Im kommenden Sommer steht mit der Weltmeisterschaft 2026 wieder ein echtes Highlight für Fußballfans vor der Tür. Während die Topnationen ihre Ansprüche verdeutlichen wollen, sorgte die Qualifikation für das Turnier auch für einige Überraschungen und Fußball-Märchen.
Aus der Oberliga zur WM! „Wir wollen Haiti stolz machen“
WM-Märchen statt Oberliga!
Während vier Nationen zum ersten Mal am Turnier teilnehmen werden, kehrt auch Haiti nach 52 Jahren zurück auf die große Bühne. Nach der WM 1974 konnte sich der Karibikstaat erst zum zweiten Mal in der Verbandsgeschichte qualifizieren.
Die Situation im Land ist von Armut, Naturkatastrophen und Bandenkriminalität geprägt. In sportlicher Hinsicht gelang Haiti hingegen ein Wunder. In der entscheidenden Qualifikationsrunde landete die Nation vor Honduras, Costa Rica und Nicaragua auf dem ersten Platz ihrer Gruppe.
Mittendrin war auf diesem Weg auch Torhüter Josué Duverger, der zuletzt im September zwischen den Pfosten von Haiti stand. Im Ligaalltag läuft der in Kanada geborene Schlussmann in Deutschland für den Oberligisten Cosmos Koblenz auf. Im SPORT1-Interview gibt der 25-Jährige spannende Einblicke.
„Ich glaube immer noch, dass es ein Traum ist“
SPORT1: Herr Duverger, Haiti ist nach 52 Jahren erst zum zweiten Mal bei einer WM dabei. Wann haben Sie realisiert, dass Sie und das Team Geschichte geschrieben haben?
Josué Duverger: Um ehrlich zu sein, glaube ich immer noch, dass es ein Traum ist. Normalerweise denke ich von Tag zu Tag und bin ein sehr bescheidener Mensch. Da ich weiß, dass die Weltmeisterschaft noch ein bisschen weit weg ist, glaube ich, dass ich es noch nicht ganz realisiert habe. Ich weiß, wir haben es geschafft, aber es sind immer noch viele Emotionen dabei. Es ist verrückt. Nach 52 Jahren hat ein ganzes Land auf diesen Moment gewartet.
SPORT1: Sie wurden in Kanada geboren, spielen aber für die Nationalmannschaft von Haiti. Wie kam es zu diesem Schritt und welche Bedeutung hat er für Sie?
Duverger: Meine Eltern wurden beide in Haiti geboren. Ich habe die haitianische Kultur ganz in mir, auch wenn ich weiter entfernt geboren wurde. Dafür haben meine Eltern stets gesorgt. Für mich war es eine einfache Entscheidung. Ich habe in der U17-Nationalmannschaft von Kanada gespielt und danach haben sie mich direkt angerufen. Ich habe nicht gezögert, für Haiti zu spielen. Es ist meine Kultur und auch die meiner Eltern. Meine ganze Familie stammt aus Haiti.
WM-Märchen: „Ein bisschen Frieden bringen“
SPORT1: In Haiti gibt es derzeit große Probleme. Wie viel bekommen Sie von der Situation im Land selbst mit – und spielt das eine Rolle für Ihre Motivation?
Duverger: Es ist eine sehr schwierige Situation für das Land. Aber ich glaube, was wir geschafft haben, war für das Land und für den Frieden. Die Lage dort ist sehr heikel und das wusste jeder Spieler. Wir haben es auch für das Land geschafft, um ihm ein bisschen Frieden zu bringen. Die Situation lässt sich nicht im Handumdrehen verändern. Wir als Nationalmannschaft sind durch unsere Qualifikation ein Teil des Puzzles. In einigen Jahren kann es vielleicht Frieden geben, wir arbeiten daran und deshalb wollten wir uns für die Menschen im Land qualifizieren.
SPORT1: Ein großes Problem war auch, dass das Nationalstadion von Haiti 2024 in die Hände von Banden gefallen ist. Welchen Einfluss hatte es, die Heimspiele der WM-Qualifikation im Exil austragen zu müssen?
Duverger: Es war nicht einfach. Einige Spieler – auch ich – haben bereits in Haiti gespielt und kennen die Atmosphäre. Es ist verrückt. Manchmal haben wir uns gefühlt, als würde uns dieser 12. Mann fehlen. Wir wussten aber, dass wir uns qualifizieren mussten, auch wenn wir im Ausland gespielt haben. Das haben wir als Team geschafft.
