Eigentlich wollte die HSG Wetzlar im 25. Jahr in der Handball-Bundesliga eine ruhige Spielzeit absolvieren.
Handball-Bundesliga: Super-GAU droht! Wetzlar im Chaos trotz Entlassung von Horvat
Wetzlar droht der Super-GAU
Neun Spieltage vor Schluss brennt der Baum allerdings lichterloh. Anfang der Woche entließ der Klub Trainer Hrovje Horvat, da sich dieser laut Vereinsangaben einen „absoluten Vertrauensbruch“ geleistet hat.
Es ist der vorzeitige Höhepunkt einer verkorksten Saison, in der die Mannschaft sich von Beginn an enorm schwertat. Deswegen musste bereits im vergangenen November Ben Matschke seinen Hut nehmen.
Die sportliche Talfahrt konnte mit dem Trainer-Wechsel allerdings nicht aufgehalten werden. Viel mehr droht nun der schwere Gang in die zweite Liga, der schwerwiegende Folgen für die Hessen haben könnten.
Wetzlar-Krise: Deutliche Worte von Ex-Nationalspieler
Aktuell stehen sie nur noch zwei Punkte vor den Abstiegsrängen. Nach dem Erfolg beim TVB Stuttgart setzte es am vergangenen Wochenende eine empfindliche Niederlage gegen GWD Minden.
Im Duell mit dem Tabellen-17. verlor das Team in heimischer Halle mit 25:27 und verpasste somit die Chance, den Abstand auf den ersten Abstiegsplatz auf sechs Punkte auszubauen.
„Es fällt gerade schwer Worte zu finden. Es ist für uns sehr frustrierend, dass wir heute nicht das umsetzen konnten, was wir vielleicht gegen Stuttgart ganz gut gemacht haben. Wir sind in der Abwehr zu passiv, im Angriff haben wir zu viele technische Fehler und Fehlwürfe - Malte (Semisch) macht da auch ein Riesenspiel. Und ja, dann wird es schwer hier im Abstiegskampf zu Hause gegen Minden zu gewinnen“, erklärte der HSG-Spieler und frühere Nationalspieler Erik Schmidt.
Er malte ein Bild, das es so lange Zeit nicht gegeben hat. Schließlich formte Ex-Trainer Kai Wandschneider nach seinem Amtsantritt im März 2012 eine Einheit, die deutschlandweit Angst und Schrecken verbreitete. Selbst der große THW Kiel tat sich schwer im gallischen Dorf in Mittelhessen.
Zahlreiche Spieler wie Andreas Wolff, Steffen Fäth oder Jannik Kohlbacher schafften unter ihm den Sprung in die Nationalmannschaft. Zudem gelang es, einen Weltstar wie Ivano Balic für das Team zu begeistern.
Wetzlar ungewohnt schwach in der heimischen Halle
Im Februar 2020 erschütterte der Verein jedoch die Handball-Welt.
So verkündete er, den zum Sommer 2021 auslaufenden Vertrag mit Wandschneider nicht zu verlängern. Als Begründung führte Geschäftsführer Björn Seipp an, dass die „Entscheidung strategischer Natur“ sei und „auf die Zukunft unseres Klubs und eine Neustrukturierung abzielt“.
Als Nachfolger wurde wenige Monate später Matschke präsentierte, der bei den Eulen Ludwigshafen trotz eines kleinen Budget dreimal sensationell den Klassenerhalt feierte. Mit starken 23 Punkten bis zur EM-Pause fühlten sich die Verantwortlichen in Wetzlar bestätigte.
Doch nach dem Großturnier gab es den Bruch. Bis zu seiner Entlassung Ende November 2022 sammelte Matschke nur noch magere 19 Zähler in 29 Spielen. Sonderlich besser wurde es auch nicht mit Nachfolger Horvat. Von neun Liga-Duellen konnte der Kroate lediglich eine gewinnen.
Besonders auffällig ist die Heimschwäche der HSG. Mit drei Liga-Erfolgen in 21 Begegnungen seit der EM 2022 sind sie die mit Abstand schwächste Mannschaft in der HBL.
Diese Schwäche hat auch finanzielle Konsequenzen für den Verein. In der laufenden Spielzeit kamen durchschnittlich rund 700 Menschen weniger als in der Saison vor der Corona-Pandemie zu den Heimspielen - ein herber Einbruch angesichts von einem Fassungsvermögen von 4.500 Zuschauern.
