffen, damit das Thema durch ist.
Brand: „Ich bin offen für alles“
SPORT1: Die Gerüchteküche hat in den letzten Wochen ordentlich gebrodelt. Unter anderem wurde vermeldet, Sie würden zum FC Bayern München wechseln. Was können Sie zu diesem Gerücht sagen?
Brand: Zu meiner Zukunft ist noch nichts öffentlich verkündet, daher sage ich dazu nichts.
SPORT1: Sie sprechen fließend Englisch. Wäre ein Wechsel ins Ausland für Sie ebenfalls eine Option - ob nun jetzt oder später?
Brand: Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, das Ausland wäre eine neue Erfahrung. Ich bin offen für alles.
SPORT1: Wie blicken Sie nun Ihrem letzten Halbjahr mit dem VfL Wolfsburg entgegen?
Brand: Wir sind noch in allen drei Wettbewerben und wollen Titel holen -in der Bundesliga, in der Champions League und auch im Pokal.
SPORT1: Welcher Titel würde Ihnen am meisten bedeuten?
Brand: Die Champions League ist etwas Besonderes, das wäre schon krass.
Frauen-Bundesliga: Enger Kampf an der Spitze
SPORT1: Im Kampf um die deutsche Meisterschaft erleben wir einen Vierkampf. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Brand: Es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen, der der Liga guttut. Bayern München hat die letzten Jahre den Titel geholt und ist daher vielleicht Favorit. Bayer Leverkusen macht das sehr gut, sie punkten auch gegen die Mannschaften oben und haben zum Beispiel gegen uns gewonnen. Auch Eintracht Frankfurt ist stark. Und mit uns muss man natürlich auch rechnen (grinst).
SPORT1: Nun steht das Heimspiel gegen Carl Zeiss Jena bevor, die in dieser Saison noch kein Spiel gewonnen haben. Liegt die größte Gefahr darin, den Gegner zu unterschätzen?
Brand: Nein, wir unterschätzen keinen Gegner. Das Hinspiel war schwierig für uns. Wir haben durch ein Standardtor gerade noch das 1:0 gemacht. Ansonsten wäre es schwierig geworden. Jena wird hinten wieder gut stehen. In der Verteidigung hauen sie mit Leidenschaft alles rein. Wir müssen geduldig spielen, den Ball gut laufen lassen und ein gutes Spiel machen.
SPORT1: Alexandra Popp ist Kapitänin und das Gesicht des VfL Wolfsburg. Was zeichnet sie als Führungsspielerin aus?
Brand: Ihre Mentalität. Ich glaube, es gibt keine andere Frau, die so die Kopfbälle reinhaut wie sie. Dieses Level ist schon sehr, sehr krass. Es reißt einen mit. Wenn man sieht, wie sehr sie das Spiel gewinnen will, möchte man dem gerecht werden und auch unbedingt gewinnen. Es ist schön, dass sie ihren Vertrag verlängert hat und dem Fußball erhalten bleibt. Sie ist eine Legende.
Brand: Enge Freundschaft mit Lena Oberdorf
SPORT1: Lena Oberdorf hat im vergangenen Sommer Wolfsburg verlassen und ist zum FC Bayern gewechselt. Sie beide haben ein sehr enges Verhältnis – und sind zumindest in der Nationalmannschaft weiterhin Mitspielerinnen, sobald sie von ihrem Kreuzbandriss regeneriert ist. Was zeichnet diese Freundschaft aus?
Brand: Mit Obi ist es immer entspannt. Ich kann ihr alles erzählen. Sie hat immer eine ehrliche Meinung, gibt immer einen guten Rat – aber sagt auch mal Dinge, die man nicht hören möchte. Sie ist ein Mensch, zu dem man einfach gerne hinfährt, um nicht alleine zu sein. Im Fußball liebe ich es, mit Obi auf dem Platz zu stehen. Sie hat natürlich eine hohe fußballerische Qualität, aber sie weiß auch, wie ich ticke. Wenn es bei mir gerade nicht läuft und ich einen Fehlpass spiele, gucken wir uns an und sie gibt mir ein ruhiges Gefühl. Sie sagt nicht einmal etwas, aber ich weiß, dass sie da ist.
