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Wie ein deutscher Boss einen englischen Traditionsklub wieder nach oben führen will

„Sicher der schwierigste Umbruch“

Johannes Spors hat schon bei einigen internationalen Traditionsklubs gearbeitet. Sein aktuelles Projekt ist der FC Southampton. Im SPORT1-Interview spricht er über den Traum von der Premier League.
Johannes Spors gilt als einer der spannendsten Strategen im modernen Fußball
Johannes Spors gilt als einer der spannendsten Strategen im modernen Fußball
© IMAGO/Shutterstock
Johannes Spors hat schon bei einigen internationalen Traditionsklubs gearbeitet. Sein aktuelles Projekt ist der FC Southampton. Im SPORT1-Interview spricht er über den Traum von der Premier League.

Johannes Spors gilt als einer der spannendsten Strategen im modernen Fußball. Im exklusiven SPORT1-Interview spricht der Technische Direktor des FC Southampton über seinen Trainer Tonda Eckert, mutige Entscheidungen, nachhaltige Kaderplanung – und darüber, warum Erfolg heute weit mehr ist als eine Tabellenposition.

Dabei betont er auch die jüngste Formstärke der „Saints“: Southampton hat sechs der zurückliegenden sieben Spiele in der Championship gewonnen, nur in Millwall wurde verloren. Zudem blickt der 43-Jährige auf seine Zeit bei der TSG Hoffenheim zurück.

FC Southampton setzt auf jungen deutschen Trainer

SPORT1: Herr Spors, die Vertragsverlängerung mit Tonda Eckert kam früher als erwartet. Welche Faktoren haben diesen Schritt jetzt ausgelöst – und warum gerade zu diesem Zeitpunkt?

Johannes Spors: Auch wenn Tonda noch sehr jung ist: Er hat es in seiner Interimszeit einfach geschafft, einen sehr guten Zugang zur Mannschaft zu finden. Er hat uns alle im Verein, die Mannschaft, den Staff und auch das Umfeld mit einer guten Mischung aus Empathie, aber auch Klarheit in seinen Entscheidungen überzeugt. Darum war die Entscheidung, ihn zum Cheftrainer zu befördern, nur folgerichtig und logisch. Aber der Prozess war schwierig, weil die FA in England sehr harte Regeln hat für junge Trainer. Darum sind wir froh, das jetzt geschafft zu haben.

SPORT1: Gab es in den Gesprächen rund um die Verlängerung bestimmte Punkte, bei denen Sie und Tonda Eckert besonders intensiv diskutiert haben – etwa Vision, Kaderplanung oder Rolle im Klub?

Spors: Für Kaderplanungsthemen ist es jetzt noch zu früh. Aber Tonda ist schon jemand, der sehr hohe Anforderungen stellt an sein direktes Umfeld. Das ist etwas, was ich unheimlich schätze an ihm. Denn ich glaube, dass wir es gemeinsam schaffen müssen, die Standards im Klub zu erhöhen, und dafür ist er der richtige Mann. Ich schätze seinen Input sehr.

Parallelen zu Nagelsmann?

SPORT1: Kann man ihn einordnen in die Riege früherer junger Trainer wie Julian Nagelsmann oder Fabian Hürzeler – Spieler, die als Aktive nicht oben waren, aber als Trainer schnell weit kamen?

Spors: Die beiden sind natürlich auf dem allerhöchsten Niveau gelandet. Das wünsche ich natürlich auch Tonda – aber das wird man sehen. Vergleichen kann man sicher: Er ist ein sehr junger Trainer, der jetzt auf hohem Niveau einsteigt und gleichzeitig wahnsinnig viel Erfahrung mitbringt. Er kommt ja nicht aus dem Nichts, sondern ist seit gut einem Jahrzehnt im Profifußball tätig – in Deutschland, Österreich, Italien und jetzt in England. Dazu war er vorher bereits in England aktiv. Er ist sehr jung, aber top ausgebildet und bestens vorbereitet.

SPORT1: Er wurde ins kalte Wasser geworfen als Championship-Trainer – ohne Angst. Wie groß war das Fragezeichen hinter dem Schritt vom Co- zum Cheftrainer?