Wetzlar mit sportlichen Fehlgriffen
Die sportliche Misere ist allerdings nicht der einzige Grund für das Fernbleiben der Fans. Sie kritisieren viel mehr den von Seipp eingeschlagenen Weg. Im ersten Heimspiel nach der Matschke-Entlassung riefen einige Fans gar zu einer Schweigeminute für den geschassten Coach auf.
Bei einem Fan-Treffen versuchten die Verantwortlichen die Wögen zu glätten, dennoch dürfte die Kritik an ihnen nicht leiser werden.
„Wir streben einen Verjüngungsprozess auf den sogenannten zweiten Positionen hinter den Leistungsträgern an, um zukunftsorientiert aufgestellt zu sein“, hatte Seipp den Umbruch im Sommer erklärt. Acht erfahrene Profis wie Felix Danner, Olle Forsell Schefvert und Maximilian Holst gingen, acht größtenteils junge Spieler nahmen ihren Platz ein.
Mittelmann Radojica Cepic ist nach einem halben Jahr bereits wieder weg wie auch Vladan Lipovina, der seine starke Form aus Balingen nicht bestätigen konnte. Ein adäquater Ersatz für den Leistungsträger Forsell Schefvert wurde nicht geholt, sondern stattdessen auf die Talente Cepic, Eigengewächs Ole Klimpke und den Schweizer Neuzugang Jonas Schelker gesetzt.
Zudem werfen auch die Winter-Transfers von Filip Kuzmanovski, der bei Hannover-Burgdorf nur noch Ersatz war, und Drittliga-Kreisläufer Nikita Pliuto, der nur Nummer drei im Team ist, Fragen auf.
Sowieso fehlt es dem Team an Durchschlagskraft aus dem Rückraum. Lediglich 34,61 Prozent der Würfe aus der Ferne fanden den Weg ins Tor - nur Hannover-Burgdorf (33,51%) ist noch schwächer. Im Vorjahr zählte Wetzlar mit einer Wurfquote von 44,18 Prozent noch zu den Top-Teams in dieser Kategorie.
Wetzlar überwirft sich mit Horvat
Auch auf der Trainerposition leisteten sich der Wetzlarer Geschäftsführer und der sportliche Leiter Jasmin Camdzic, der sich als Torwarttrainer nach oben angearbeitet hat, Fehleinschätzungen.
So entwickelte Matschke die Spieler im Gegensatz zu Wandschneider nicht weiter. Erst drei Wochen(!) nach der Matschke-Entlassung präsentierten sie Nachfolger Horvat, der als Nationaltrainer von Kroatien in der WM-Pause nicht beim Team weilen und seine Spielidee implementieren konnte.
Rund vier Monate später ist die Ära von Horvat bereits vorbei, nachdem er mit einem anderen Klub verhandelt und schließlich dort unterschrieben hatte. „Das ist eine große Gelegenheit für mich und ich konnte nicht mehr warten“, erläuterte der Coach bei der Gießener Allgemeine seinen Wechsel zu den Kadetten Schaffhausen.
Dennoch handelte er gegen die Absprache mit dem Verein, der erst den Abstiegskampf mit ihm meistern und dann über seine Zukunft sprechen wollte.
„Wir müssen alle an einem Strang ziehen und die Kräfte bündeln, um in der Bundesliga zu bleiben. Und einer der Hauptprotagonisten erzählt, er sei nächste Saison nicht mehr da, nach ihm die Sintflut. Es gibt Werte, Ehre und Verantwortung“, konterte Seipp.
Rettet Petkovic Wetzlar vor dem Abstieg?
Nun gilt es dennoch erst einmal das weitere Bestehen in der höchsten Spielklasse abzusichern.
Für den Abstiegsgipfel gegen Göppingen sitzen zunächst Camdzic und der Co-Trainer Filip Mirkulovski auf der Bank. Ein Feuerwehrmann soll aber vor der ebenfalls wichtigen Begegnung gegen den VfL Gummersbach in rund zweieinhalb Wochen gefunden sein.
Eine mögliche Option ist Velimir Petkovic, der bereits nach dem Aufstieg 1998 die Grün-Weißen trainierte. Er etablierte den Klub in der Bundesliga und könnte nun seinen Herzensverein vor dem Abstieg retten.
Auf ihn wartet jedoch eine harte Aufgabe, denn Wetzlar muss im restlichen Saisonverlauf noch gegen viele schwere Gegner wie Kiel, Magdeburg und HSV Hamburg spielen.
Es braucht also dringend eine Lösung, wenn der Klub seine glanzvolle Zeit in der Bundesliga fortsetzen will.