Fragt man Fußballtrainer, dürften sich wohl alle einig sein. Eine „Lame Duck“ zu sein - ein Coach, dessen Ablösung schon feststeht - gehört zu den unschönsten Vorstellungen des Berufsbildes.
Frauen-EM: Eine pikante Konstellation wird zum Desaster mit Ansage
Ein Desaster mit Ansage
Manch einer, das gehört zur Wahrheit, kann mit der kniffligen Konstellation exzellent umgehen. Man erinnere sich nur an Jupp Heynckes, der 2013 mit dem FC Bayern das Triple holte, obwohl längst feststand, dass er nach Ablauf der Saison von Pep Guardiola beerbt werden würde. Für einen anderen Trainer mit Bayern-Vergangenheit lief es bei der Frauen-EM gerade anders - ganz anders.
Jonkers Aus stand vor der EM längst fest
Die Rede ist von Andries Jonker, ehemaliger Assistent Louis van Gaals in München und 2011 nach dessen Aus für fünf Spiele Interims-Cheftrainer bei Bayern.
Zu dem Turnier in die Schweiz reiste der frühere Trainer der Frauen des VfL Wolfsburg nun als Coach der niederländischen Frauen-Nationalmannschaft - obwohl sein anschließender Rückzug schon seit Januar klar war. Der niederländische KNVB hatte Jonkers Vertrag auslaufen lassen, um nach der EM einen personellen Neuanfang einzuläuten.
Was folgte, war ein sportliches Desaster – und öffentlich ausgetragene Konflikte.
Zoff zwischen Trainer und Spielerinnen
Die Niederländerinnen waren in einer „Horrorgruppe“ mit Frankreich und England gelandet. Dass für die Oranje-Damen nun bereits nach der Vorrunde Schluss ist, liegt aber nicht nur an der namhaften Konkurrenz.
So waren Team und Trainer in den zurückliegenden Tagen vor allem mit einem beschäftigt: dem eigenen Chaos. Deutlich wurde dabei vor allem eines: Zwischen Trainer und Spielerinnen stimmt die Chemie überhaupt nicht.
Nach der 0:4-Pleite im zweiten Gruppenspiel gegen England erklärte Jonker, Mittelfeldspielerin Daniëlle van de Donksei sei verletzt und wäre für höchstens 20 Minuten einsatzfähig gewesen. Die Akteurin von Olympique Lyon widersprach ihrem Coach in der Folge öffentlich und sagte, sie hätte auch von Beginn an spielen können.
Beim finalen Gruppenspiel am Sonntagabend stand der Coach dann erneut ob seiner personellen Entscheidungen im Fokus. Er verzichtete auf Manchester-City-Stürmerin Vivianne Miedema – trotz 100 Toren in 127 Länderspielen.
Zudem durfte die beim FC Barcelona aktive Esmee Brugts erst mitwirken, als die Partie, die mit 2:5 verloren ging, längst entschieden war.
Medien kritisieren Jonker scharf
Das Fazit der hiesigen Medien war in der Folge eindeutig. De Telegraaf schrieb, Oranje sei unter Jonker „selten bis nie inspiriert“ gewesen und befinde sich in einem „alarmierenden“ Zustand. De Volkskrant konstatierte, Jonker habe „bis zum bitteren Ende“ darauf bestanden, dass seine Mannschaft „furchtbar gut“ sei.
Jonker selbst erklärte nach dem unschönen Ende seiner Amtszeit: Er sei „stolz auf die erste Halbzeit, als wir Frankreich gefordert haben. Wir haben alles gegeben, aber am Ende verloren.“
Vielsagend war derweil Jonkers Schweigen über den Verband KNVB, den er offensichtlich nicht als Hilfe empfand: „Es ist besser, dass ich heute nichts über den Verband sage“, hielt er fest. Angesprochen war damit auch der frühere HSV-Star Nigel de Jong, inzwischen als Sportdirektor des KNVB in tragender Rolle als Funktionär in der Heimat.
Nachfolger arbeitet noch für EM-Gegner
Zum ersten Mal seit 2013 ist für Oranje damit wieder nach einer Gruppenphase Schluss. Für die Europameisterinnen von 2017 eine große Enttäuschung.
Als neuer Mann übernimmt nach der EM der 38 Jahre alte Arjan Veurink, beim EM-Triumph 2017 Assistent von Erfolgstrainerin Sarina Wiegman - und aktuell noch Wiegmans Co-Trainer beim Gruppengegner England.
Dass Jonker als „Lame Duck“ in die EM ging, war im Wesentlichen dieser pikanten Konstellation geschuldet. Nun wird Veurink beim neuen, alten Arbeitgeber erstmal viele Scherben aufkehren müssen.