SPORT1: Oberdorf hat öffentlich verraten, dass sie nach der Bekanntgabe Ihres Wechsels von Wolfsburg zum FC Bayern Hassnachrichten und sogar Morddrohungen erhielt. Hatten Sie das damals mitbekommen?
Brand: Ich habe diese Kommentare nicht gelesen, aber mitbekommen habe ich das natürlich schon. So etwas lässt niemanden kalt. Obi ist schon eine harte Frau, aber ich glaube, so etwas nagt an einem. Es ist sehr übel, dass das passiert ist. Keiner sollte so etwas durchmachen.
SPORT1: Wie fielen die Kommentare aus, als Ihr Weggang nun kürzlich verkündet wurde?
Brand: Ich habe vor etwa einem Jahr aufgehört, Kommentare zu lesen. So etwas löst nur Stress aus, man macht sich einen Kopf – das möchte ich nicht. Ich bekam aber auch keine Hassnachrichten. Aber es sind eben teilweise Meinungen von Menschen, die dich nicht kennen, die die Hintergründe nicht kennen und dich trotzdem negativ sehen. Das raubt nur Energie.
SPORT1: Wenn man aber doch Online-Kommentare über Sie liest, fällt auf, dass im Bezug auf Ihre Person immer wieder drei Adjektive genannt werden. Wissen Sie welche?
Brand: Boah… (überlegt) keine Ahnung.
SPORT1: Süß, sympathisch und hübsch….
Brand: Ach Gott (grinst).
SPORT1: Ist es als Fußballerspielerin angenehm, wenn viele Menschen einen auch optisch toll und süß finden?
Brand: Das ist eigentlich nicht mein Thema, aber trotzdem schön zu hören und freut mich.
SPORT1: Man könnte auch denken, man möchte als Fußballspielerin vielleicht nicht süß sein…
Brand: Doch, das Süß nehme ich auch (lacht).
Brasilianische Legende als Vorbild
SPORT1: Zurück zum Fußball: Ihre großen Qualitäten sind Ihre Schnelligkeit und das Eins-gegen-Eins. Welche Fußballspieler haben Sie inspiriert?
Brand: Marta. Sie geht einfach in die Dribblings, in das Eins-gegen-Eins. Wenn es nicht klappt, ist es ihr scheißegal und sie versucht es wieder. So etwas finde ich bemerkenswert und inspirierend. Bei den Männern war Messi eine andere Liga. Und auch Marcus Rashford mit seinen Dribblings habe ich immer sehr verfolgt.
SPORT1: Sie wurden deutschlandweit vor allem durch die Europameisterschaft 2022 bekannt. Wie hat sich das damals für Sie angefühlt?
Brand: Man hat gemerkt, dass bei instagram die Follower-Zahlen hochgegangen sind. Ich hatte plötzlich 100.000 mehr als vorher. Dann überlegt man sich: Okay, und was poste ich jetzt? Vielleicht lieber keine privaten Dinge? Aber im Alltag hatte sich eigentlich nicht viel verändert. Es war nicht so, dass ich seitdem ständig erkannt wurde. Das kommt nur gelegentlich mal vor. Dann macht es auch Spaß. Und für mich ist es das Schönste, wenn ich junge Mädels draußen mit der Trikotnummer 29 und meinem Namen sehe.
SPORT1: Durch die gestiegene Popularität stieg allerdings auch die Erwartungshaltung. Vor einem Jahr gab es eine Phase, in der Sie auch Kritik einstecken mussten - unter anderem auch von VfL-Sportdirektor Ralf Kellermann. Wie sind Sie damit umgegangen?
