WM-Qualifikation>

Die Krise ist nur die gefühlte Wahrheit

Wo bei Wirtz der Schein trügt

Florian Wirtz hat nach seinem Wechsel nach England mit Anlaufproblemen zu kämpfen. Bei der Nationalmannschaft gilt der Offensivstar als Hoffnungsträger und steht entsprechend im Fokus.
Die Nationalmannschaft geht mit drei Stürmern ohne Länderspieltreffer und einem in der Kritik stehenden Spielmacher in die Länderspiele gegen Luxemburg und Nordirland. Wackelt die WM-Qualifikation?
Florian Wirtz hat nach seinem Wechsel nach England mit Anlaufproblemen zu kämpfen. Bei der Nationalmannschaft gilt der Offensivstar als Hoffnungsträger und steht entsprechend im Fokus.

Eingerahmt von zwei ehemaligen Teamkollegen absolvierte Florian Wirtz am Donnerstag im Abschlusstraining in Herzogenaurach seine Dehnübungen.

Mit dem jetzigen Münchner Jonathan Tah zu seiner Linken und dem Leverkusener Robert Andrich zu seiner Rechten wärmte Wirtz wie zu gemeinsamen Zeiten bei der Werkself seine Muskeln auf und wechselte dabei mit Andrich noch ein paar Worte, wie die TV-Kameras einfingen.

Bei der Nationalmannschaft steht Wirtz in diesen Tagen besonders im Fokus. In der WM-Qualifikation gegen Luxemburg am Freitag (20.45 Uhr im LIVETICKER) ruhen die Hoffnungen auch auf seinen Geniestreichen.

Wirtz als „007“ verspottet

Die vertraute Umgebung im Kreis seiner früheren Weggefährten soll dem 22-Jährigen dabei helfen, auf dem Platz möglichst wieder zu glänzen. Der DFB-Lehrgang als Therapiesitzung eines Sorgenkinds, sozusagen. Denn nach seinem millionenschweren Wechsel zum FC Liverpool hat er in England noch mit Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen.

Auf die Glanzlichter, die sich der LFC von der Verpflichtung des Ausnahmekünstlers versprochen hat, wartet man auf der Insel bislang vergeblich. Die nackten Zahlen nach den ersten sieben Spielen in der Premier League lauten: null Tore, null Assists - und brachten Wirtz den unrühmlichen Spitznamen „007“ ein.

Der an Geheimagent James Bond angelehnte Beiname haftete einst auch einem gewissen Thierry Henry an, ehe er beim FC Arsenal zur Legende wurde. Wirtz in Liverpool jetzt schon abzuschreiben, wäre daher voreilig. Das sehen auch die Fußball-Idole hierzulande so.

„Wir sollten froh sein, dass wir so einen Spieler in Deutschland haben. Wir müssen dem Spieler ein bisschen Zeit geben“, sagte Bastian Schweinsteiger am Rande seiner Aufnahme in die „Hall of Fame“ Anfang der Woche.

Schweinsteiger glaubt weiter an Wirtz

Der Weltmeister von 2014 spricht aus Erfahrung, schließlich wagte er 2015 selbst - wenn auch im Herbst seiner Karriere - den Schritt vom FC Bayern zu Manchester United.

„Gerade, wenn man aus der Bundesliga in die Premier League geht, muss man sich auch erstmal anpassen. Das habe ich selbst auch erlebt“, sagte Schweinsteiger und stärkte Wirtz: „Er wird uns alle mit Sicherheit in der Zukunft noch verzücken.“

Auch Philipp Lahm macht sich um Wirtz „überhaupt keine Sorgen, weil er so ein überragender und genialer Fußballer ist, der seine Mitspieler einfach besser macht. Qualität und Klasse setzen sich immer durch. Und das wird bei Florian Wirtz absolut der Fall sein.“

Die Startschwierigkeiten in Liverpool sind durchaus zu erklären, schließlich funktioniert das im Sommer nicht nur um Wirtz prominent verstärkte Starensemble des englischen Rekordmeisters im Zusammenspiel noch nicht so, wie Trainer Arne Slot das wohl gern hätte.

Er rotierte für seine Verhältnisse auffällig oft, probierte allein vier verschiedene Rechtsverteidiger als Ersatz für den abgewanderten Trent Alexander-Arnold aus. Auch Wirtz sucht noch seine Rolle.

„Der große Unterschied ist doch: In Leverkusen wurde er immer gesucht, er hat immer den Ball bekommen, war der Häuptling“, sagte DFB-Sportdirektor Rudi Völler bei Sky90. „In Liverpool läuft er unheimlich viel, macht viele Sprints, geht in die Tiefe, aber wird nicht so angespielt, wie er das gewohnt war.“

Die Opta-Daten zeigen eine weitere Auffälligkeit. In der vergangenen Saison ging Wirtz in der Bundesliga am häufigsten ins Dribbling (165-mal). In der Premier League ging er im Schnitt bisher nicht einmal halb so oft ins Dribbling (2,4-mal pro Spiel) wie in der vergangenen Bundesligasaison (6,3-mal pro Spiel).

Interessante Statistik: Hier hängt Wirtz alle ab

Dass sich sein Einsatz nicht in den wichtigen Statistiken niederschlägt, liegt dann mitunter auch an der Abschlussschwäche seiner Kollegen. Am Wochenende sorgte er mit einer genialen Hackenvorlage beim 1:2 gegen den FC Chelsea für Aufsehen, doch Mohamed Salah setzte den Ball anschließend neben das Tor.

Die zuletzt propagierte Wirtz-Krise in England ist nur eine gefühlte Wahrheit, die nicht unbedingt den Tatsachen entspricht. Das belegen auch die Opta-Daten, die für Wirtz in einer Statistik sogar einen Topwert ausweisen.

In der bisherigen Saison hat kein Premier-League-Spieler wettbewerbsübergreifend so viele Torschüsse aufgelegt wie Wirtz. Er brachte es in seinen zehn Einsätzen auf stolze 22 Vorlagen - seinen bislang einzigen Scorerpunkt sammelte er jedoch im Community Shield.

Generell hat Liverpool Probleme bei der Chancenverwertung, die Reds vergaben wettbewerbsübergreifend schon 27 Großchancen, aus der Premier League ist nur Crystal Palace in dieser Hinsicht noch schlechter.

Wirtz selbst ist vor dem Tor noch zu ungenau. Statistisch gesehen hat er aber auch erst eine echte Großchance vergeben. Seine Teamkollegen Hugo Ekitiké (acht), Salah (sechs), Alexander Isak (vier) und Ibrahima Konaté (drei) ließen deutlich mehr liegen.

Völler habe „überhaupt keine Bedenken“, dass Wirtz den Durchbruch schaffen wird, „weil er keine der Diven auf dieser Position ist, die, wenn sie dreimal nicht angespielt wurden, stehen bleiben und den Kopf hängen lassen“.

Dies stellte Wirtz schon im September unter Beweis, als er nach einer lange Zeit glücklosen Vorstellung gegen Nordirland mit seinem sehenswerten Freistoßtreffer den 3:1-Endstand markierte. Am Freitag gegen Luxemburg bietet sich die nächste Gelegenheit für weitere Geniestreiche.