SPORT1: Ein Großteil der WM-Spiele wird in den USA stattfinden. Seit Juni gilt jedoch eine Einreisesperre für die Bürger des Landes. Haben Sie weiterhin Hoffnung, dass Sie beim Turnier auf Ihre eigenen Fans bauen können?
Duverger: Im Fußball können sich viele Türen öffnen. Das ist so großartig an diesem Sport. Aber in den USA und in Kanada leben sehr viele haitianische Menschen. Ich weiß, dass die Situation sehr schlecht ist, aber es werden sehr viele Menschen dort sein. Dessen bin ich mir sicher. Wir haben letztes Jahr auswärts gespielt und es war alles voller Haitianer. Es ist ein sehr stolzes Land und wo immer wir spielen, sie werden da sein.
Zwischen WM-Ekstase und Oberliga
SPORT1: Auf Klub-Ebene begann Ihre Karriere in Portugal, mittlerweile spielen Sie in Deutschland bei Cosmos Koblenz in der Oberliga. Wie würden Sie diesen Weg beschreiben?
Duverger: Es war nicht einfach. Manchmal hat man im Fußball das Gefühl, dass einfach alles perfekt läuft und man einfach immer weitermacht. Aber ich habe im Fußball viel durchgemacht. Ich bin Gott, Cosmos, Coach Yusuf (Trainer Yusuf Emre Kasal, Anm.d.Red.), ‚Strati‘ (Torwart-Trainer Efstrat Billa, Anm.d.Red.) und allen Menschen dankbar, die diesen Traum möglich gemacht haben. Ich weiß, dass mir sehr viele Leute sehr geholfen haben, aber meine Reise war nicht einfach.
SPORT1: Aktuell stehen Sie mit Koblenz als Aufsteiger auf dem achten Platz der Oberliga Rheinland-Pfalz/Saar. Was sind die Ziele für den Rest der Saison?
Duverger: Für mich geht es, wie in den vergangenen Jahren, nur darum, immer weiterzuspielen, Minuten zu sammeln und die meisten Erfahrungen aus den Spielen mitzunehmen. Wir sind gerade aufgestiegen, also ist es normal, dass wir nicht an der Spitze stehen.
„Fahren nicht nur zu WM, um die Zeit zu genießen“
SPORT1: Lassen Sie uns noch einmal auf die WM schauen: Sie treffen dort auf Brasilien, Schottland und Marokko.
Duverger: Der Fokus liegt nicht darauf, wer kommt oder dass ich gerne gegen Cristiano Ronaldo spielen würde. Wir haben mit der Nationalmannschaft schon gegen Argentinien und andere großartige Teams gespielt. Ich habe keinen Wunschgegner. Wir versuchen einfach zu 200 Prozent bereit zu sein.
SPORT1: Also wollen Sie die Zeit beim Turnier hauptsächlich genießen?
Duverger: Nein. Wir fahren nicht nur zur WM, um die Zeit zu genießen. Wir wollen Haiti stolz machen.
Manuel Neuer? „Ich will die beste Version von mir sein“
SPORT1: Sie haben zuletzt im September beim spektakulären 3:3 gegen Costa Rica über 90 Minuten im Tor von Haiti gestanden und dabei unter anderem gegen den ehemaligen Real-Keeper Keylor Navas gespielt. Wie blicken Sie auf das Spiel zurück?
Duverger: Das Spiel war sehr schwierig. Costa Rica ist ein sehr gutes Team. Sie kennen sich untereinander und spielen sehr gut zusammen. Für mich war es zudem besonders, weil ich zuvor für zwei Jahre nicht bei der Nationalmannschaft war. Nach dieser Zeit wieder auf diesem hohen Niveau zu spielen, war für mich wie ein weiterer Test und ich glaube, ich habe gut geantwortet. Der Trainer, sein Team und meine Mitspieler haben mir auch sehr viel Vertrauen entgegengebracht. Das hat die Situation sehr erleichtert. Das Spiel war für mich sehr emotional. Gegen Costa Rica und Keylor Navas zu spielen, war sehr besonders. Es gibt kein Klein und Groß.
SPORT1: Haben Sie bestimmte Torwart-Vorbilder oder Keeper, deren Spiel Sie besonders studieren?
Duverger: Ich habe nicht nur ein Vorbild. Ich schaue mir sehr viele Torhüter an, die besten der Welt. Ich schaue, was sie gut machen und was sie schlecht machen und versuche, es für mein Spiel zu nutzen. Ich will die beste Version von mir sein und nicht wie zum Beispiel Manuel Neuer.