Brand: Es war natürlich einfacher, als ich noch als Talent galt. Aber jetzt will ich kein Talent mehr sein. Ich bin an einem Punkt angekommen, an dem man konstant Leistung bringen muss. Ansonsten kann es auch in die andere Richtung gehen. Ich bin leider ein Kopfmensch. Das spielt viel bei mir hinein, daher war die Zeit mit der öffentlichen Kritik nicht einfach für mich.
SPORT1: Das heißt, so etwas lässt Sie nicht los?
Brand: Ja, das ist ein Problem. Du willst es gut machen, willst es perfekt machen, bist zu verbissen - und dann wird alles Kacke. Daher ist es wichtig, nicht viel zu denken, den Kopf freizumachen und alles andere auszublenden. Rückblickend hat die Kritik von damals vielleicht auch etwas Positives bewirkt.
SPORT1: Welchen Einfluss hatte Ex-Bundestrainer Horst Hrubesch auf Sie?
Brand: Horst hat mir persönlich sehr geholfen. Gerade auch in den schwierigen Phasen hier in Wolfsburg gab er mir das Selbstvertrauen zurück. Er hat an mich geglaubt und etwas in mir gesehen. Dabei war es am Anfang für mich schwierig unter ihm, ich habe zwei Spiele gar nicht gespielt. Ich glaube, ganz am Anfang kannte er mich auch gar nicht. Wenn ich mich richtig erinnere, hat er im ersten Training eine andere Spielerin gefragt, wer ich bin (lacht). Ich musste mich beweisen. Und wenn die Leistung stimmt, hat er einen auch belohnt.
Brand: „Im Frauenfußball ist alles enger zusammengerückt.“
SPORT1: Was hat Bundestrainer Christian Wück, der seit August 2024 im Amt ist, neu eingebracht?
Brand: Ich glaube, wir wollen unter ihm noch mutiger und offensiver spielen. Er sieht viel in unserer Mannschaft und will den EM-Titel holen. Man sieht, dass er uns das zutraut. Das überträgt er auf uns. Wir trauen uns das auch zu. So können wir gemeinsam das Ziel erreichen.
SPORT1: Bei der Europameisterschaft 2022 standen Sie im Finale, bei der Weltmeisterschaft 2023 sind Sie in der Vorrunde ausgeschieden, bei Olympia 2024 gewannen Sie die Bronzemedaille. Wie stark ist die deutsche Nationalmannschaft im internationalen Vergleich einzuschätzen?
Brand: Wir haben auf jeden Fall das Potenzial, um den EM-Titel mitzuspielen.
SPORT1: Welche Nationen schätzen Sie ansonsten am stärksten ein?
Brand: England und Spanien finde ich sehr gut, auch Frankreich hat eine sehr, sehr gute Qualität. Insgesamt ist im Frauenfußball alles enger zusammengerückt. Wir haben mit Dänemark, Polen und Schweden bereits in der Vorrunde starke Gegner. Gegen Schweden ist es zum Beispiel richtig eklig, in die Zweikämpfe zu gehen. Ich habe noch nie gegen Schweden gewonnen.
SPORT1: Das ist kein gutes Omen.
Brand: Na gut, ich habe auch nur einmal gegen Schweden gespielt (lacht).
SPORT1: Das öffentliche Interesse an der Nationalmannschaft ist sehr groß. Die Einschaltquoten sind bei einer EM oder WM auf einem ähnlichen Niveau wie bei den Männern. Wie lässt sich die Begeisterung noch mehr auf die Bundesliga übertragen?
Brand: Wir müssen einfach zusehen, dass die Liga noch attraktiver wird. Es ist gut, dass in diesem Jahr mehr Mannschaften aufsteigen, sodass die Liga größer wird. Aber auch die Infrastruktur und die Bedingungen müssen sich verbessern. Bei uns hier in Wolfsburg sind die Bedingungen sehr gut, bei den anderen Top-Vereinen auch. Aber es gibt andere Bundesligisten, die eher abends trainieren, weil viele Spielerinnen tagsüber zur Arbeit gehen. Es wäre schön, wenn sich das ändert. Aber insgesamt sind wir auf einem guten Weg.