Wer bei der U21-Europameisterschaft einen Eindruck von der Klasse des Emre Can gewinnen wollte, für den gab es in Tschechien schon einiges an Anschauungsmaterial.
Can: Ein Mann wie Steven Gerrard
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Sein Ausgleichstor beim 1:1 im Auftaktspiel gegen Serbien zum Beispiel: Kleine Körpertäuschung, blitzschneller Richtungswechsel, kurzer Blick nach oben, zentimetergenauer Abschluss ins linke Eck.
Technisch brillant, mit einer atemberaubenden Dynamik, ein magischer Moment inmitten eines mäßigen deutschen Auftritts.
Ähnlich wie vor dem ersten Treffer beim 3:0 gegen Dänemark, als Can im Mittelfeld Fahrt aufnahm und Torschütze Kevin Volland mit einem präzisen Steilpass auf die Reise schickte.
Zu diesem Zeitpunkt lief die 32. Minute - und Can hatte schon zuvor massiv Einfluss auf das Spiel genommen.
Nach einer behäbigen Anfangsphase nahm der defensive Mittelfeldspieler das Heft in die Hand und brachte neuen Schwung ins deutsche Spiel. Auf einmal verlagerte sich das Geschehen in die dänische Hälfte, der Führungstreffer war irgendwann nur noch eine Frage der Zeit.
Schon als Sechzehnjähriger ein Leader
Horst Hrubesch kennt diese Qualitäten schon seit Cans 16. Lebensjahr. "Ich habe gewusst, dass er zu damaliger Zeit schon ein Leader war", erinnert sich der U21-Nationaltrainer, "einer, der vorneweg geht, der das Spiel an sich reißt".
Spätestens seit seinem Wechsel zum FC Liverpool im vergangenen Sommer ist Can auch in der U21 ein absoluter Führungsspieler - und das, obwohl er zu den fünf jüngsten Spielern im Kader zählt.
"Wenn man die Entwicklung sieht, die er genommen hat über Bayern München, Leverkusen und jetzt auch bei Liverpool, dann kann man klar erkennen, wie er sich weiterentwickelt hat", lobt Hrubesch den 21-Jährigen.
Zielstrebig. Unnachgiebig. Mit jeder Menge Selbstbewusstsein. So präsentiert sich Can in der Öffentlichkeit. Einige werfen ihm gar eine Spur Überheblichkeit vor.
"Ich habe Emre kennengelernt als jemanden, der mit beiden Beinen auf dem Boden steht", widerspricht DFB-Sportdirektor Hansi Flick. Für Hrubesch ist Can jedoch "einfach ein Typ, der auch in der Mannschaft eine große Akzeptanz hat".
Große Präsenz und Selbstbewusstsein
Aus der Nähe ist der 1,84 Meter große Modellathlet eine beeindruckende Erscheinung. "Er hat eine wahnsinnige Präsenz auf dem Platz", beschreibt es Flick: "Er ist immer anspielbar und macht meistens das Richtige."
Zudem könne Can mehrere Positionen spielen. In Liverpool lief er zuletzt meist in der Abwehr auf, zuhause fühlt er sich aber im Mittelfeld - weshalb ihm bei den Reds schon der Ruf als legitimer Nachfolger von Klub-Ikone Steven Gerrard vorauseilt.
Derartige Ansprüche formuliert Can auch selbst. Dann sagt er Dinge wie: "Ich bin nicht nach Liverpool gegangen, um einfach nur Fußball zu spielen. Ich will Titel gewinnen." Oder: "Wir wollen das Turnier gewinnen. Und wenn die (Englands U21, Anm. d. Red.) gegen uns spielen, dann tun sie mir jetzt schon leid."
Mysteriöse Wadenverletzung
Can selbst muss aber zunächst einmal hoffen, dass er nicht von einer Verletzung eingebremst wird. "Er hat es ab und zu, dass bei ihm die Waden auf beiden Seiten mal zumachen. Er hat es im Training nicht, es kommt hin und wieder mal im Spiel", erklärt Hrubesch die mysteriösen Probleme seines Sechsers, bezeichnet sie aber als "nichts Gravierendes".
Wie sehr ihn die Verletzung tatsächlich behindert, weiß nur Can selbst. Kaum auszudenken allerdings, wie dominant er auftreten könnte, wenn er bei 100 Prozent wäre.
Bleibt also zu hoffen, dass Hrubesch Recht behält, wenn er sagt: "Je weiter die Spiele gehen, umso weniger Beschwerden hat er." Und dass Can weiterhin reichlich Anschauungsmaterial seiner Klasse liefert.