Spors: Natürlich gab es dieses Fragezeichen. Wir hatten bereits in Genua zusammengearbeitet – er als Co-Trainer, ich als Geschäftsführer Sport. Mir war bewusst, wie hochbegabt und top ausgebildet er ist. Trotzdem ist der Wechsel vom Co- zum Cheftrainer ein großer Schritt. Deshalb haben wir gemeinsam entschieden, ihn zu Saisonbeginn als Cheftrainer der U21 in Southampton zu installieren. Dort hat er eine außergewöhnlich schnelle Lernkurve hingelegt. Es war also nur logisch, ihm jetzt die Chance zu geben.

SPORT1: Der FC Southampton kletterte nach dem 3:2-Sieg gegen West Bromwich Albion am Dienstag auf Platz acht. Welche Ihrer Kader-Entscheidungen zahlen sich besonders aus?

Spors: Wir haben den Verein im Sommer grundlegend umstrukturiert. Als ich kam, war Southampton statistisch der schlechteste Premier-League-Verein der Geschichte. Wir haben die Abteilungen neu aufgestellt und vor allem den Kader: 36, mit Oriol Romeu sogar 37 Transfers im Sommer – ein kompletter Umbruch. Jeder einzelne dieser Transfers fühlt sich richtig an. Natürlich fallen die Stammspieler besonders auf: Caspar Jander, Leo Scienza, Tom Fellows, Finn Azaz. Aber wir haben Spieler für alle Rollen verpflichtet und sind insgesamt sehr zufrieden.

Warum Southampton?

SPORT1: Warum haben Sie sich damals für Southampton entschieden?

Spors: Ich durfte schon öfter bei Vereinen arbeiten, die große Umbrüche anstreben – so war es bei Vitesse Arnheim, in Genua und bei den Klubs der 777-Gruppe. Und jetzt in Southampton. Das hier ist sicherlich der größte und schwierigste Umbruch, aber genau das reizt mich. Mit Genua sind wir aufgestiegen und stabil geblieben, und ich glaube, das können wir auch hier schaffen. Und: England bietet einfach ein sehr reizvolles Umfeld mit tollen Arbeitsbedingungen.

SPORT1: Die Championship gilt als physisch und unberechenbar. Wie schwer ist es, einen klaren sportlichen Plan durchzusetzen?

Spors: Jede Liga hat ihren eigenen Stil – und zweite Ligen weltweit haben oft ähnliche Muster: viel Physis, hohe Bedeutung von Standards. Der große Unterschied in England ist die Anzahl der Spiele. Während in Deutschland Winterpause ist, spielen wir alle vier Tage – über eine 24er-Liga plus zwei Pokalwettbewerbe. Dafür braucht man einen klaren Plan. Das wichtigste Learning aus verschiedenen Fußballkulturen ist Energiemanagement: die Balance aus permanenter Wettkampfspannung und gezielten Entspannungsmomenten. Das betrifft nicht nur Spieler, sondern auch Trainer, Co-Trainer und den gesamten Staff.

SPORT1: Eckert ist ein vielversprechendes deutsches Trainertalent. Sehen Sie ihn irgendwann in Deutschland?

Spors: Jetzt geht es darum, dass er in Southampton ankommt und seine Rolle weiterhin so hervorragend ausfüllt. Hier arbeitet er auf sehr hohem Niveau. Ich sehe da keine Limits – er ist so begabt, dass ich ihm alles zutraue. Aber im Moment zählt der erste Schritt, und den gehen wir gerade. Zukunftsfragen beschäftigen ihn nicht.

SPORT1: Wie eng ist Ihr Austausch im Tagesgeschäft?

Spors: Ehrlich gesagt: alles drei – Impulsgeber, Sparringspartner und jemand, der Freiraum lässt. In einer Umbruchphase mit einem jungen Trainer ist es wichtig, nah dran zu sein und Feedbackgeber zu sein. In anderen Phasen bin ich wieder distanzierter, dann liegt der Fokus stärker auf dem Recruitment. Es ist ein Mix, manchmal innerhalb einer Woche. Man braucht das Gespür dafür, was das Umfeld gerade braucht.

Die Hoffenheim-Jahre als Grundlage

SPORT1: Sie waren fast zehn Jahre in Hoffenheim, vom Uni-Absolventen bis zum Chefscout und Kaderplaner. Wie prägend war diese Zeit?

