Das legendäre „Huh!“ ist auf Island verstummt.
WM-Qualifikation: Missbrauchsskandal auf Island für Spiel gegen DFB-Team
Wegen Sex-Skandal: Island-Fans schweigen
„Es ist ein Schock für Island, akzeptieren zu müssen, dass diese goldene Fußballergeneration auch eine dunkle Seite hat.“ Ein Satz, der von Thordur Júlíusson stammt, seines Zeichens Chefredakteur der isländischen Netzzeitung Kjarninn. Und der Satz bringt die derzeitige Situation auf der Vulkaninsel auf den Punkt.
Noch vor fünf Jahren war eine riesige Begeisterung rund um die isländische Nationalmannschaft ausgebrochen. Island hatte sich zum ersten Mal für eine Europameisterschaft qualifiziert und war bei der EM 2016 in Frankreich auch noch bis ins Viertelfinale gestürmt - im Achtelfinale wurde England geschlagen.
Doch am heutigen Tag, an dem Island die deutsche Nationalmannschaft in der WM-Qualifikation empfängt (WM-Qualifikation: Island - Deutschland, ab 20.45 Uhr im LIVETICKER), ist die sportliche Leistung der damaligen Nationalhelden längst in den Hintergrund gerückt. (Bericht: Island will gegen Deutschland Geschichte wiederholen)
Vor dem Stadion versammelten sich am Mittwochabend etwa 25 Personen der Gruppe „Öfgar“, um sich mit den Opfern sexueller Gewalt zu solidarisieren. Öfgar-Aktivistin Ninna Karla (36) zu SPORT1: „Es ist ein großes Problem wie der Verband dieses Thematik behandelt hat in all den Jahren. Wir müssen das Schweigen brechen. Deshalb machen wir auf uns aufmerksam.“
Sigthorsson sorgt für Missbrauchsskandal
Ninna Karla weiter: „Wir haben keine Tickets und stehen außerhalb des Stadions. Aber es wird einen Fanblock im Stadion geben, der die ersten zwölf Minuten schweigen wird. Das ist eine Absprache zwischen unserer Organisation und dem isländischen Fanklub. Wir sind hier aus Solidarität mit den Opfern von sexueller Gewalt. Einigen von uns ist das auch widerfahren.“
Der isländische Fußballverband, einige Spieler und eigentlich die ganze Insel versinken derzeit in einem Missbrauchsskandal. Ein unrühmlicher Protagonist ist Kolbeinn Sigthorsson, der Island im EM-Achtelfinale zum Sieg über England geschossen hatte.
Ein Jahr später soll er in einem Klub in Islands Hauptstadt Reykjavík eine Frau in den Schritt gegriffen und am Nacken gepackt haben. Danach soll ein weiterer Mann die Frau angegriffen haben. Anschließend zeigten zwei Frauen Sigthorsson an, der die Tat einräumte und die Angelegenheit außergerichtlich mit einer Entschuldigung regelte und einer Zahlung von 1.500 Euro an eine Organisation, die Frauen von sexualisierter Gewalt hilft.
Nun wurde der Vorfall allerdings wieder aufgerollt, und ein noch größerer Skandal ist ans Licht gekommen.
Präsident Bergsson muss zurücktreten
Eine gewichtige Rolle spielen der isländische Fußballverband und der damalige Präsident Gundi Bergsson. Diesen sollen die Frauen nämlich kontaktiert haben. Bergsson wollte in einem Interview allerdings nichts von einer solchen Kontaktaufnahme wissen. Er hatte auch nichts unternommen.
Im Gegenteil: Der Verband soll sogar auf die jungen Frauen zugegangen sein und ihnen Schmerzensgeld zugesichert haben, wenn sie eine Verschwiegenheitsklausel unterzeichnen würden.
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All das berichteten die Frauen einem örtlichen TV-Sender, nachdem der Verband nichts gegen den Nationalspieler unternommen hatte. Die Vorwürfe flogen Bergsson nun um die Ohren und letzte Woche wurde der Druck zu groß - der Präsident musste zurücktreten. Der Druck ist auch deswegen so groß geworden, weil der Fall Sigthorsson nur die Spitze des Eisbergs gewesen sein soll.
Mittlerweile haben sich weitere mutmaßliche Opfer gemeldet, die von einer Gruppenvergewaltigung sprechen. Bis zu sieben weitere aktuelle oder ehemalige Nationalspieler sollen in Verbindung mit sexualisierten Übergriffen stehen.
Skandale stürzen Island auch in sportliche Krise
Sigthorsson wird wie einige andere Spieler daher nicht gegen Deutschland auflaufen. Offen ist, ob der 31-Jährige und die anderen Betroffenen überhaupt noch einmal das Trikot der Wikinger tragen werden. Bei Sigthorssons derzeitigem Klub IFK Göteborg haben die Fans bereits eine Initiative gestartet, dass der Stürmer nie wieder für ihren Klub auflaufen soll.
Die Skandale haben Island unterdessen auch in eine sportliche Krise gestürzt.
Die WM-Teilnahme ist in weite Ferne gerückt, mit nur vier Punkten steht Island auf Rang vier der deutschen Gruppe. „Wenn beim Gegner wichtige Spieler fehlen, dann hat das einen Einfluss. Zu den Hintergründen weiß ich nichts“, sagte Leon Goretzka vor dem Spiel des DFB-Teams in Reykjavík.