Spors: Extrem prägend und toll. Ich konnte den Verein vom niedrigsten Job bis in eine der höchsten sportlichen Positionen durchlaufen und habe wahnsinnig viel von innovativen Menschen gelernt. Diese Zeit hat mich sehr geprägt und hervorragend ausgebildet.

SPORT1: Wie war das Arbeiten unter Dietmar Hopp – hinderlich oder wohltuend?

Spors: In meiner damaligen Rolle war ich nicht in voller Verantwortung, aber es gab natürlich Berührungspunkte. Ich kam in der dritten Liga in den Verein, als Ralf Rangnick kam. Unter Markus Gisdol bin ich sicher noch einmal gewachsen, Alex Rosen war damals Sportdirektor. Ich habe bis heute größten Respekt vor Herrn Hopp. Seine Leidenschaft für Verein und Region war beeindruckend. Meine Frau und meine drei Kinder leben bis heute dort. Für mich war Hopp nie hinderlich – ich kann nur sagen: Chapeau!

SPORT1: Und die besondere Verbindung Hopp – Roger Wittmann? Viele sagen, Wittmann habe zu viel Macht.

Spors: Das ist schwer von außen zu beurteilen. Solche Konstellationen gibt es in vielen Ländern. Ein Eigentümer hat das Recht, sich sein Umfeld selbst zu wählen. Wichtig sind Transparenz und Kommunikation. Ob das in Hoffenheim aktuell gegeben ist, kann ich nicht beurteilen.

SPORT1: Was unterscheidet die Arbeit in England am stärksten von der Bundesliga?

Spors: Jedes Land hat seine eigene Kultur. Wichtig ist, klar zu definieren, welchen Weg man als Verein gehen will – und gleichzeitig zu verstehen, wie die Kultur im Land und im Klub funktioniert. Wie packt man die Menschen? Wie überzeugt man sie? Das ist eine zentrale Aufgabe.

SPORT1: Sehen Sie Ihre Zukunft langfristig im Ausland – oder reizt Sie Deutschland?

Spors: Ich hatte bei Vitesse, in Genua und jetzt in Southampton das Glück, mit voller sportlicher Kompetenz und kurzen Entscheidungswegen arbeiten zu können. Das war mir immer wichtiger als Geographie. Aber natürlich: Deutschland ist Heimat. Meine Familie wohnt in Heidelberg, ich verfolge die Bundesliga sehr genau. Der Reiz einer Rückkehr ist da – aber genauso fühle ich mich in Italien und England wohl.

SPORT1: Wie schwer ist es, von der Familie getrennt zu sein?

Spors: Oft sehr schwer. Ich habe drei wunderbare Kinder. Gleichzeitig ziehen sie auch viel daraus: Sie haben eine stabile Heimat, reisen viel, erleben andere Länder, Sprachen und Kulturen. Wir schaffen es, uns oft zu sehen – durch viele Direktflüge, digitale Arbeitstage oder wenn sie mich besuchen. London–Frankfurt – das sind rund 20 Direktflüge pro Tag (lacht).

Fankultur in Gefahr?

SPORT1: Nach den Vorkommnissen rund um Fans des VfB Stuttgart beim Europa-League-Spiel in Deventer: Ist die Fankultur in Europa in Gefahr?

Spors: In Gefahr generell würde ich nicht sagen, aber man muss sehr genau hinschauen. Die von Ihnen angesprochene Situation um den VfB ist definitiv besorgniserregend, und ich finde, dass Alexander Wehrle sich absolut zu Recht sehr drastisch dazu geäußert hat. Wir üben unseren Beruf aus, um den Fans etwas zu geben. Ich war bei Traditionsvereinen – Vitesse Arnheim, der älteste Klub der Niederlande, Genua, der älteste Klub Italiens, jetzt Southampton mit dem 140-jährigen Jubiläum. Fankultur wird überall anders gelebt, aber sie treibt Spieler an und macht den Sport groß. Deshalb braucht es Regeln – aber auch Freiräume, damit Fankultur existieren kann.

SPORT1: Bald ist Weihnachten. Was wünschen Sie sich – jenseits von Gesundheit und Familie?

Spors: Ich wünsche mir, dass die positiven Entwicklungen dieses Jahres so weitergehen. Der Aufstieg in die Premier League ist das große Ziel. Und da ich sehr politisch interessiert bin, wünsche ich mir mehr Verlässlichkeit und Stabilität in den Gesellschaften. Das ist dringend nötig.